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Königs dachte. Wie Frauen aber nur selten einen logisch durchdachten Plan fassen können, so scheiterte die Absicht der Kaiserin schon am ersten Tage durch ihre Unvorsichtigkeit und Phantasterei. Heimlich hatte sie durch einen Boten Briefe an den König gelangen lassen, welche die Aufschrift trugen: "Die Seemöve an den Seeadler." Die Umgebung des Königs hatte diese Briefe öffnen müssen und daraus die Absichten der Kaiserin erkannt.

      VI.

      Der König in Schloß Berg und die Katastrophe.

      Schloß Berg, in welchem der König im Verlaufe des Sommers eine Zeitlang zu residieren pflegte, war von Dr. Gudden zum Aufenthalt bestimmt worden, weil im Linderhof in den Bergen die Bevölkerung in größter Verehrung an dem König hing, der ihnen reichlich Verdienst gab und man sich deshalb auf einen Gewaltstreich der Leute hätte gefaßt machen müssen. Die ungeschickte Art, mit der die Kommission verfahren war, hatte das ihrige dazu getan und den Wechsel in Guddens Entschlüssen wohl wesentlich beeinflußt.

      Weshalb aber Gudden unter allen Schlössern Berg wählte – obgleich er mir selbst von der Selbstmordmanie des Königs sprach und hinzugefügt hatte, daß gegen die raffinierte Schlauheit, mit der ein Wahnsinniger sein Ziel zu erreichen strebe, kaum die ganze Überlegenheit eines vernünftigen Arztes oder Aufsehers ausreiche – ist mir völlig unbegreiflich.

      Das Schloß liegt nur etwa dreißig Schritte vom Ufer des Sees entfernt, der die Selbstmordgedanken des unglücklichen Königs mit unwiderstehlicher Gewalt anziehen mußte. Wohl hatte man die Absicht, den Park nach der Seeseite in seiner ganzen Länge mit einem Eisengitter abzuschließen, aber dieses Gitter war noch nicht einmal bestellt, als der König eintraf.

      Zu der Gesellschaft des Königs Ludwig gehörte nach seiner Ankunft in Berg Baron Washington und Dr. Müller, der als Arzt stets in seiner Nähe bleiben sollte. Für den ersten Tag, den 11. Juni, war Dr. Gudden auch in Berg geblieben, um den König zu beobachten. Als Bedienung waren die vier Pfleger angestellt. starke, große Menschen, die für den Fall eines Tobsuchtsanfalles Erfahrung und Kräfte genug besaßen, um den König zu fesseln. Im Stall befanden sich einige Pferde, unten im Schloß wohnte ein Kastellan. Vor dem Schloß hielten zwei Gendarmen Wache.

      Der unglückliche König empfand es außerordentlich peinlich, daß an allen Türen Öffnungen angebracht waren, um ihn zu beobachten. Diese unaufhörlich auf ihm ruhenden Blicke erregten begreiflicherweise seinen Unwillen. Auch waren überall elektrische Glocken eingerichtet, um sofort Hilfe herbeirufen zu können, wenn solche notwendig werden sollte. Sonst war an der Einrichtung der Zimmer nichts geändert. Die kleinen Kinder-Theater mit Szenen aus Wagners Opern standen an ihrer Stelle, an den Wänden hingen gleichfalls noch die Darstellungen aus Wagners Opern in Aquarellfarben, höchst mangelhaft ausgeführt, und überall standen kleine Porzellanschwäne herum – allerdings sehr unvollkommen (um nicht zu sagen lächerlich) an Lohengrin erinnernd. Auch die sehr geschmacklosen Möbel aus den Tagen König Max' II. und der Königin Marie waren geblieben: eine Serie Salons in schreiender, blauer Seide und entsetzlicher Vergoldung.

      Die Einteilung des Tages war durch Dr. Gudden festgestellt worden. Vor allen Dingen war wieder der Tag zum Wachen und die Nacht zum Schlafen bestimmt. Der König nahm seine Mahlzeiten allein, oder wenn er es wünschte, in Gesellschaft von Baron Washington oder einem der Ärzte um ein Uhr und um acht Uhr ein. Messer durfte er dabei nicht gebrauchen, sondern nur Löffel und Gabel. Nach Belieben konnte er Spaziergänge in Begleitung unternehmen.

      Der König, der zuerst die neuen Bestimmungen über seine Lebensweise mit einem starken Widerwillen, ja einer Art Auflehnung annahm, schien sich auffallend schnell in die Lage zu finden. Es hat dies unzweifelhaft mit dem plötzlich gefaßten Entschluß Zusammenhang, durch Ruhe und Gelassenheit seine Begleitung zu täuschen und so bald als möglich in dem See sein Ende zu suchen.

      Die Nachrichten, welche mir in dem Schloß Berg gegenüberliegenden Starnberg zugingen, lauteten durchaus befriedigend. Es hieß, der König habe trotz allen Wahnsinns seine Lage erkannt, und eine Art Zusammenbruch sei erfolgt, der es leicht mache, mit ihm zu verkehren und ihn zu behandeln.

      Ich war am 11. Juni zu meiner Familie von München nach Starnberg gefahren. Nach einer wahren Überschwemmung von Berichten und Depeschen, die zwischen der Preußischen Gesandtschaft und dem Auswärtigen Amte in Berlin gewechselt wurden, war eine allseitige Ermüdung eingetreten. Die Nerven, an die während der letzten vierzehn Tage ungewöhnliche Anforderungen gestellt worden waren, ließen nach. Die Krisis schien überwunden zu sein, und ein jeder suchte die Ruhe.

      Am 12. Juni war am Starnberger See schlechtes Wetter eingetreten, das während des 13. Juni anhielt. Fast niemand kam mit den Münchener Zügen an. Von dem Turm der Villa Cäcilia, die ich damals mit meiner Familie bewohnte, blickten wir bisweilen durch ein Fernglas hinüber nach dem kleinen weißen Schloß Berg, das sich hell aus dem dunklen Grün des Parkes hob. Es lag stumm und einsam wie sonst, und auf dem freien Platz davor war niemand sichtbar.

      Der 13. Juni, ein Sonntag, brachte verstärkten Sturm und Regen. Bisweilen lag so viel Nebel auf dem See, daß das Ufer bei Berg unsichtbar wurde. Der See warf hohe Wellen, und die Schiffer hatten ihre Schiffshütten abgeschlossen, weil kein Mensch von München zu erwarten war, um als Sonntagsvergnügen eine Bootsfahrt zu unternehmen. Bei gutem Wetter hätten zahllose Boote das Ufer bei Berg besucht, um den königlichen Gefangenen zu erspähen.

      Die Einsamkeit auf dem See aber hatte wohl auch dazu beigetragen, den Todesplan, den der König für sich entworfen hatte, schon so bald zur Ausführung zu bringen.

      Das Wetter war gegen Abend heller geworden. Ich machte etwa um acht Uhr mit meiner Frau einen Spaziergang am Seeufer. Wir blickten hinüber zum Park von Berg und stellten unsere Betrachtungen über das Schicksal des Königs an.

      Zu derselben Zeit hatte er, gleichfalls das bessere Wetter benutzend, mit Dr. Gudden das Schloß verlassen, um noch vor dem Abendessen, das nach acht Uhr stattfinden sollte, einen Spaziergang im Park zu machen.

      Vor dem Schloß führt ein Weg, auf dem drei Personen bequem nebeneinandergehen können, hinunter zum Seeufer und läuft in einer Entfernung von einigen Metern vom Wasser, bald näher herantretend, bald zurückweichend, durch den ganzen Park bis zum hohen Gartentor an der Seite von Leoni. Dieses Tor ist in etwa 20 bis 25 Minuten zu erreichen. Der Weg zieht sich meist unter schattigen Buchen hin. Hie und da steht eine Bank am Wege.

      Auf diesem Wege schritten der König und Dr. Gudden hin, während ein Gendarm in einiger Entfernung folgte. Das war von Dr. Gudden, dem volle Gewalt in seinem schweren Amte gegeben worden war, angeordnet worden.

      Der Gendarm erzählte mir später, daß der König, der rechts von Dr. Gudden an der Seeseite ging, sich einige Male umgesehen und dann, etwa hundert Schritte vom Schloß entfernt, etwas zu Gudden gesagt und auf ihn, den Gendarm, gewiesen habe. Hierauf sei Gudden stehengeblieben und habe ihm energische Zeichen gemacht, zurückzubleiben. Er sei darauf stillgestanden und habe den Spaziergängern nachgeblickt, bis sie im Schatten der Bäume verschwunden waren.

      Dieser Befehl Guddens, der so verhängnisvolle Folgen haben sollte, ist als eine unverantwortliche Nachlässigkeit, als ein unerhörter Leichtsinn bezeichnet worden. Ich stimme dem zu, aber als Erklärung für den Entschluß Guddens vermag ich folgendes anzuführen. Gudden hatte durch den jahrelangen, erfolgreichen Verkehr mit Irren eine reiche Erfahrung in der Behandlung derselben. Niemals war er durch Irre angegriffen worden. Einmal nur hatte ein Irrsinniger einen Revolver gegen ihn erhoben – aber auch in diesem Falle hatte sein merkwürdig ruhiger und bestimmter Blick genügt, um ihn zu entwaffnen. Auf diesen Blick verließ sich der Arzt. Er kannte ihn als nie versagendes Besänftigungsmittel, und ihm glaubte er allein die Ruhe zu verdanken, die so schnell in dem Wesen des Königs eingetreten war. Er mochte sich auch sagen, daß er leicht imstande sein würde, einen unerwarteten Ausbruch des Königs zu besiegen.

      Unbekannt aber war es vielleicht Dr. Gudden gewesen, daß König Ludwig schon vor seinem Wahnsinn eine ebenso

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