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Die wichtigsten Werke von Julius Wolff. Julius Wolff
Читать онлайн.Название Die wichtigsten Werke von Julius Wolff
Год выпуска 0
isbn 9788027225194
Автор произведения Julius Wolff
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Achtundzwanzigstes Kapitel.
Als die Kapitularinnen im Schlosse sich zu ihrem gemeinsamen Frühmahle versammelten, fehlte Oda, und da sie als die zuletzt Eingetretene das Gebet zu sprechen hatte, so mußte auf sie gewartet werden. Man war an solche Unpünktlichkeit nicht gewöhnt, und die Äbtissin schickte die Scholastika zu der Vermißten, um nach dem Grunde ihres Ausbleibens zu forschen. Fräulein Hedwig von Hakeborn kam mit der Meldung zurück, die Erwartete würde sogleich erscheinen, und fügte auf eine Frage der Äbtissin hinzu: »Junker Florencius war bei ihr.«
»Florencius?« sagte die Äbtissin erstaunt.
»Zu dieser Stunde?« die Pröpstin.
»Und allein?« die Dekanissin.
»Nein, ihre Zofe Eilika war dabei,« erwiderte die Scholastika.
Kurz darauf trat Oda in den Saal, entschuldigte sich ihrer Säumnis wegen, nahm ihren Platz ein und sprach das Gebet. Aber sie sprach es mit einer empfindungslosen Hast und Zerstreutheit, die deutlich erkennen ließ, daß ihre Gedanken nicht bei ihren Worten waren, und ihr nach Beendigung desselben verwunderte und strafende Blicke zuzog. Während des Mahles, das die Damen in ihrer unbeschränkten Muße gern lang ausdehnten, war Oda wie umgewandelt. Bald saß sie träumerisch vor sich hinstarrend, bald ergab sie sich an Stelle ihrer sonstigen Schweigsamkeit und Niedergeschlagenheit einem sprudeln mitteilsamen Frohsinn, wie man noch gar nicht an ihr kannte. Allen fiel es auf, und alle waren mit sich einig, daß über Nacht eine seltsame Veränderung mit ihr vorgegangen und ihr etwas Außerordentliches begegnet sein müßte. Sollte sie sich wirklich über den Tod des Grafen Siegfried mit dem lustigen Stiftsschreiber Florencius trösten? dachten die einen, und die anderen: sie freut sich über die Enttäuschung und den Grimm er Äbtissin, die zu lieben sie ja wahrlich keine Ursache hat; aber was ist geschehen, daß diese Freude so plötzlich und unverhohlen zum Durchbruch kommt?
Der Äbtissin schien Odas verändertes Wesen sehr verdächtig, und sie gebot ihrer Freundin Adelheid, der Scholastika Hedwig, der sie sich auf der Reise enger angeschlossen hatte, und ihrer Kammerfrau, Oda auf Schritt und Tritt zu beobachten und ihr von deren Tun und Treiben genaue Kunde zu geben.
Niemand ahnte den wahren Grund von Odas Freude, denn niemand außer den vier Eingeweihten wußte etwas von dem in der Nacht gefaßten Entschlusse des Grafen Albrecht.
Dieser ließ am Morgen den Bürgermeister bitten, zu einer Unterredung mit ihm in seinen Kerker zu kommen. Der Bürgermeister kam, und Graf Albrecht erklärte ihm, durch Annahme der kaiserlichen Bedingungen seine Freiheit erkaufen zu wollen, wenn man ihn nach vollzogener Unterschrift und geleistetem Eidschwur heut abend der Haft entledigen und seine Freilassung bis zum nächsten Tage geheim halten wollte.
Herr Nikolaus von Bekheim glaubte dem Gefangenen die Erfüllung dieses Wunsches versprechen zu können, ließ sofort die Ratsherren in aller Stille zu einer geheimen Sitzung berufen, und bis sie kamen, eine Urkunde über den Verzicht des Grafen auf die Vogtei und über seine sonstigen Verpflichtungen und Gelöbnisse vorbereiten.
Die Sitzung verlief in Gegenwart des Grafen ruhig und würdevoll. Da mit seiner Einwilligung dem Rate ein großer Gefalle geschah, so behandelte dieser seinen ehemaligen Feind mit ausgesuchter Höflichkeit und Rücksicht. Er selber sprach kein Wort mehr, als durchaus notwendig war, und hatte für die versammelten Ratsherren nicht einen Blick. Der Bürgermeister las die Urkunde laut vor, der Graf unterschrieb sie mit fester Hand und schwur zu Gott und den Heiligen, die eingegangenen Verpflichtungen ehrlich und gewissenhaft zu erfüllen. Darauf wurde er los und ledig gesprochen und ihm die Versicherung gegeben, daß seine Freilassung bis zum nächsten Tage verschwiegen bleiben sollte.
Er wartete im Gemache des Bürgermeisters die Abenddämmerung ab und ging dann frei aus der Stadt hinaus, deren gebietender Schutzvogt er gewesen war.
Man hatte ihm sein Schwert und Panzer und Stahlhaube wiedergegeben, und damit angetan und in einen langen Mantel gehüllt schritt er in der Dunkelheit den ihm wohlbekannten Weg nach dem Wipertikloster, einsam und allein wie ein Ausgestoßener und Geächteter. Es war Ende Oktober; die frische Luft und ein kalter Sprühregen, der ihm das Gesicht netzte, taten dem aus dumpfer Haft Erlösten unendlich wohl; er blieb mehrmals stehen und weitete sich die Brust mit tiefen Atemzügen.
Von den Opfern, die er seiner Freiheit gebracht hatte, war ihm keins so schwer geworden wie seine Einwilligung in die Unabhängigkeit der Stadt Quedlinburg, die nun mit ihrem Trotz und ihrer Macht über ihn triumphierte. Der Zornmut darüber wallte jedoch nur einen Augenblick in ihm auf, als er an der zerstörten Gunteckenburg vorüberkam. Urfehde hatte er ja der Stadt glücklicherweise nicht geschworen; die Zeche, die sie jetzt bei ihm auf dem Kerbholz hatte, sollte sie ihm noch einmal mit Zins und Zinseszins bezahlen!
Ihn kümmerte jetzt Näherliegendes. Er verdankte seine Freiheit zunächst Juttas Bemühungen und wußte, welchen Lohn sie dafür von ihm erwartete. Daß er sie um diese Hoffnung betrügen mußte, schmerzte ihn tief und aufrichtig. Aber ohne Odas Wunsch und Odas Liebe hätte er den Pakt mit dem Rate nie unterschrieben.
So war seine Erlösung das Werk der beiden Frauen, die dort oben unter einem Dache wohnten, die ihn beide liebten, von denen aber die eine einen hohen Preis für seine Rettung forderte, während die andere, in reiner, selbstloser Freude, ihn frei zu wissen, nichts begehrte, nichts erwartete und nicht im entferntesten ahnte, welches Glück seine Freiheit ihr entgegentrug. Und nun war er auf dem Wege zu ihnen, um der einen das Herz mit unaussprechlicher Seligkeit zu füllen und der anderen die bitterste Enttäuschung zu bereiten.
Eine Strecke vor dem Kloster, auf dem Wege von der Stadt her, stand Bock in Dunkelheit und Regen und wartete auf seinen Herrn; aber ehe er den Grafen sehen konnte, erkannte er seinen klirrenden Schritt und eilte dem Kommenden freudig entgegen.
»Da bin ich, Bock!« sprach der Graf und drückte seinem treuen Manne die Hand, »nun führe mich zur Gräfin Oda.«
»Erst einen Trunk, Herr Graf, und eine kurze Ruhe,« erwiderte Bock; »jetzt sitzen sie im Schlosse schon beim Nachtmahl, das sie immer sehr früh einnehmen und von dem sich das gnädige Fräulein nicht so schnell entfernen kann.«
Der Graf mußte sich fügen, und erst nachdem er sich beim Prior ein wenig erfrischt hatte, stieg er mit Bock den Schloßberg hinan. Oben trat er vom Schloßhofe durch das neue, von Jutta gebaute Portal in die Krypta, wo bei den Königsgräbern und der Ruhestätte der ersten Äbtissin eine ewige Lampe brannte und den großen gewölbten Raum mit seinen schattenwerfenden Säulen matt erhellte. Hier blieb er in sehnender Erwartung der Geliebten, den Blick auf die Tür und die Stufen gerichtet, die von der hohen Basilika in die Krypta hinabführten. Bock war ins Schloß gegangen, um Florencius und Eilika zu benachrichtigen.
Endlich erschien Oda, aber nicht von der Kirche her, sondern auf demselben Wege, den Albrecht gekommen war, und von Florencius geführt, der sich gleich wieder zurückzog und die Tür hinter sich schloß, um mit Bock und Eilika vor dem Portale Wache zu halten.
Graf Albrecht schritt der Zitternden entgegen, und sie war in einer so überwältigenden Aufregung, daß sie nicht wußte, was sie tat, als sie sich seinen umfangenden Armen überließ und, das Haupt an seine Brust gelehnt, in Tränen ausbrach. So hielt er sie lange umschlossen, die Lippen auf ihren duftigen Scheitel gedrückt.
»Oda! Oda!« sprach er endlich leise, »bist du nun mein?«
Bei dem Klange seiner Stimme schrak sie auf und wollte sich von ihm losmachen. Er aber zog ihre schöne Gestalt fester an sich und sagte: »Weißt du denn nicht, Oda, daß ich dich grenzenlos liebe seit langer Zeit? daß ich nur deinetwegen aus meinem Kerker ging?«
Da schaute sie ihn an wie jemand, der aus einem tiefen Traum erwacht, sich nicht gleich besinnen kann, wo er ist, und die Worte noch nicht versteht, die zu