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saß die Äbtissin, zur Linken sein Bruder, der Bischof von Halberstadt, der sich hier zum ersten Male wieder seit dem Streit über Schwanebeck und Emeresleben seinem Nebenbuhler um die Herrschaft im Harzgau Auge in Auge gegenüberfand und diesen mit siegesfrohem Hochmut nun machtlos und vernichtet vor sich sah. Auch Albrechts Brüder waren zugegen, hatten aber ebensowenig ein Stimmrecht wie der Bürgermeister mit dem gesamten Rate, der als Kläger auftrat. Außerhalb der Schranken standen viele Ritter und Edle und unzähliges Volk.

      Herzog Otto von Braunschweig waltete seines Richteramtes mit Gerechtigkeit und Milde und leistete dem tödlichen Hasse seines Bruders gegen den Beklagten keinerlei Vorschub. Unter den fürstlichen und gräflichen Schöffen waren Freunde und Feinde des Grafen, aber die adligen Zuschauer hielten es fast sämtlich mit ihm, der ihnen das Spiegelbild eines ritterlichen Kriegsmannes war, und mit dessen Demütigung sie sich selber tief gekränkt fühlten, denn die Städter waren ihre geborenen Feinde.

      Drei verschiedene Forderungen wurden gestellt. Der Bischof und seine Helfer begehrten den Tod des Grafen Albrecht. Der Bürgermeister verlangte namens der Stadt seine ewige Gefangenschaft, Befreiung Quedlinburgs von jeglicher Schutzvogtei, Einziehung der Regenstein'schen Häuser und Höfe innerhalb des städtischen Weichbildes und Erbauung von zwölf Mauertürmen auf Kosten des Grafen, bei Ablehnung dieser Bedingungen aber seinen Tod. Die Äbtissin und die Freunde des Grafen forderten seine Freilassung gegen Zahlung eines Lösegeldes, und auch er selber wollte sich zu keiner anderen Bedingung verstehen.

      Es wurde lange und hart darum gestritten. Als aber das Urteil gefunden werden mußte, weil die Sonne sich neigte, war eine Stimmenmehrheit für den einen oder andern Antrag nicht zu erzielen, und der Herzog bestimmte nun aus eigener Machtvollkommenheit, daß über die drei gestellten Forderungen und ihre Begründungen ein ausführliches Schriftstück aufgesetzt und unter Vorlegung desselben die Entscheidung des Kaisers angerufen werden sollte.

      Da erhob sich die Äbtissin und sprach mit lauter Stimme: »Und ich werde es sein, die zum Kaiser geht und seinen Spruch einholt! Gewährt mir die Gunst, erlauchte und edle Herren! Der Graf ist mein Schirmvogt, und so habe ich das Recht und die Pflicht, für ihn zu sprechen, und daß ich die volle Wahrheit sprechen werde, gelobe ich euch bei meiner fürstlichen und fraulichen Ehre!«

      Wie sie hoch aufgerichtet dastand, schön und mutig, die einzige Frau im Kreise der Fürsten und Grafen, und mit stolzen Augen vom einen zum andern blickte, da wagte es keiner, ihr die Bitte zu versagen, obwohl es manche von ihnen übel zufrieden waren, daß der, dessen Untergang sie wünschten, eine so schöne und verführerische Frau zum Anwalt am Hofe des Kaisers haben sollte. Die Äbtissin wurde zur Gesandtin an Kaiser Ludwig gekürt, und damit hatte die Hegung des Fürstengerichtes ein Ende. Das Ding unter dem hohen Baume wurde geschlossen und Graf Albrecht unter starker Bedeckung in seinen Kerker zurückgeführt.

      Dieser Kerker war längst nicht mehr die gemauerte Zelle im Erdgeschoß, in die man den Grafen bei seiner Einbringung gesperrt hatte, sondern ein aus dicken Fichtenbohlen gezimmerter und mit starken Eisenbändern verwahrter Kasten auf dem Boden unter dem Dache des Rathauses von acht Fuß im Geviert und etwas über sechs Fuß Höhe. Er hatte ein kleines vergittertes Guckloch und eine noch nicht zwei Fuß hohe, eisenbeschlagene Tür und im Innern eine Bank und eine Schließkette.

      In diesem Kasten und an dieser Kette lag nun Graf Albrecht von Regenstein, der mächtigste Mann und tapferste Held im Gau, wehrlos, beinah lichtlos, ein gefesselter Löwe.

      Als er den schweren Gang zum Gericht unter dem hohen Baume antreten mußte, gedachte er des Tages, da er mit Siegfried von der Belehnung mit Burg Gersdorf kommend dort vorüber ritt, und sein treues Roß an jener Stelle scheute, und er zu Siegfried sagte: »Gott verhüte, daß jemals ein Regensteiner als Verklagter unter dieser Linde stehen muß!« Von da war er nach dem Rathause geritten, hatte vor dem versammelten Rat mit der Eisenfaust auf die Brüstung der Schranke gedonnert und ihn mit derben, befehlenden Worten zur Aufhebung des bischöflichen Aftergerichtes gezwungen.

      Und nun? Nun hatte er selber unter jener Linde gestanden, mit dem Tode oder ewiger Gefangenschaft bedroht, in der Gewalt desselben Rates, den er vor sich zittern gesehen hatte. Der freie Bergluft zu atmen, sich fröhlich im Sattel zu wiegen und Hufschlag und Waffenklang zu hören gewohnt war, der stak nun in einem dumpfen Käfig, in dem er nicht vier Schritte machen konnte und nichts anderes hörte, als das Rasseln der Kette, an die er mit einem Fuße angeschlossen war. Sein Kerkermeister gab ihm auf alle seine Fragen keine Antwort, kein anderer Mensch nahte seinem Gefängnis, keinen der Seinigen ließ man zu ihm, auch während des Gerichts hatte niemand mit ihm reden dürfen; er hatte keinen Trost in seiner schauerlichen Einsamkeit.

      Wohl hing er am Leben, wohl lockte ihn die Freiheit, aber daheim auf seiner Felsenburg war es öde geworden. Siegfried war tot, und Oda war fort vom Regenstein. Zwar hatte Siegfried im offenen, ehrlichen Kampfe einen tapferen Reitertod gefunden, wie als selber ihn sich nicht schöner wünschen konnte. Was aber diesen Tod des Bruders so schrecklich für ihn machte, das waren des Sterbenden letzte Worte: »Albrecht, nun bin ich euch nicht mehr im Wege!«

      Wenn es denkbar gewesen wäre, daß Siegfried um Albrechts Liebe zu Oda gewußt hätte und mit der Bitternis im brechenden Herzen aus dem Leben geschieden wäre, Albrecht hätte ihn in den Tod gesandt, um sich des Bruders zu entledigen und den Weg zu Oda frei zu haben, dann könnte er seines Lebens keine Stunde mehr froh sein. Der Befehl, die ihm in den Rücken fallende Reiterei des Feindes aufzuhalten, war ein richtiger gewesen. Sieg oder Niederlage standen auf dem Spiele, bei dem jeder der Regenstein'schen Brüder, ob Siegfried oder ein anderer, sein Leben einsetzen mußte und eingesetzt hätte. So gut wie Bock, der sich niemals schonte, und eine, wenn auch kleine Zahl seiner Mitstreiter konnte auch Siegfried den Kampf überstehen, wenn es das Schicksal gewollt hätte. Trotz alledem durfte Albrecht den Befehl nicht Siegfried geben, seiner selbst wegen und Odas wegen.

      Seine tiefsinnige Liebe zu ihr war jetzt sein einzig Gut, sie kürzte ihm die peinvoll langen Stunden und erfüllte seinen dunklen Kerker mit Sonnenglanz. O daß er zu ihr könnte, sie zu trösten! daß er mit ihr entfliehen könnte, sie zu schützen! er wollte nichts von ihr begehren, als um sie zu sein und mit ihr plaudern zu dürfen wie oben auf der einsamen Felsbank des Regensteins. Auf ihre Liebe durfte er ja niemals hoffen, auch wenn er frei wäre, aber auch ungeliebt wollte er ihr sein Leben weihen, wenn er noch darüber verfügt hätte. Haßte sie ihn aber, verabscheute sie ihn um Siegfrieds willen, dann nützte ihm, dann galt ihm auch Leben und Freiheit nichts mehr.

      Zuweilen sah er auch Juttas leuchtende Gestalt durch das Düster seiner Nächte schweben, doch ohne Sehnsucht und Verlangen nach ihr, nur mit dem Gefühle aufrichtiger Dankbarkeit. Sie hatte im Fürstengericht mit offenem Visir für ihn gekämpft, unbekümmert um das boshafte Lächeln des Bischofs und die verwunderten Augen der anderen, denen sie mit der Leidenschaftlichkeit seiner Verteidigung ihre Neigung zu dem Beklagten deutlich genug verriet. Sie hoffte noch auf seine Rettung und hatte es entschlossen auf sich genommen, selbst den Kaiser dafür zu gewinnen; sie hoffte – mit Trauer und Sorge dachte er daran – auch noch auf ihn selbst. Ach! er hätte ihr gern zu ihrem Sitz unter der breitästigen Linde hinüber gerufen: Spare den Weg und die Worte; wenn du mich auch rettest, dir bin ich doch verloren.

      Jutta hatte eine Art zu bitten, der zu widerstehen es einer mit dreifachem Erz gepanzerten Brust bedurfte, und Kaiser Ludwig der Bayer war nicht blind und taub für spielende Frauenaugen und schmeichelnden Frauenmund. Durfte Albrecht aber die Freiheit aus Juttas Händen nehmen und dann nach einem trockenen Habedank damit abgehen?

      Während er darüber sann und grübelte, befand sich die Äbtissin schon auf der Reise, deren nächstes Ziel die Wartburg war. Dort wollte sie ihre hohe Gönnerin, die Landgräfin Mathilde von Thüringen, um eine schriftliche Verwendung bei deren Vater, dem Kaiser bitten, damit sie sich eines gnädigen Empfanges bei ihm zu versehen habe. Sie baute auf die Großmut des ritterlichen Kaisers, wie sie kürzlich sein eigener Gefangener von ihm erfahren hatte. Seinen Jugendfreund und späteren Gegenkönig, Friedrich den Schönen von Österreich, den der Sieg des tapferen Schweppermann auf der Amfinger Heide in seine Hände lieferte, hatte er aus jahrelanger Haft erlöst, als Bruder in die Arme geschlossen und zum Mitregenten ernannt. Von dieser Hochherzigkeit erhoffte Jutta nun einen kaiserlichen Machtspruch zugunsten des Gefangenen der Stadt Quedlinburg.

      Auf

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