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sie mit Bock im Schritt von den Weinbergen dahergeritten kommen, gefolgt von einer kleinen Schar Reiter und Fußknechten, die einen Verwundeten trugen. Ach! es war kein Verwundeter, sondern ein Toter, ihr Bruder Siegfried. Und als er bei ihnen war und die geliebten Züge des Gefallenen erkannte, mußte er den Brüdern zu ihrem und seinem unsäglichen Schmerze noch das Schreckliche melden, daß Albrecht lebend in den Händen der Feinde war.

      Da wollte ihnen das Herz stillstehen vor Jammer und Not. Gebrochenen Mutes zogen sie zusammen mit der Leiche des Bruders weiter nach dem Wipertikloster, und kein Feind behelligte sie auf dem traurigen Wege. In der Klosterkirche betteten sie den Entschlafenen vor dem Altar auf eine Lade, und als sie ihn entkleideten, um zu sehen, an welcher Wunde er verblutet war, fanden sie auf seiner Brust unter dem Harnisch einen welken Kranz von Eichenlaub und Efeu, mit einem verblichenen goldgestickten Bande umwunden. Die Brüder kannten diesen Kranz und legten ihn wieder an dieselbe Stelle, an der sie ihn gefunden hatten. Ein Gepanzerter und ein Mönch übernahmen die Totenwache, und ein Knecht wurde nach Kloster Michaelstein geschickt, damit man dort eine neue Gruft bereite für einen Grafen von Regenstein. –

      In Quedlinburg stand alles Volk auf den Gassen in den Türen und an den offenen Fenstern, um den gefangenen Grafen vorbeikommen zu sehen. Es war ein endloser Zug, der ihn einbrachte. Voran der Stadthauptmann mit gepanzerten Reitern, dann eine Rotte Speerträger zu Fuß mit dem Stadtbanner, darauf der Gefangene, umgeben von den Bürgern und Knechten, die ihn in den Hackelteich getrieben und dort ergriffen hatten; nach ihnen die bischöflichen Reiter, die ihn von der Leiche seines Bruders Siegfried aufgeschreckt und zuerst verfolgt hatten, und endlich fast die gesamte Kriegsmacht beider Städte. Düsteren Angesichtes, den Blick nicht vom Boden erhebend, schritt Graf Albrecht dahin. Ein kleiner Teil derjenigen, die ihn so sahen, ehrten sein Unglück durch tiefes Schweigen, die meisten aber empfingen ihn mit lautem Murren, Schimpfreden, Verwünschungen und drohend erhobenen Fäusten. Neben- und hinterher drängte die Menge und schob und wälzte sich wie eine mächtige Welle brausend nach dem Markte hin, wo auf der breiten Rathaustreppe Bürgermeister und Rat versammelt waren. Ihre finsteren Mienen weissagten nichts Gutes, als der Graf an ihnen vorüberging, ohne sie eines Blickes zu würdigen. Gesprochen wurde kein Wort; das enge Kämmerlein für den lange gefürchteten, endlich gebeugten Feind der Stadt war bereit. Er ließ sich widerstandslos hineinführen, die schwere Eisentür schlug hinter ihm zu, Schloß und Riegel klirrten, – er war allein.

      Die Dämmerung sank über den Unglückstag herab. In der Zelle des Priors zu Sankt Wiperti saßen die drei Brüder mit Bock bei ernster Beratung. Sie wollten die Nacht hierbleiben, und morgen wollte Bernhard Unterhandlungen mit dem Rat über Albrechts Lösung anknüpfen und die Äbtissin um ihren Beistand anrufen. Bock erklärte, nicht aus dem Kloster weichen zu wollen, solange sein Herr ich Quedlinburg gefangen wäre.

      Da kam ein Abgesandter des Rates mit zwei Reisigen und begehrte Bernhard zu sprechen, dessen Aufenthalt im Kloster man erfahren hatte. Der Gesandte erklärte, daß Bürgermeister und Rat von den Regenstein'schen Grafen und ihren Verbündeten die Einstellung aller Feindseligkeiten erwarteten. Beim ersten Angriff auf die Stadt oder beim schwächsten Versuche, den Gefangenen mit Gewalt zu befreien, würde Graf Albrechts Haupt von Henkershand fallen.

      Sechsundzwanzigstes Kapitel.

       Inhaltsverzeichnis

      Noch am Abend, gleich nach der Einbringung des Grafen Albrecht, war der Stiftshauptmann Willekin von Herrkestorf zur Äbtissin aufs Schloß gekommen und hatte ihr das große Ereignis gemeldet. Sie hatte, den Kampf tagsüber mit ihren Damen von der Höhe des Schlosses verfolgend, wohl gesehen, daß die Regensteiner geschlagen wurden, das aber als einen der vielen Wechselfälle des Krieges genommen, die heute dem Feinde, morgen dem Freunde den Sieg verleihen. Bei der Nachricht des Stiftshauptmanns nun, die er zweimal wiederholen mußte, ehe die Äbtissin sie faßte und glaubte, geriet sie in eine schrankenlose Wut über die unerhörte Frechheit der Quedlinburger, ihren Schirmvogt gefangen einzusperren. Sie verlangte seine augenblickliche Freilassung und wollte den Stiftshauptmann mit diesem Befehle nach dem Rathause schicken. Herr Willekin unterdrückte kaum ein spöttisch mitleidiges Lächeln und erlaubte sich die Bemerkung, daß der wohledle Rat diesem Befehle der gnädigen Frau wohl nicht so schnell nachkommen dürfte.

      »So gewährt ihm wenigstens ein ritterlich Gefängnis,« begehrte sie. »Schickt ihn hier herauf zu mir und nehmt Sicherheit von ihm und mir, daß er vor Zahlung des Lösegeldes dies Schloß nicht verläßt.«

      Auch auf Erfüllung dieses Wunsches konnte ihr der Stiftshauptmann keine Hoffnung machen, deutete vielmehr an, daß der Graf durch bloße Erlegung eines noch so hohen Lösegeldes seine Freiheit schwerlich wieder erlangen würde.

      »Ja, was wollt ihr denn von ihm?« frug die Äbtissin. »Ihr werdet doch ehrlich Fehderecht gelten lassen?«

      »Man spricht von einem Gericht unter dem hohen Baume,« erwiderte Herr Willekin.

      »Oho, Herr Stiftshauptmann!« fuhr die Äbtissin auf, »soll's da hinaus? unterfängt sich die Stadt, von dem Gericht unter dem hohen Baume zu reden? Kaiser und Reich ruf' ich gegen sie an, wenn sie es wagt! Aber Ihr seid nicht die Stadt; laßt Bürgermeister und Rat selber kommen; mit denen werden wir uns abzufinden wissen.«

      Damit entließ die zürnende Fürstin ihren Stiftshauptmann.

      Von dem Gerichte unter dem hohen Baume sprachen nur die Gerechteren und Besonneneren in der Stadt, die Rachsüchtigen, Blutdürstigen, welche die Mehrzahl bildeten, und der gemeine große Haufe forderte ohne weiteres den Tod des Grafen.

      Der Rat hielt noch am Abend eine Sitzung, in der man sich hauptsächlich mit dem sicheren Gewahrsam des gefährlichen Mannes beschäftigte und den Beschluß faßte, einen besonderen, sehr starken Käfig für ihn bauen zu lassen, um sein Entkommen zur Unmöglichkeit zu machen, wie die einen sagten, und um die Erstürmung seines jetzigen Kerkers und die Tötung des Gefangenen durch das erregte Volk zu verhindern, wie die anderen hinzusetzten. Dem Gildemeister der Zimmerer ward die Ehre zuteil, einen solchen Käfig schleunigst anfertigen zu müssen.

      In der Stadt wollte der Jubel heute kein Ende nehmen; auf Markt und Gassen wogte das Volk und erzählte sich die abenteuerlichsten Geschichten von ›Albert von Regenstein‹, wie es ihn gemeinhin nannte, und die halbe Nacht hindurch währten die Freudenfeste und Trinkgelage, bei denen die tapferen Spießbürger, die den wehrlos im Hackelteiche Versunkenen ergriffen hatten, als Helden gefeiert wurden.

      Bei den Kapitularinnen auf dem Schlosse fand das Unglück ihres Schirmvogtes eine ungleiche Teilnahme. Die Pröpstin Gräfin Kunigunde von Woldenberg und die Dekanissin Gertrud von Meinersen, die manchen Spott von ihm selber und manche Kränkung seinetwegen von der Domina hatten erdulden müssen, gönnten ihm die tiefe Demütigung aus dem Grunde ihrer altjüngferlichen Herzen und machten auch, um die Domina zu ärgern, kein Hehl aus ihrer Schadenfreude. Die übrigen nahmen alle tiefen, aufrichtigen Anteil an seinem traurigen Geschick. Keine aber war so von Schreck und Schmerz darüber ergriffen, wie Gräfin Oda von Falkenstein, obwohl sie aus den Äußerungen der in solchen Dingen besser bewanderten Äbtissin, deren Wut auf die Quedlinburger größer war als ihre Sorge um den Eingekerkerten, die Hoffnung schöpfte, daß das Leben des Geliebten nicht bedroht wäre. Aber daß er geschlagen, niedergeworfen und gefangen war, auf Gnade und Ungnade in den Händen seiner Feiner, – er, der Kriegsgewaltige, Sieggewohnte, bisher Unbezwingbare, – das schon machte sie trostlos und wollte sie gar zur Verzweiflung bringen, wenn sie sich in seine Stelle hineindachte. Sie suchte sich jedoch den anderen, namentlich der Äbtissin gegenüber, zu beherrschen, um ihnen nicht ihre Liebe zu Albrecht auf ähnliche Weise zu verraten, wie es an jenem Morgen nach Albrechts Hinabsteigen vom Felsen Siegfried gegenüber geschehen war.

      Am Morgen kam Graf Bernhard von Regenstein zur Äbtissin und fand sie in Gesellschaft der Kanonissin Gräfin Adelheid von Hallermund und Odas. Er setzte die Kenntnis alles Geschehenen bei der Fürstin voraus und erbot sich dazu, was sich eigentlich von selbst verstand, die Schutzvogtei des Stiftes für seinen gefangenen Bruder zu übernehmen. Die Äbtissin willigte dankend ein, und er merkte wohl, daß sie seinem Erbieten nur geringe Wichtigkeit beilegte

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