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habt gesandt?« fuhr die Äbtissin auf. »Ihr wollt sagen, Herr Bürgermeister, Ihr bittet mich um Erlaubnis, ob Ihr eine Botschaft senden dürftet.«

      »Wir haben sie bereits abgesandt, hochwürdige Domina!« erwiderten jetzt beide Herren zugleich.

      »Und das ohne mich darum zu fragen?«

      Nikolaus von Bekheim bejahte mit einer kühlen, stolzen Bewegung des Hauptes.

      »Wir wußten Eure Antwort auch ohne Frage, gnädige Fürstin,« sagte Werner Scheerenschmid.

      »Und der Herzog von Braunschweig, der Bruder des Bischofs, des ärgsten Feindes vom Grafen Albrecht, soll den Spruch fällen? Und das nennt Ihr Recht sprechen?«

      »Ihm steht jetzt die Hegung des Fürstengerichtes zu,« erwiderte der Bürgermeister, »und in Volkes Mund heißt er Otto der Milde.«

      »Euch wäre wohl lieber, wenn er Otto der Strenge hieße, Herr Bürgermeister?« sprach die Äbtissin höhnisch. »Nun, auch ich habe Sitz und Stimme im Fürstengericht. Also auf Wiedersehen unter dem hohen Baume, wohlweise Herren!«

      Und wütend wandte sie den beiden den Rücken.

      Da wäre jedes weitere Wort verloren gewesen. Das Fürstengericht war angerufen; seinem Spruche konnte man nicht vorgreifen. Vor allem kam es darauf an, ein Todesurteil über Albrecht zu verhüten. Blieb er am Leben, wenn auch in Haft, so blieb auch seine Befreiung, sei es früher oder später, sei es durch List, Bestechung oder Gewalt, immerhin eine Möglichkeit, in deren Voraussucht Jutta ihre Hoffnung unter anderm auch auf das schnelle Umschlagen der Gunst oder Ungunst des gemeinen Volkes baute. –

      Am andern Tage, zu der Stunde, da man Siegfried in der Reihe seiner Ahnen zur Ruhe bestatten wollte, hielt die Äbtissin mit Adelheid und Oda, dem Stiftshauptmann und dem Stiftsschreiber nebst einigen Knechten, sämtlich zu Pferd, auf einer Waldblöße unter dem Regenstein, auf den man die Leiche inzwischen gebracht hatte. Jutta sah nicht aus wie eine Leidtragende; sie schoß zuweilen einen beobachtenden Blick auf Oda, war unstet und zerstreut, und ihre drei Begleiter, die sie schon länger kannten, schlossen aus ihrem Wesen und Gebaren, daß sie etwas Besonderes vorhaben mußte. Bald kam der Zug langsam den Burgweg daher, und die Wartenden stiegen ab, um sich zu Fuß anzuschließen.

      Acht Gepanzerte aus der Zahl derer, die jenes todbringende Reitergefecht überstanden hatten, trugen den bekränzten Sarg, hinter welchem zunächst Ritter Bock von Schlanstedt zwischen zwei Reisigen mit Siegfrieds Helm, Schild und Schwert einherschritt; ihnen folgte der Waffenmeister Klinkhard, Siegfrieds Roß am Zügel führend. Dahinter gingen die Brüder Bernhard mit seiner Gemahlin Reginhild, Ulrich, der aus Hildesheim gekommen war, Poppo und Günther; sie nahmen nun die drei Damen in die Mitte, und Willekin von Herrkestorf schloß sich mit Florencius ihnen an. Reisige und Knechte in Wehr und Waffen machten den Schluß.

      So trugen und geleiteten sie den toten Heldenjüngling im hellen Sonnenschein durch den herbstlich buntgefärbten Wald, den er unzählige Male zu Fuß und zu Roß durchstreifte, mit Armbrust und Jagdspieß durchbirscht und an Odas Seite fröhlich durchwandelt hatte.

      An der Biegung des Weges stand der weißbärtige Abt von Michaelstein mit seinen Mönchen, und aus dem stillen Tale hallte in langsamen Schlägen der Klang der Klosterglocke. Die Mönche schritten nun unter Anstimmung eines feierlichen Sterbegesanges dem Zuge voran nach dem Kloster und bis vor die offene Gruft in der Mauer des breiten Kreuzganges. Dort setzten die Reisigen den Sarg nieder, der Abt sprach tief empfundene und tief ergreifende Worte, und dann vertrauten sie unter lauten Gebeten, unter Litaneien und Responsorien die sterbliche Hülle der geweihten Stätte ewigen Friedens.

      Die Trauernden knieten zu einer stillen Andacht am Grabe nieder und erhoben sich dann, um den Mönchen und einigen Werkleuten zur Schließung desselben Raum zu geben.

      Dieser Augenblick war die von der Äbtissin ausersehene Gelegenheit, Oda auf die Probe zu stellen. Wie von einer plötzlichen Eingebung erleuchtet, wandte sie sich an die von aufrichtigem Schmerz Gebeugte und sprach mit einem feierlich sanften Tone, doch so, daß die Umstehenden es hören mußten: »Gräfin Oda! was wir alle wissen, brauchen wir jetzt und hier nicht mehr zu verschweigen. Mehr als alle Lebenden habt Ihr in diesem edlen Toten verloren. Wir andern nahmen hier von einem Bruder und Freunde den letzten Abschied, Ihr aber habt mit ihm Eure Liebe begraben. Gewiß habt Ihr schon in Eurem stillen Gebet dem Andenken des Geliebten Eure Seele geweiht, aber laßt dem Toten zu Ehren uns Zeuge sein von Eurem hohen Gelübde, niemals einem anderen Manne anzugehören, nachdem der dahingegangen ist, dessen Herz Euch und dem Euer Herz zu eigen war.«

      Wie unter den Bissen einer Schlange, die sich aus den Kränzen an Siegfrieds Grab hervorwand, hatte Odas Herz bei den verfänglichen Worten der Äbtissin gezuckt, und im Innersten empört über diese Tücke, deren Ausfluß und Ziel sie wohl erkannte, wollte Oda schon der Arglistigen den letzten Wunsch Siegfrieds, den er ihr beim Abschied auf dem Schloßberge zu Quedlinburg wie ein Vermächtnis auf die Seele gebunden hatte, ins Angesicht schleudern. Aber eine unbestimmte, ahnungsvolle Scheu und Reginhilds stumme ängstlich abratende Erwiderung ihres hilfesuchenden Blickes hielt sie davon zurück, und die Hand auf den stürmenden Busen gepreßt, antwortete sie mit bebender Stimme: »Was ich mir und dem Toten gelobt habe, das weiß nur Gott, soll nur Gott wissen.«

      Aber damit gab sich die Äbtissin nicht zufrieden; das konnte alles und nichts sein von dem, was sie verlangte. Ihre Absicht verfolgend sprach sie eindringlich: »Was Gott wohlgefällig ist, soll es auch den Menschen sein, und warum sollen wir nicht wissen, was Ihr Euch gelobt habt, wir, die wir Euch dabei zu Hilfe und Trost gereichen können?«

      Oda kämpfte, ob sie reden oder schweigen sollte.

      Da trat der greise Abt vor und sprach mit mildem Ernste zur Äbtissin: »Was ein demütig trauernd Herz mit seinem Gotte abzumachen hat, ist ein heilig Geheimnis, da hinein soll sich keines Menschen Fürwitz und irdisch Begehren drängen. Das Fräulein tut recht, wenn es uns sein brünstig Gebet verschweigt. Euch aber bitt' ich, gnädige Domina, störet nicht die Ruhe der Toten!«

      Die Äbtissin, im Unmut, nicht zu ihrem Ziele gelangen zu sollen, und durch die Zurechtweisung des Abtes gereizt, entgegnete herrisch: »Hochwürdiger Abt, eben für die Ruhe des Toten erwarten wir von unserer Konventualin dieses Gelübde als ein Opfer, das sie ihm schuldig ist, weil er um ihretwillen aus dem Leben schied.«

      Jutta wußte nicht, was sie mit diesen bitteren Worten sagte. Sie meinte, daß die Quedlinburger Fehde, in der Siegfried seinen Tod gefunden, nur eine Folge von Odas Gefangenhaltung auf dem Regenstein gewesen wäre, aber Oda verstand es anders. Für sie lag in den Worten der Äbtissin die Behauptung, daß er in der Verzweiflung verschmähter Liebe den Tod gesucht hätte. Sie hatte sich immer noch mit aller Macht dagegen gesträubt, seine Abschiedsworte so zu deuten, aber nun – an seinem Grabe, vor seinen Brüdern und vielen anderen Zeugen ihr laut und schonungslos vorgehalten – ward es ihr zur schrecklichen Gewißheit und mahnte sie wie eine Blutschuld, die als Sühne den Verzicht auf alles Glück der Zukunft von ihr fordern durfte.

      Schon wollte sie wankend zur offenen Gruft schreiten, um das Gelübde abzulegen, als Reginhild, die Odas wahre Liebe kannte, herzusprang, sie mit Armen umfing und ausrief: »Kein Gelübde, Oda! ich beschwöre dich! ich kenne dein Herz, und Gott kennt es; ihm vertraue dein Schicksal!«

      In ihren Armen führte sie die nicht Widerstrebende den Kreuzgang entlang mit sich fort; aber in dem Blicke, den Jutta ihr nachsandte, war alles Gift ohnmächtiger Wut und unversöhnlicher Feindschaft gemischt.

      Einer atmete auf, der mit Schrecken den Schwur der Entsagung von Odas Lippen zu hören gebangt hatte – Bock von Schlanstedt. Mehr als Reginhild wußte er, aber das Wort eines Sterbenden hielt seine Zunge gebunden.

      Siebenundzwanzigstes Kapitel.

       Inhaltsverzeichnis

      Wochen waren vergangen, ehe das Fürstengericht unter dem hohen Baume zu Quedlinburg endlich versammelt war. Alle Fürsten und Grafen des Harzgaues und der benachbarten Gaue und Herzogtümer waren dazu erschienen und

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