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er zu seinem größten Schrecken in der Nacht nach seiner Rückkehr von Quedlinburg, nach dem Abend, da er Oda die Glockenblume ins Haar gesteckt hatte. Von dem Augenblick an, wo er sich darüber klar wurde, daß nicht Mitleid mit dem Lose der Enterbten oder das Gefühl ritterlicher Pflicht gegen eine Schutzbedürftige oder aber eine der künftigen Schwägerin schnell entgegenkommende Freundschaft der Grund und Boden seiner Empfindungen war, sondern daß diese nichts anderes als sehnende Liebe waren, von dem Augenblick überfiel ihn eine wahre Gewissensnot bei dem Gedanken an seinen Bruder Siegfried, von dessen Liebe zu Oda er überzeugt war, und dessen Hoffnung auf ihren Besitz er selber geweckt und genährt hatte. Jetzt mit den Wünschen des eigenen Herzens dazwischen zu treten, dünkte dem geradsinnigen Mann ein Verrat an dem Bruder. Hier war das einzig Rechte, das einzig Pflichtgetreue und Ehrenhafte völlige Entsagung, wozu er mit ehrlichem Willen auf der Stelle bereit war, ohne zu erwägen, ob die Ausführung dieses edelmütigen Vorsatzes nicht vielleicht die seelische Kraft auch eines Mannes wie er übersteigen könnte.

      Als er am Morgen nach dieser schlummerlosen Nacht mit Oda zusammentraf, vermied er, wie von einer Schuld gedrückt, ihren Blick und sprach äußerst wenig mit ihr. Gleich nach dem Frühmahl ließ er satteln und warf sich aufs Pferd, um sich Ruhe zu erreiten und einen Entschluß abzuringen. Ohne Begleitung ritt er fort und achtete nicht des Weges, wohin seines Rosses ruhiger Schritt ihn trug, das er mit keiner Handbewegung lenkte, mit keinem Schenkeldruck zum Laufen trieb. Wie im Traume ritt er dahin, so in Gedanken verloren, daß er nichts um sich sah und hörte als Oda, immer nur Oda. Er rief sich jeden Tag, jede Stunde, jeden Augenblick des Zusammenseins mit ihr in die Erinnerung zurück von ihrer Ankunft auf der Burg bis zu dem gestrigen Gute-Nacht-Gruße, den sie ihm mit leiser Stimme und, wenn er sich nicht getäuscht, mit einem sanften Händedruck erwidert hatte.

      Sie konnte nicht ahnen, daß er sie liebte, – so sagte er sich. Getan hatte er noch so viel wie nichts für sie, und sicher nur in der Hoffnung, daß er noch etwas für sie tun würde, war sie so freundlich gegen den Burgherrn, in dessen Gewalt sie sich befand, vielleicht auch, weil er Siegfrieds Bruder war. Woher sollten denn auch andere Gefühle für ihn in ihre jungfräuliche Brust kommen? und wie konnte sein Herz nur die unbegreifliche Torheit und den unverzeihlichen Frevel begehen, sich in die schlanke Lilie, Siegfrieds künftige, hoffentlich baldige Braut zu verlieben?

      Er seufzte tief auf und reckte und hob sich im Sattel empor; aber mit einem Ruck zog er die Zügel an, daß sein Pferd zusammenfuhr, als hätte er es von einem Abgrunde zurückgerissen; er hielt dicht vor Quedlinburg, ohne zu wissen, wie er dahingekommen war; da oben, nahe vor ihm, ragte das Schloß der Äbtissin.

      Brun hatte ihn unbemerkt denselben Weg zurückgetragen, den er gestern geritten war. Sprach durch das edle Tier die Stimme seines Schicksals? Wollte es ihn zur Äbtissin zurückführen, daß er seinen Frieden mit ihr machte, ihr die Lauenburg freiwillig herausgäbe, um sie aus der Hand der Fürstin in Huld und Gnaden als ein rechtes Lehen zurückzuempfangen? Graf Albrecht gab etwas auf Ahnungen, und Roß, Hund und Habicht waren ihm Freunde, auf deren natürlichen Spürsinn er sich gern verließ, ihren stummen Weisungen mit abergläubischem Vertrauen folgend. Hatte hier sein treues Roß wieder einmal für ihn entschieden und ihm den Weg, den er einzuschlagen hatte, vorbedeutend gezeigt?

      Mit sich zu Rate gehend, blieb er auf dem Flecke halten, und es war leicht möglich, daß ihn Juttas scharfe Augen von ihrem Fenster aus entdeckten; aber es kümmerte ihn nicht, was sie über sein Erscheinen hier nach dem gestrigen Streite denken mochte, und ob sie es für Reue und Verlangen nach Versöhnung oder für Kundschafterei gegen sie und die Stadt hielt.

      Wie aber, wenn sie ihm von da oben ins Herz blicken könnte und nun das bewahrheitet fände, was sie in Wallungen der Eifersucht geargwöhnt hatte, ehe es vorhanden war, was sie ihm ins Gesicht gesagt und er geleugnet hatte, – seine heimliche Liebe zu Oda!

      Hatte ihn sein kluges Roß nun hierher getragen, um ihn der Spottsüchtigen gegenüberzustellen mit dem demütigen Bekenntnis, daß sie recht behalten hätte, und er nun Abbitte leisten wollte?

      Er klopfte seinem Pferde den Hals und strich ihm die Mähne. »Was meinst du, Brun?« sprach er leise. »Sollen wir hinaufgehen zu unserer gnädigen Frau, sie um Verzeihung bitten und wieder Frieden und Freundschaft mit ihr schließen?« Brun nickte mit dem Kopfe. »Ja, du hast gut nicken, Brun! Du kennst sie nicht, du hast dich noch nicht mit ihr gezankt, hast ihr noch nie in die großen, dunklen Augen gesehen, wenn sie im Zorne Feuer und Flamme sprühen. Brun, wenn ich jetzt vor sie hinträte und ihr Herz und Hand fürs Leben böte! Dann wäre ich gebunden auf ewig, dürfte an keine andere mehr denken und wäre gefeit und gefestet gegen eine törichte Liebe, vor der ich mich anders nicht zu wahren weiß. Das wäre das sicherste Mittel, das holde Mädchen auf unserer Burg vor dem Sehnen und Sehren meines toll gewordenen Herzens zu schützen und unserem Siegfried sein Glück und seine Liebe zu retten. Hinauf zur schönen, liebeglühenden Domina, ein Wort zu ihr, – und alles wäre entschieden. Brun, sollen wir den Gang gehen?« Brun schüttelte, daß ihm die Mähne flog und Zaum und Kette klirrte. »Nein, Brun? das wilst du nicht?« rief der Graf freudig. »Du willst die stolze Jutta nicht zur Herrin? hast du denn Oda nicht lieb und unsern Siegfried? Brun, du bist ein ebensolcher Narr wie ich; komm! laß uns umkehren und sehen, was Oda macht.« Aber Brun wandte sich nicht, sondern fing an mit dem Fuße zu scharren. »Hoho! also doch vorwärts?« lachte der Graf. »Sollen wir vielleicht dem trutzigen Städtlein da den roten Hahn aufs Dach setzen, seine Tore einrennen, seine Mauern stürmen und dem hochmütigen Bürgerpack die Fehde künden, ehe sie uns den Absagebrief senden?« Brun hob die Nüstern und stieß ein Wiehern aus, das wie ein herzhaftes Lachen klang. Graf Albrecht mußte unwillkürlich einstimmen. »O Brun, du lustiger Herold!« rief er, »diesmal geht es nicht nach deinem Roßkopfe; wir reiten nicht aufs Schloß zur Domina und nicht zum Hohen Tor hinein aufs Rathaus. Komm, komm! Oda ist allein zu Hause.«

      Er wandte den Braunen und trabte heimwärts, und wie er den Blick immerfort auf den Regenstein geheftet hielt, um so bald wie möglich Odas fern schimmernde Gestalt vielleicht wieder wie gestern auf der Höhe des Felsens zu erspähen, so richtete er auch alle seine Gedanken auf sie. Und als er über die Zugbrücke ritt, hatte er alles vergessen, was geschehen war, die Einnahme der Lauenburg, den Zorn der Äbtissin, die Drohung der Blankenburger und die Feindschaft der Quedlinburger.

      Mit strenger Selbstbeherrschung verschloß er seine Liebe als das tiefste Geheimnis in seiner Brust, um Oda nicht das geringste davon ahnen zu lassen. Kein warmer Händedruck mehr, kein zärtliches Wort, kein inniger Blick verriet eine Spur von der Glut, die sein Inneres erfüllte. Aber in diesem aufregenden Kampfe fand er zu Hause, in Odas Nähe keine Ruhe mehr, und wie auf der Flucht vor seiner eigenen Leidenschaft in die Weite getrieben, schwang er sich am anderen Tage wieder in den Sattel, um in der Einsamkeit, wo Odas fragende Blicke ihn nicht trafen, nachzusinnen und heute zu versuchen, was ihm gestern nicht gelungen war – einen Entschluß zu fassen.

      Am Fuße des Regensteins wollte Brun wieder den Weg nach Quedlinburg einschlagen, aber diesmal ließ ihm der Graf den Willen nicht, sondern lenkte den Widerspenstigen anders hinauf. Tiefe Stille war in dem grünen Walde, kein Blättchen regte sich an Busch und Baum, nur die Vögel sangen, und die Hufe des Pferdes klangen dumpf und hohl auf dem wurzelüberwachsenen Boden. Als der schmale Pfad unter tief hängenden Zweigen steil bergan führte, saß der Graf ab, schlang den Zügel um einen niedrigen Ast und streckte sich auf Gras und Moos in den Schatten einer Buche.

      Auch hier umschwirrten ihn seine zerstreuten Gedanken ungreifbar durcheinanderfahrend wie Mücken im Sonnenschein. Und wie er sich mühte, sie zu Stetigkeit und Klarheit zu sammeln, da vereinigten sie sich zu einer heranschwebenden Frage, zu einem ihn plötzlich anfallenden Zweifel, der immer deutlicherer Gestalt annahm und sich mit immer schwererem Gewicht an seine Seele hängte.

      So fest er von Siegfrieds Liebe zu Oda überzeugt war, so wenig war er es noch von Odas Liebe zu Siegfried. Darüber mußte er Gewißheit haben, und mit dem Gefühl einer Selbstanklage gestand er sich, daß er aus seinem Zweifel an Odas Liebe zu Siegfried eine leise Hoffnung für sich selber schöpfte.

      Wie aber sollte er es anfangen, Odas Herz zu ergründen? In allerhand Kriegslisten war der vielbefehdete Ritter wohl bewandert, aber auf die schwere Kunst, einem Frauenherzen sein Geheimnis zu entlocken, verstand er sich nicht. Er beschloß daher,

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