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entgegenzutreten und sie mit Klarheit des Verständnisses und der Überlegung anzuhören.

      Der Bürgermeister Nikolaus von Bekheim und die Ratsherren Werner Scheerenschmid und Henning Wollrabe begrüßten sie mit tiefen Verbeugungen, und der Bürgermeister trug der Äbtissin nach einer kurzen Schilderung der städtischen Verhältnisse die Absicht des Rates vor, mit ihrer Genehmigung die Lauenburg zu erobern und sich von der Schutzvogtei des Grafen von Regenstein lossagen zu wollen.

      Damit war Jutta zum erstenmal in ihrem Leben vor eine schwere Entscheidung gestellt.

      Als sie das, was sie zum Teil selber heimlich gesonnen und gesponnen, nun aus fremdem Munde, aus dem Munde eines beherzten und bedächtigen Mannes hörte, überkam sie das Gefühl, als würde ihr eine ungeheure Verantwortlichkeit auf die Seele gewälzt. Ihre Wutgedanken, ihre Rachepläne, ihre und Kunigundes Zornergüsse dünkten sie jetzt, angesichts der wie ein Schreckgespenst vor ihr auftauchenden Wirklichkeit, die Taten mit unabsehbaren Folgen gebären sollte, ein eitles, vermessenes Spiel mit drohenden Gefahren. Wie aus einem Taumel oder aus einem traumerfüllten Schlaf am schwindelnden Rande eines Abgrundes aufwachend, erschrak sie; Vergangenes, Gegenwärtiges und Künftiges drängte sich durcheinanderwirbelnd in einen Augenblick zusammen; mit plötzlich zurückgekehrter, nüchterner Besinnung sah sie jetzt alles in einem anderen Lichte und wußte doch nicht aus noch ein. Suchend und wägend schaute sie bald den einen, bald den andern dieser ernsten Männer an, deren Blick erwartungsvoll an ihren Lippen hingen, und aus deren Mienen eine harte Entschlossenheit sprach.

      Nikolaus von Bekheim war ein stattlicher Herr mit großen, lebhaften Augen in einem schönen, bedeutenden Kopfe; seine straffe Haltung, Bewegung und Stimme verrieten bei aller Würde und Gemessenheit geistige Kraft und körperliche Rüstigkeit, mit denen sein volles weißes Haar in einem auffallenden Widerspruche stand. Werner Scheerenschmid mit seiner schlanken Gestalt und seinem scharfen, von dunklem, kurz gehaltenem Haar umrahmten Gesicht machte den Eindruck eines Mannes von vornehmer Zurückhaltung und berechnender Verschlagenheit. Henning Wollrabe trug einen echten Sachsenkopf auf seinen breiten Schultern, blond und blühend und von hohem, kräftigem Wuchs, hatte er etwas heiter Unerschrockenes und Kriegerisches, gepaart mit einer ruhigen Sicherheit in seinem Wesen. Auch er war aus altem Stadtgeschlecht, aber mehr als anderen Vorzügen verdankte er seinem Reichtum den Sitz im Rate.

      Diesen Männern gegenüber, die eine starkbewehrte Stadt, eine nach Unabhängigkeit strebende und obenein jetzt trotzig erregte Bürgerschaft vertraten, war die Äbtissin allerdings in einer sehr bedenklichen Lage. Bewilligte sie das Verlangen des Rates, so gab sie damit den Ausschlag und das Zeichen zum Anfang eines blutigen Kampfes, dessen Gang und Ende sie nicht in ihrer Macht hatte, und wies sie das Ansinnen zurück, so lief sie Gefahr, daß Rat und Bürgerschaft die Fehde mit dem Grafen auch ohne ihre Genehmigung begannen, was einer Nichtachtung ihrer Wünsche und Befehle und einer Auflehnung gegen ihre Lehenshoheit gleichkam.

      Das alles fuhr ihr durch den sorgenschweren Sinn; aber mit bewundernswerter Fassung und herzgewinnender Huld, der es doch keineswegs an der nötigen Festigkeit fehlte, sprach sie: »Hochedle, wohlweise Herren! Laßt uns mit gutem Willen freundlich übereinkommen, wie wir die Sache nach bestem Meinen und Können ehestens schlichten. Wir möchten unsere gute Stadt Quedlinburg um unserer Feste Lauenburg willen nicht gern in Unfrieden und Streit verwickeln und können unmöglich unsere Zustimmung geben, daß Ihr gegen den Schirmvogt des Stiftes und der Stadt in den Kampf geht. Wir wissen wohl, auch Ihr führet diese und jene Klage über den Grafen, wünschet Erleichterung oder Befreiung von dieser und jener Last der Schutzvogtei, worin wir Euch, unbeschadet unserer fürst-abteilichen Hoheitsrechte, nicht zuwider sein wollen. Ich stehe hier zwischen der Stadt und unserem edlen Schirmvogte, möchte gern jedem Teile Billigkeit und Gerechtigkeit angedeihen lassen nach Weichbildsrecht und nach Vogtsrecht, wie es von alters her in unseren hohen deutschen Landen und insonderheit in unserem reichsunmittelbaren und freiweltlichen Hochstifte gehalten und gehandhabt ist. Weil ich mir aber allein hierin keinen Rat weiß und es zu des Kaisers Majestät zu weit und mühsam ist, so will ich den hochwürdigsten Bischof von Halberstadt um seine Meinung befragen und sodann befinden und entscheiden.«

      Das lautete nun freilich anders, als sie neulich in der Leidenschaft des ersten Zornes ihrem vertrauten Kanzler gesagt hatte. Aber sie dachte jetzt auch anders, und mit dieser Auskunft behielt sie das Heft in der Hand und blieb vorläufig noch Herrin der Lage. Sie hoffte mit diesem Schritte sowohl einen größeren Einfluß auf den Rat der Stadt zu gewinnen wie einen Druck auf den Grafen Albrecht zur Erfüllung ihrer geheimsten Wünsche ausüben zu können.

      Die Abgesandten des Rates waren mit dem erhaltenen Bescheid nicht zufrieden und nicht unzufrieden. Sie hatten nach den Mitteilungen des Stiftshauptmannes anderes erwartet; aber daß sich die Äbtissin selber dazu erbot, den Bischof, den heimlichen Verbündeten der Stadt und heftigsten Gegner des Grafen, als Schiedsrichter anzurufen, ging über ihr Hoffen hinaus, denn von seinem Eingreifen versahen sie sich des günstigsten Erfolges.

      Ebenso dachte der Stiftshauptmann. Er gab der unruhig zappelnden Pröpstin, aus deren in allen Falten und Winkeln zuckendem Gesicht er die gefährliche Absicht las, sich mit herausplatzendem Eifer einzumischen, schnell einen verstohlenen Wink, um Gottes willen zu schweigen, was sie denn auch glücklicherweise tat.

      »Dürfen wir, hochachtbare Fürstin, Euren gnädigen Bescheid gemeiner Bürgerschaft kundgeben?« frug Herr Nikolaus von Bekheim.

      »Gewiß, Herr Bürgermeister!« erwiderte die Äbtissin, »sagt es Euren klugen und ehrhaftigen Leuten, den Ratmannen, Innungsmeistern und gemeinen Bürgern, unseren lieben Freunden.«

      »Und wollt Ihr uns nachher auch wissen lassen, welchen Rat Euch der hochwürdigste Bischof erteilt hat, gnädige Frau?« frug Herr Werner Scheerenschmid mit einem scharf prüfenden Blick in die leuchtenden Augen der Äbtissin.

      »Wir werden Euch über unsere Entschließungen nicht im ungewissen lassen, Herr Ratsherr!« entgegnete sie geschmeidig ausweichend. »Mein fürstlich Wort, Ihr Herren! morgen nach dem Hochmahl reite ich hinüber nach Halberstadt. Ihr wollt mich begleiten, Herr Stiftshauptmann! und Euch, Herr Bürgermeister, ersuch' ich um ein Fähnlein berittener Stadtknechte zu Schirm und Sicherheit.«

      »Sie stehen zu jeder Stunde zu Euren Diensten, gnädige Frau!« sprach das würdige Oberhaupt der Stadt.

      »Gnädige Domina,« sagte nun Henning Wollrabe treuherzig, »wir stehen mit Gut und Blut zu Euch und wollen Euch allerwege schützen und schirmen, daß Ihr sanft und sorglos in Eurem jungfräulichen Bette schlafen könnt!«

      »Ich danke Euch, Herr Henning!« erwiderte Jutta lächelnd, »nehmt meinen Gruß mit hinab und meine besten Wünsche für das Wohl unserer guten Stadt Quedlinburg!«

      Sie sagte es mit einer leichten Neigung des Hauptes und einer anmutigen Bewegung des Körpers, denn sie war darauf bedacht, sich den Herren vom Rat nicht bloß als regierende Domina zu zeigen, sondern ihnen auch als schöne Frau zu gefallen und dadurch bestechend auf sie zu wirken. Und wenn sie das wollte, so verfehlte sie niemals eines tiefen Eindrucks auf die Herzen der Männer.

      So schieden auch heute die Abgesandten der Stadt über die Huld und Schönheit der Äbtissin erfreut und darüber vergessend, daß sie von ihrer gnädigen Frau eigentlich nichts erreicht hatten, denn sie hatte ihnen nur versprochen, den Rat des Bischofs zu hören, aber nicht, ihn auch zu befolgen.

      Mit dem Stiftshauptmann schlüpfte auch die Pröpstin aus dem Gemach, und die Äbtissin blieb allein, nach peinvollen Tagen endlich einmal wieder mit dem Gefühl einer stolzen Befriedigung.

      Siebzehntes Kapitel.

       Inhaltsverzeichnis

      Von der in der Stadt Quedlinburg schäumenden Gärung erhielt Graf Albrecht sofort Kunde; aber er lachte nur darüber und glaubte nicht an den Ernst der dort gegen ihn geplanten Unternehmungen, deren gefährlichste Seite ihm allerdings vorläufig noch verborgen blieb.

      Für ihn begann in diesen Tagen ein ganz anderer, weit schwererer Kampf, als die Fehde um eine Burg, ein Kampf mit seinem Herzen,

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