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sich jeden anderen Besuch verbeten hatte.

      Er fand die Äbtissin noch in heller Zornglut, und in dieser Stimmung teilte sie ihm mit, daß Graf Albrecht diese Nacht die Lauenburg mit Gewalt genommen und dort seinen Bruder Siegfried als Burgvogt eingesetzt hätte. Herr Willekin sollte ihr nun raten, was zu tun sei. Die Ausstellung des Lehensbriefes verschwieg sie dem Stiftshauptmann, wie sie auch jede Spur der vernichteten Urkunde beseitigt hatte, so daß er geneigt war, an den Aussagen des Schreibers und der Kammerfrau zu zweifeln.

      Aber gerade hierüber die Wahrheit zu wissen, kam es ihm vor allem an, zu wissen, ob die Äbtissin wirklich gesonnen sei, dem schon übermächtigen, verhaßten Schirmvogt die schöne Burg zu übergeben, auf deren Lehensbesitz sich Rat und Bürgerschaft von Quedlinburg starke Hoffnung machten.

      »Gnädigste Frau,« begann er nach kurzer Überlegung, »erlaubt mir vorerst eine Frage. Wollt Ihr die Burg überhaupt nicht in den Händen der Regensteiner lassen, oder ist es Euch lediglich um einen anderen Burgvogt zu tun?«

      Diese Frage setzte die Äbtissin in große Verlegenheit, denn sie traf den innersten Kern ihres Zornes und berührte die brennende Wunde ihres Herzens. Mißtrauisch blickte sie ihren Kanzler an. Die Vollziehung des Lehensbriefes war eine nicht zu leugnende Tatsache und bezeugte die Absicht der Äbtissin, die Lauenburg den Regensteinern zu übergeben. Dazu mußte sie sich also wohl oder übel bekennen, und sie blieb bei der vollen Wahrheit, als sie erwiderte: Ich hatte allerdings die Absicht, den Grafen Albrecht mit der Burg zu belehnen. Da er sie aber ohne meinen Dank mit List und Gewalt genommen, so will ich sie ihm jetzt nicht lassen, sondern mich eines andern besinnen. Ich verlange die Burg in meine Hand zurück.«

      Der Stiftshauptmann deutete an, daß sich Bürgermeister und Rat von Quedlinburg trotz der letzthin eingetretenen Störung des einst so guten Verhältnisses zur gnädigen Frau wohl bereit finden lassen würden, die Burg den Regensteinern mit Waffengewalt wieder abzunehmen, wenn sie hoffen könnten, dann auch mit derselben belehnt zu werden. Aber die Stadt allein wäre dem Grafen gegenüber nicht stark genug, dazu bedürfe sie mächtiger Bundesgenossen.

      Ob die denn nicht zu finden wären, frug die Äbtissin.

      »Ich wüßte wohl einen,« erwiderte Herr Willekin, »aber den habt Ihr Euch selber zum Feinde gemacht, gnädige Frau!«

      »Der Bischof von Halberstadt,« sagte sie schnell.

      Der Stiftshauptmann nickte.

      »O, es kostet mich ein Wort, und er ist wieder mein Freund,« versetzte die Äbtissin.

      »Meint Ihr?« frug Herr Willekin aufhorchend und erfreut. »Habt Ihr noch eine andere Klage wider den Grafen, wobei der Bischof sich einzumischen ein Recht hätte?«

      »Gewiß!« erwiderte Jutta. »Er hält die Gräfin Oda von Falkenstein auf dem Regenstein gefangen, die ihr Bruder, Graf Hoyer, zur Konventualin unseres Stiftes bestimmt und mit einer reichen Jahresrente ausgestattet hierher entsandt hatte. Graf Albrecht verweigert mir ihre Auslieferung, die ich mit Fug und Recht verlangen kann.«

      »Ich weiß es,« sprach der Stiftshauptmann, »auch der Bischof hat schon darauf gedrungen.«

      »Er hat seine eigenen Gründe,« sagte die Äbtissin, »aber ich könnte ihn als Schiedsrichter in der Sache anrufen, und durch ihn ließe sich vielleicht auf den Grafen Hoyer wirken, daß er gemeinschaftlich mit mir die Befreiung der Schwester forderte, und somit hätten wir ihn zum Bundesgenossen.«

      »Auch Graf Albrecht hat Freunde,« mahnte der Stiftshauptmann, »den Mansfelder und die Harzgrafen im Helmgau. Das könnte eine Fehde geben, gnädigste Fürstin, die das Land ringsum in einen einzigen Brand versetzte.«

      »Mag es doch! ich verlange mein Recht!« rief Jutta, von Leidenschaft hingerissen. »Glaubt Ihr, daß Graf Albrecht die Burg freiwillig räumt? Nehmt sie ihm ab, ihr Herren Quedlinburger! Bringt sie wieder in meine Gewalt, schafft mir auch meine Konventualin Oda von Falkenstein hier aufs Schloß, und ihr sollt die Lauenburg als Lehen haben!«

      »Laßt mich's mit meinen Freunden im Rate bereden, gnädige Frau,« sagte der Stiftshauptmann und nahm rasch Urlaub, ehe die Unbeständige dieses wichtige Versprechen im weiteren Verlauf des Gesprächs etwa wieder rückgängig machen oder abschwächen konnte.

      In der Vorhalle, weit genug vom Zimmer der Äbtissin, warteten seiner die Pröpstin und die Dekanissin, aber ohne die jüngeren Damen, und er mußte ihnen in Kürze erklären, was es gegeben hatte. Sie rangen die Hände ob der Untat, und wenn dem Grafen jetzt die Ohren klangen, so war es nicht, weil jemand sein Lob sang.

      Die Treppe hinabsteigend sprach Herr Willekin zu sich selber: »Soll mich nur wundern, wie lange der Sturm brausen wird! Käme morgen Graf Albrecht zur Domina und gäbe ihr ein gutes Wort, so schenkte sie ihm die Lauenburg, von unten bis oben mir Rosen bekränzt. Den Siegfried will sie von der Burg weg und die Gräfin Oda zu sich ins Schloß hinein haben, und darum Krieg und Mord und Totschlag! Was steckt dahinter?«

      Des Stiftshauptmanns Wohnung war ein großer Freihof auf dem Mummentale, einem etwas versteckt gelegenen Winkel der Stadt mit weitläufigem Gehöft und Garten, an dem ein Arm der Bode vorüberfloß. Hierher lud er seine Vertrautesten im Rate, unter denen sich auch der erste Bürgermeister befand, zu einem Vespertrunk und weihte sie in das Vorgefallene rückhaltlos ein.

      Mit Genugtuung vernahmen die fünf oder sechs Herren die Kunde von dem Zerwürfnis des Grafen mit der Äbtissin, die nun hoffentlich aufhören würde, überall vermittelnd und fördernd, seine Macht stärkend für ihn zu wirken, wie sie dies bisher stets, auch dem Rate gegenüber und zum Nachteil der Stadt getan hätte. Groß war ihre Entrüstung über die gewaltsame Besetzung der Lauenburg durch die Regensteiner, ziemlich schwach dagegen die Aussicht, die Bedingungen der Äbtissin erfüllen zu können, unter welchen sie die Burg der Stadt zu Lehen versprochen hatte. Die Burg zu erstürmen und den ihrer gnädigen Frau mißliebigen Burgvogt daraus zu vertreiben, möchte ihnen wohl gelingen; wie aber wollten sie es fertig bringen, von dem uneinnehmbaren Regenstein eine Gefangene zu entführen, die der kriegstüchtige Graf halten wollte und verteidigen würde? Indes der Preis war ein zu lockender, und mit mächtigen Bundesgenossen und dem Einsatze aller Kraft und Opferwilligkeit der eigenen Bürger dünkte es die Herren vom Rate nicht unmöglich, die Fehde mit dem Grafen siegreich zu bestehen. Und wozu hatten sie denn das Schutz- und Trutzbündnis mit dem Bischof von Halberstadt geschlossen? Wie nie zuvor winkte ihnen jetzt die Hoffnung, das ihnen längst widerwärtige Joch der Schutzvogtei abzuschütteln und als unabhängige, ohne Bevormundung sich selbst regierende Bürgerschaft einer reichsunmittelbaren Stadt, Mitglied des großen Hansabundes, stolz und frei das Haupt zu erheben.

      Die hier bei dem feurigen Weine des Stiftshauptmannes in einer schattigen Laube Versammelten waren willig und entschieden, den Kampf mit dem Regensteiner unter gewissen Voraussetzungen zu wagen. Morgen schon, bestimmten sie, sollte deswegen eine Sitzung des Rates stattfinden, und jeder einzelne übernahm es, durch hingeworfene Äußerungen und vorbereitende Winke die Bürger anzustacheln und besonders die Handwerksgilden zu gewinnen.

      Danach tranken die Herren auf das gute Gelingen ihrer Pläne und schieden dankbar und froh von ihrem großgünstigen Freunde.

      An demselben Abend schon wußten sämtliche Ratsherren genau und viele Bürger ungefähr, was sich ereignet hatte, und in den Trinkstuben ging es lebhaft her. Unbestimmte Gerüchte, das Geschehene sowohl wie das nun Bevorstehende uns Abenteuerliche übertreibend, durchschwirrten die Stadt und versetzten die Gemüter in Zweifel und Unruhe.

      Die Ratssitzung fand am andern Morgen wirklich statt. Es fielen böse Worte gegen den Regensteiner und auch ein paar kleine Seitenhiebe auf die Äbtissin wegen ihrer starken Parteinahme für den Grafen wider die Stadt. Aber man wollte das vergessen sein lassen und mit der Domina Frieden und gemeinschaftliche Sache machen, um bei der Gelegenheit Großes für die Stadt zu erreichen. Wenn nun auch einige der ältesten Ratsherren zu dem kühnen Unterfangen, dem mächtigen Schirmvogt der Stadt absagen zu wollen, bedenklich die greisen Häupter schüttelten und ihre warnende Stimme dagegen erhoben, so drangen sie doch gegen die Kampflust und die Siegeszuversicht der Mehrzahl nicht damit durch. Sie hätten lange genug den Nacken gebeugt, hieß es; Quedlinburg wäre kein hintersässisch

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