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      Graf Hoyer aber sagte: »Welch’ eine Schicksalsgunst ist es für mich, Eike, dass wir uns im Gasthaus am Scheideweg getroffen haben! Du machst den Falkenstein zu einem über das ganze Reich hin leuchtenden Gipfel der Gerechtigkeit, wie sich mein Jugendfreund vorhin mir gegenüber so ungefähr ausdrückte, und dabei weiß er noch gar nicht, wie sehr du mir und meiner Frau das Leben durch deine Gegenwart verschönst und erheiterst. Am liebsten ließe ich dich nie wieder fort von hier.«

      Eike schwieg. Was hätte er auch auf diese Worte erwidern sollen?

      Dann gingen sie zusammen nach dem Speisesaal, wo die beiden Frauen ihrer bereits harrten.

      Gräfin Irma unterzog den Burggast, der ihr nach Gerlindes Eröffnungen kein gleichgültiger Fremder mehr war, einer scharfen Prüfung, deren Befund wohl ein durchaus wohlgefälliger sein musste, denn sie war sehr freundlich zu dem ihr ritterlich begegnenden Mann. Bei Tische knüpfte sie mehrmals ein Gespräch mit ihm an, aber zu einem längeren Austausch kamen sie nicht, weil die Grafen immer wieder von dem Gesetzbuch anfingen und die alten verworrenen Rechtsbräuche mit den neuen, von Eike angebahnten verglichen, von denen er manche dem Mansfelder noch näher erläutern musste.

      Unterdessen beobachtete Irma insgeheim ihre Freundin, deren Augen beständig an Eikes Lippen hingen, die sich aber in ihrer nachwirkenden Erregung an der allgemeinen Unterhaltung nur wenig beteiligte, obwohl Irma sie durch geschickt eingestreute Scherze von ihrem Leid abzulenken suchte.

      Graf Hoyer wurde nicht müde, seinen jungen Freund zu rühmen und seiner noch in der Zukunft ruhenden Verdienste wegen zu feiern, wobei Graf Burkhard kräftig in dasselbe Horn stieß. Irma wechselte einen flüchtigen Blick mit Gerlinde, der sie den inneren, kaum zu bemeisternden Jubel vom erglühenden Gesichte las.

      In vorgerückter Nachmittagsstunde brach Graf Burkhard mit seiner lustigen Schwiegertochter auf, und als Gerlinde dieser den Mantel um die Schultern legte, fragte sie leise:

      »Nun? Was sagst du?«

      Irma flüsterte ihr eilig zu:

      »Du hast Recht, er ist ein ganzer Mann und deiner Liebe wert; darum bleibe ich dabei, dass du sobald wie möglich eine Unterredung mit ihm herbeiführst. Ihr müsst euch über euer Verhalten untereinander klar werden und einen Entschluss fassen; so geht’s nicht weiter.«

      Von den Falkensteinern und Eike auf den Burghof begleitet, verabschiedeten sich die Mansfelder mit vielen Händeschütteln von ihren Gastfreunden, stiegen zu Pferde und ritten ab.

      Sechzehntes Kapitel.

       Inhaltsverzeichnis

      Der Besuch des Grafen von Mansfeld hatte Eikes Mut zu seinem Werke wesentlich gestärkt und ihn so mancher Sorgen, die ihn in letzter Zeit beschwert hatten, enthoben. Graf Burkhard war der Spross eines der ältesten deutschen Grafengeschlechter und genoss landein, landaus eines hohen Ansehens, so dass Eike wahrlich allen Grund hatte, sich des rückhaltlos ausgesprochenen Beifalls des welterfahrenen Mannes zu freuen und aus seine Befürwortung und Unterstützung der von ihm geschriebenen Gesetze zu hoffen.

      Nun hätte er sich mit doppeltem Eifer seiner Arbeit widmen können, hätte ihm nicht eines wie Feuer auf der Seele gebrannt, — das grenzenlose Vertrauen des Grafen Hoyer. Er betrachtete seine Liebe zu Gerlinde als einen Verrat, einen Einbruch in die Unverletzbarkeit des Gastrechtes, und unter diesen Umständen die Gunst und Güte des Grafen immerfort hinzunehmen, von ihm zu hören, dass er ihn gar nicht wieder fortlassen möchte, an einem Tisch mit ihm zu sitzen, ihm in die Augen zu sehen,—das alles wurde ihm von Tag zu Tag peinlicher.

      Unablässig gemahnte er sich an seinen verantwortungsvollen Beruf als Vertreter des Rechtes, aller Rechte, auch der durch einen Ehebund geheiligten.

      Noch war ja nicht das Geringste geschehen, was er zu bereuen hätte. Noch nicht! Aber war er sicher, dass nicht über kurz oder lang etwas geschehen könnte, wofür es keine Entschuldigung und keine Verzeihung gab? Auf Gerlindes Beschränkung war kein Verlass. Die mit allen Fasern und Fibern an ihm Hängende verlor immer mehr die Herrschaft ihrer selbst; erst jüngst, in Anwesenheit der Mansfelder, hatte er mit Schrecken wahrgenommen, wie aufgeregt sie gewesen war, wie sehnsüchtig ihr Blick den seinen gesucht hatte. Daher schwebte er in beständiger Furcht, die in ihrer Leidenschaftlichkeit Unberechenbare könnte sich, von ihren Gefühlen hingerissen, einmal völlig vergessen und vor den Augen und Ohren des Grafen oder eines vom Gesinde eine Torheit begehen, die sie und ihn als Frevler an Zucht und Sitte brandmarkte.

      Auch Gerlinde war ohne Ruh’ und Rast und wusste nicht, was tun und was lassen. Du musst ihn zur Rede stellen und vereint mit ihm einen Entschluss fassen, wie ihr euren Verkehr hier gestalten wollt, so hatte Irmas Rat gelautet. Sollte sie ihm folgen? Allen Stolz hintan setzen und nur dem ungestümen Drange ihres Herzens gehorchen? Ach, schon längst trieb es sie, den Weg ihrer Wünsche zu gehen, wenn ihr der Geliebte nur ein Weniges entgegenkäme. Gern wollte sie sich von ihm führen lassen, wohin es ihm gefiele, wie sie ihn durch die Wildnis geführt hatte zu jener zauberumwobenen Stätte, wo ihrer beider Liebe aus ihren Herzen hervorgebrochen war. Sie wollte, von seinen Armen umschlungen, aus seinem Munde Worte der Liebe hören, nach denen sie dürstete wie eine Verschmachtende nach einem rettenden Trunk.

      Aber ihr fehlte. noch immer der Mut zum ersten Schritt, und doch sagte sie sich: du musst dich entscheiden, zagen und zaudern wäre jämmerliche Schwäche.

      Da beschloss sie nach kurzem Kampfe, die Wallfahrt nach dem Glücke, dem einzigen Glücke, das sie begehrte, auf eigene Faust anzutreten; der Zufall und die Gelegenheit sollten ihr die Pfade ebnen und die Brücken bauen.

      Eine Woche lang musste sie sich indessen noch gedulden, ehe die Stunde zum Handeln schlug, musste jeden Mittag und jeden Abend willig oder unwillig mit anhören, wie die beiden Männer über das Gesetzbuch sprachen und stritten. Seit sie ihn auf der Waldwanderung ihrer freudigen Zustimmung zu dem Werke versichert hatte, war Eike auch in ihrer Gegenwart mit seinen Mitteilungen darüber freigebiger, und manchmal griff sie selber mit klugen, oft den Nagel auf den Kopf treffenden Bemerkungen in das Wortgefecht ein. Meist aber gingen die gründlichen Erörterungen über ihren Gesichtskreis hinaus, zumal wenn sich Eike umständlich über das friesische Recht, das der Engern und Westfalen oder über das bayrische und alemannische und gar über das Volksrecht der Angelsachsen ausließ, die er alle unter einen Hut bringen wollte. Das war die Welt, in der er lebte und webte und die von der, in welcher sie mit ihrem Sehnen und Hoffen die Tage kommen und schwinden sah, sternenweit getrennt war. Was kümmerten sie die Volksrechte der Angelsachsen! Auf die Rechte des Herzens, die sie an ihn hatte, schien er sich nicht zu besinnen.

      Endlich nahte eine Gelegenheit, die ihr, wenn sie sich in ihren Berechnungen nicht täuschte, ein Alleinsein mit dem schwer Zugänglichen ermöglichen konnte.

      Allherbstlich wurde ein Gedenktag in der Geschichte des Falkensteinschen Grafenhauses auf der Burg gefeiert zur Erinnerung an die vor fast zweihundert Jahren erfolgte Belehnung des Ahnherrn mit der Gaugrafschaft.

      Früher hatte dabei ein üppiges Gastmahl im Schlosse mit den Familien des benachbarten Adels stattgefunden. Das hatte Graf Hoyer längst abgestellt, aber dem Burggesinde sollte der altherkömmliche Brauch und seine Bedeutung erhalten bleiben und deshalb wurde ihm an dem Abend in der Dirnitz ein vergnüglicher Schmaus angerichtet, zu dem auch stets der Talmüller, Meister Beutling mit Frau und Kindern, geladen wurde; Großmutter Suffie konnte ihres hohen Alters wegen den Berg nicht mehr erklimmen.

      Heute war dieser Abend, und die gewölbte Halle war zu dem Bankett hell erleuchtet und festlich geschmückt. Gewinde von Tannenreisern und von Eichen und Buchenlaub schlangen sich kreuzweis hinüber und herüber, und aus den Rüstkammern hatte man Schwerter und Spieße, zerschrotene Helme, zerbeulte Schilde und verblichene Fahnen geholt und an den Wänden in malerischer Anordnung aufgehängt.

      Graf Hoyer hielt in friedlichen Zeiten keine starke Besatzung in der Burg, und doch war die Versammlung eine zahlreiche. Der Wild- und Waffenmeister, Reisige, Jäger, Stellmacher und Schmied, Torwart und Türmer, Diener und Knechte, der Kellermeister

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