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Stapel von losen Blättern und Zetteln durchmustern, und das wird wohl mehrere Tage in Anspruch nehmen,« gab er stockend zur Antwort.

      »So so! Hm!« machte der Graf kopfschüttelnd. »Na, dann also vorwärts! Ich werde mich zum Aufsitzen bereit machen.«

      Als sie sich eine halbe Stunde später auf dem Burghof trafen, wo die Pferde ihrer schon harrten, richtete der Graf dem sehr ernst gestimmten Freunde aus:

      »Meine Frau lässt sich entschuldigen, weil sie noch in ihrem schlichtesten Morgengewand ist. Ich habe ihr gesagt, dass und warum du uns auf einige Tage verlassen müsstest. Sie wünscht dir mit ihrem besten Reisesegen glückliche Fahrt.«

      Dann schwangen sie sich in die Bügel, und Eike ritt mit dem Grafen ab, weil er nicht zum Schelmen an ihm werden wollte.

      Unten im Tale blickte er noch einmal zur Burg empor, aber kein Schleier, kein Tuch winkte ihm von oben einen Abschiedsgruß zu.

      Achtzehntes Kapitel.

       Inhaltsverzeichnis

      Geräuschvoll hatte Eikes Gegenwart nie gewirkt. Er hatte tagaus, tagein still in seinem Zimmer gesessen und geschrieben, immer geschrieben, aber nun, nach seinem Abgange, schien es in der Burg noch stiller geworden zu sein. Er fehlte allen, denn alle bis zum untersten Knecht und zur jüngsten Magd hatten ihn lieb gewonnen und die wenigen Dienste, deren der anspruchslose, leutselige Gelehrte bedurfte, gern geleistet. Am schmerzlichsten vermisste ihn Gräfin Gerlinde, obwohl seine Abwesenheit, nach der Andeutung des Grafen, nur von kurzer Dauer sein sollte. Sie vermied es, ihren Gemahl zu fragen, ob Eike unterwegs etwas über den mutmaßlichen Tag seiner Rückkehr geäußert hätte, so sehr sie auch darauf brannte, dies zu erfahren, um ihm einen festlichen Empfang bereiten zu können. Dem Türmer hatte sie schon anbefohlen, einen laut schmetternden Ruf zu blasen, sobald er den Gast im Tale heranreiten sähe.

      Als sie einmal sein Zimmer mit einer Andacht, als wäre es ein Heiligtum, betrat, sah sie dort, welch’ eine Menge von Schriftstücken er zurückgelassen hatte, die er alle noch bearbeiten wollte; also wiederkommen musste er.

      Auch sie selber war, als er abritt, mit ihrer Stickerei für ihn noch nicht fertig, an der sie, des Entfernten gedenkend, emsig weiter wirkte. Dennoch waren es trübe Stunden, die sie am Rahmen verbrachte, von keinem Sonnenstrahl freundlich erhellt, denn der Himmel hatte sich in Dunst und Wolken gehüllt, und der Wind summte eine schwermütige Weise um die Zinnen der Burg, zu der die Wetterfahne misstönig knarrte. Sonst hatte sich Gerlinde mit fleißigen Fingern allmählich an die Mittags- und Abendmahlzeit herangestichelt in der frohen Gewissheit, den Geliebten sich dann gegenüber zu haben. Wenn Melissa sie jetzt zu Tische rief, schnellte sie nicht wie der Vogel vom Ast flink vom Stuhl empor, sondern erhob sich lässig und unlustig, blickte nicht in ihren silbernen Handspiegel, sich das wellige Haar an Stirn und Schläfen zu ordnen, und eilte nicht beflügelten Schrittes zum Speisesaal.

      Auch Graf Hoyer war in keiner erbaulichen Verfassung. Der Ritt in Eikes Begleitung, den er weiter ausgedehnt als er sich vorgenommen, hatte ihm nicht gut getan. Dazu kam, dass er jetzt etwas entbehren musste, was ihm zu einem seelischen Bedürfnis geworden war, die Besprechungen mit Eike über dessen Werk.

      Diese empfindliche Lücke in seinem täglichen Leben machte ihn oft übellaunig, worunter auch Gräfin Gerlinde zu leiden hatte.

      Der einzige, der Eikes Verschwinden nicht bedauerte, war Wilfred, weil er nun von aller Last und Plage befreit war und seine Zeit verwenden oder vielmehr totschlagen konnte, wie es ihm gefiel. Er besuchte sein liebes Füchslein draußen im Walde, lungerte in den Ställen bei Rossen und Rüden herum, störte mit Geschwätz und läppischen Flausen das Burggesinde bei der Arbeit, begegnete aber allen neugierigen Fragen nach der Ursache und der Dauer von des Ritters Abwesenheit mit der geheimniskrämerischen Ausrede, dass er als Eingeweihter zum Schweigen verpflichtet sei und nichts verraten dürfe.

      Eike hatte sich unter demselben Vorwande von ihm verabschiedet, den er dem Grafen Hoyer gegenüber gebraucht hatte. Wilfred aber glaubte nicht recht an das Herbeiholen noch anderen schriftlichen Stoffes, sondern sah darin nur einen ziemlich fadenscheinigen Deckmantel für die unbegreifliche Flucht, die ihm einen etwas verdächtigen Anstrich hatte. Einen Zwist zwischen der Herrschaft und dem Gaste konnte es nicht gegeben haben; sonst hätte der Graf ihn nicht begleitet. Da mussten also andere, schwerwiegende Gründe vorliegen, die er noch nicht zu durchschauen vermochte. Er wusste nur, dass Eike nicht alle Aktenbündel mit sich genommen hatte, und es stachelte ihn, herauszukriegen, welche Papiere er hier zurückgelassen hatte. Zu dem Zwecke stahl er sich in des Ritters Zimmer, durchstöberte die dort noch lagernden Schriftstücke und fand, dass nur die in dem Gesetzbuche bereits verarbeiteten hiergeblieben waren, die anderen, ihrer Benutzung noch harrenden aber in dem Regal fehlten. Daraus folgerte er, dass der von hier Ausgerückte sein langweiliges Buch in Reppechowe fertig schreiben, also nicht wiederkommen wollte, eine Entdeckung, die ihn überaus fröhlich stimmte, die er jedoch für sich zu behalten beschloss, weil er sie vielleicht irgendwie zu seinem Vorteil verwerten konnte.

      Auch Melissa zerbrach sich den Kopf über Eikes plötzliche Abreise, doch sollte ihr des Rätsels Lösung nicht lange zu schaffen machen. Nach einigen Tagen fing die Gräfin aus freien Stücken an, davon zu sprechen und das in wohlerwogener Absicht.

      Gerlinde war überzeugt, dass ihre scharfsichtige, hellhörige Gürtelmagd längst wusste oder wenigstens ahnte, wie sie mit Eike stand, wollte aber nicht, dass sich Melissa über seine Entfernung eine falsche Meinung bildete und eine ehrenrührige, seinem Rufe schadende Veranlassung dazu vermutete. Darum sagte sie eines Morgens so beiläufig:

      »Nächstens wird auch Herr von Repgow wiederkommen, Melissa; wir können ihn jetzt fast jeden Augenblick erwarten. Er ist nach seinem Lehen an der Elbe geritten, um sich noch einige ihm nötige Schriften für seine Arbeiten zu holen.«

      Melissa äußerte, sich in die Seele der Gräfin versetzend, ihre lebhafte Freude darüber und schob die ihr an der Gebieterin bisher völlig fremde Unsicherheit und Befangenheit bei der Mitteilung auf die Ungeduld des Hoffens und Harrens, die sie ihr seit dem Abzuge des Ritters deutlich ansah.

      Zum Teil hatte sie das Richtige damit getroffen, aber nicht ganz. Es war nicht bloß Ungeduld, es war schon Zagen und Bangen, was sich der Vereinsamten mehr und mehr bemächtigte.

      Gerlinde hatte sich die Frist bis zu Eikes Wiederkehr so berechnet: zwei Tage für den Hinweg nach Reppechowe, höchstens zwei für den Aufenthalt dort zur Auswahl der Skripturen und zwei für den Rückweg, also zusammen, reichlich bemessen, sechs Tage, und heute waren schon acht nach seinem Wegritt verflossen. Das beunruhigte sie und weckte ihr Zweifel, ob er überhaupt jemals wiederkommen würde.

      Diese Sorge entging der treuen Dienerin nicht, und nun versuchte sie, den sich mit jedem Tage steigernden Trübsinn ihrer lieben Herrin mit bescheiden tröstlichem Zuspruch nach Möglichkeit zu vertreiben. Dazu schüttelte Gerlinde nur traurig das Haupt, seufzte und schwieg.

      Verdüstert und vergrämt saß sie endlos lange Stunden in ihrem Zimmer, fand auch am Stickrahmen keine Linderung und Stillung ihres Schmerzes, und ihre Hoffnung auf ein Wiedersehen mit dem Geliebten sank und sank.

      Da, in ihres Herzens bitterer Not, nahm sie ihre Zuflucht zur Harfe, spielte erst eine sanft hinschwebende Melodie, schlug dann bewegtere Töne an und sang dazu:

      Ein Falke strich daher im Forst,

      Und als er hier gebaut den Horst,

      Da hab’ ich’s kommen sehen.

      Ich spürte seiner Flügel Schlag

      Wie Kosewind am Maientag

      Mich wonniglich umwehen.

      Ich hätt’ ihn gerne mir gezähmt,

      Vor seiner Augen Blick beschämt

      Musst’· ich die Wimpern senken.

      Ich habe seinem Wort gelauscht,

      Mich aufgerichtet, mich berauscht

      An

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