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um ihn, soviel sie vermochte, für das zu entschädigen, was sie in Hülle und Fülle dem andern weihte.

      War denn aber ihre und Eikes Liebe unter der Bedingung schweigender Entsagung ein so ungetrübtes Glück, dass sie es so recht aus dem Vollen schwelgend genießen konnte? Nur tief verhohlen sollte diese Liebe ein kümmerliches Dasein fristen, wie eingekerkert, in Banden geschlagen. Niemals sollte die Darbende dem, was nach Befreiung in ihr rang und lechzte, rückhaltlosen Ausdruck geben, niemals in den Armen dessen, an dem ihre Seele hing, wonnetrunken aufjauchzen, sondern ihre Liebe als schwer lastendes Leid durchs Leben tragen.

      Würde sie das vermögen? Würde nicht über kurz oder lang einmal die Stunde kommen, wo sie es unwiderstehlich reizte, die Fesseln zu sprengen und sich an Eikes Brust zu werfen? Sie konnte nicht dafür bürgen, sich allzeit fest in der Gewalt zu haben.

      Wie wohl er darüber dachte, ob er wohl willig und fähig war, auf immer wunschlos zu entsagen? Es schien ihr so; schon auf dem Rückwege hatte er damit angefangen, denn kein liebeatmendes Wort war seinem Munde entflohen.

      Als sie nach dem vorsichtigen Überschreiten der Schlucht bequem nebeneinander gehen und dabei mehr auf alle die Vögel und Blumen rings um sie her achten konnten, hatte Eike die Rede auf den berühmten und begeisterten Freund dieser holden Geschöpfe, auf Walter von der Vogelweide gebracht und Gerlinde von seiner Bekanntschaft mit ihm am Hofe des Markgrafen von Meißen erzählt. Dabei hatte er öfter den Dichter selber sprechen lassen von »der kleinen Vöglein Singen« und von den »lichten Blumen, die aus dem grünen Grase lächeln, als erhofften sie auch des Wanderers nickenden Gruß«, und noch manche andere wohlklingende Verse des großen Meisters in die Unterhaltung eingeflochten. Gerlinde, der Walters Lieder keineswegs fremd waren, hatte ihm gern zu gehört und erwartet, dass ihn sein Gedenken des Verherrlichers der hohen Minne, des unvergleichlichen Sängers von »des Herzens Lehendienst«, auf seine Minne zu ihr hinleiten würden. Das war jedoch nicht erfolgt; er hatte jede auf sich bezügliche Anknüpfung an Walters Dichtungen vermieden.

      Nun wollte sie sich seinem Verlangen völliger Enthaltung aller Liebesbeweise unterordnen, wollte schweigen, wenn er schwieg und sein Benehmen als Richtschnur ihres eigenen betrachten, wozu das nahe bevorstehende Mittagsmahl eine gute Gelegenheit bot. —

      Bald saßen sie sich am Tische gegenüber. Während Melissa sie bediente und auch ohne nötige Handreichungen im Saale anwesend blieb, gab es sich von selber, dass sie nur über gleichgültige Dinge plauderten. Doch erwähnte Gerlinde der schlauen Gürtelmagd wegen absichtlich und ausführlich ihrer vergnüglichen Wanderung im unbefangensten Tone, als hätte sich in der unbelauschten Waldeinsamkeit durchaus nichts Besonderes zugetragen.

      Eike. der den Zweck, die neugierige Horcherin zu täuschen, erkannte, ging sofort darauf ein, und erinnerte noch an einzelne Naturschönheiten, die ihm auf ihrem Wege durch Berg und Tal aufgefallen waren. Dass sie am Heidenquell gewesen, verschwiegen sie wohlweislich.

      Als Melissa einmal verschwunden war, erkundigte sich Gerlinde bei ihrem Gaste nach dem Stande seiner Arbeit, mit der er ja einen ganzen und einen halben Tag gefeiert hätte, und zwar zumeist ihr zu Gefallen, wofür sie ihm sehr dankbar wäre. Er gab ihr zur Antwort, dass er allerdings die versäumte Zeit, die er aber, weil in ihrer Gesellschaft verbracht, durchaus nicht als eine verlorene bezeichnen könnte, mit angestrengtem Fleiß wieder einholen müsse, und fügte hinzu:

      »Ich brenne darauf, heute Nachmittag da wieder anzufangen, wo ich gestern Morgen aufgehört habe, und hoffe auch, schnell wieder in flotten Schwung und gutes Fahrwasser zu kommen, wenn mich auch manche dringlichen Ausführungen noch hartes Kopfzerbrechen kosten werden.«

      »O Ihr werdet auch das Schwierigste zwingen, wenn Ihr wollt,« sagte sie aufmunternd. »Ich glaube an die alles besiegende Kraft Eures Geistes wie an das Licht der Sonne.«

      Dann, als Melissa wieder eingetreten war, fuhr sie auf lateinisch fort:

      »Tu, dum tua navis in alto est, hoc age

      Er erwiderte:

      »Fata regunt homines, certa stant omnia lege, tu credula pia

      Sie sprachen nun auch weiter Latein, obwohl sie ihr Geheimnis, von dem nur die klugen Waldvöglein wussten, mit keiner Silbe berührten.

      Melissa spitzte die Ohren, und als sie wieder hinausgegangen war, spöttelte sie jenseits der Türe:

      »Jetzt nennen sie sich schon du; das haben sie sicher da unten im versteckten Waldesgrunde zusammengeknotet und denken, ich merke nichts, die blind Verliebten. Meinetwegen könnt ihr deutsch reden, was ihr wollt; ich verrate euch nicht.« —

      Die beiden im Saale führten ihren Vorsatz, sich zu beherrschen, durch, so schwer es ihnen auch wurde, und über ihre heimliche Liebe fiel weder ein deutsches noch ein lateinisches Wort. Nur von Blick zu Blicke flog es stumm hin und her: ego sum tu et tu es ego.

      Es war das letzte Mittagessen, das sie allein miteinander einnahmen, denn heut’ Abend konnten sie den Grafen von seinem Ritt nach Quedlinburg zurück erwarten, und beiden war es recht, dass er wiederkam, denn an seiner Gegenwart hatten sie einen noch festeren Halt und Schutz, sich nicht zu vergessen und zu unerlaubtem Tun hinreißen zu lassen.

      Eike begab sich nach Beendigung des Mahles in sein Zimmer und setzte sich sogleich an seine Arbeit, in die er sich nach Möglichkeit vertiefte, um keinen störenden, sinnberückenden Vorstellungen Einkehr bei sich zu gestatten.

      Gerlinde ging in ihr Gemach, streckte sich dort auf das Spannbrett, eine nur zum Ausruhen am Tage dienende Polsterbank mit einer Wolfsfelldecke, und versank bald in einen erquicklichen Schlummer.

      Fast eine Stunde schlief sie, erwachte frisch und gestärkt davon und überdachte, nun freier und unabhängiger von dem augenblicklichen Eindruck des Geschehens, die Erlebnisse des heutigen Morgens. Die Gefühle, die sich ihrer dabei bemächtigten, verlangten aber nach Worten; schnell richtete sie sich auf, nahm die Harfe von der Wand und hub an zu singen:

      Seid mir gegrüßt, Gedanken,

      Die ihr im Streite siegt

      Und euch wie Efeuranken

      Um meine Stirne schmiegt.

      Wollt mild und freundlich walten

      In meines Herzens Haus,

      Gleich holden Traumgestalten

      Schwebt leise ein und aus.

      Das Zweifeln all und Bangen,

      Wie liegt es nun so fern,

      Derweil mir aufgegangen

      Mein schöner Morgenstern.

      Er wird mein Schicksal weben,

      Mir weisen weg und Zelt,

      Hell strahlt er in mein Leben,

      In meine stille Welt.

      Und muss ich auch verschweigen

      Wovon die Brust mir schwillt

      Will mich in Demut neigen,

      Das Sehnen ist gestillt.

      Im Nachspiel ließ sie sanft ausklingen, was sie während der nur halblaut vorgebrachten Strophen bewegt hatte; dann saß sie lange in Sinnen verloren, hatte die Harfe aufs Knie gestellt, auf deren Hals die gefalteten Hände und aus die Hände das gedankenschwere Haupt gelegt. Sie hatte nicht alles, was sie in sich trug, ausgesprochen, hatte mit anderen Empfindungen, die ihr Inneres durchkreuzten, noch zurückgehalten Fragen, die sie gelöst, Zweifel, die sie überwunden wähnte, tauchten noch einmal in ihr auf, und ihre Sehnsucht war von dem Liede nicht in den Schlaf gesungen. Da griff sie wieder in die Saiten und begann aufs Neue:

      Liebt er mich in Treuen so wie ich ihn

      Mit unverlöschlichen Gluten,

      Und fühlt auch er durch die Seele zieh’n

      Des Aufruhrs wogende Fluten?

      Der Wissende, weiß er denn wohl genau,

      Was Sehnsucht zischelt ins Ohr der Frau?

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