Скачать книгу

an sich selber hatte er dabei nicht gedacht, und nun waren ihm plötzlich die Schuppen von den Augen gefallen.

      Rückschauend ließ er die ganze Zeit seines Hierseins an sich vorüberziehen, um die Spur zu finden, die ihn zur Erkenntnis von Gerlindes Seelenzustand leiten konnte. Aber kein ihn ermutigendes Entgegenkommen, nicht das kleinste Zeichen einer unerlaubten, die Grenzen gern erwiesener Gastfreundlichkeit überschreitenden Huld und auch kein übereiltes Sichvergessen der jugendlich lebhaften Frau tauchte in seiner Erinnerung auf.

      Und wie war es denn mit seinem Herzen bestellt? Von Anfang an war er von der natürlichen Anmut der Gräfin angezogen, bestrickt, bezaubert worden, und bald hatten ihre vielseitige, der seinigen ebenbürtige Bildung, ihre schnelle Auffassung und Verarbeitung alles dessen, was Geist und Gemüt anging, ihm erst eine aufrichtige Verehrung für sie und endlich eine tiefe Neigung zu ihr eingeflößt.

      Da prüfte er sich ernstlich, ob er nicht seinerseits die gegenwärtige Lage der Dinge verschuldet, ob er sich der Gräfin nicht zu sehr genähert, nicht zu dreist um ihre Gunst geworben hätte. Nein, das hatte er nicht getan, hatte nicht mit leichtfertig kosigem Minnedienst nach ihrer Gnade getrachtet und brauchte sich keines Verstoßes gegen höfische Sitte und mannhaft ehrbare Ritterlichkeit zu bezichtigen. Heut' Abend auf dem Altan, als sie ihm vorwarf, dass er zu gering von ihr dächte, hatte er sich zu einer fast schon zu vielsagenden Andeutung hinreißen lassen, die er jetzt bereute. Nie wieder sollte dergleichen über seine Lippen kommen, denn nun und nimmer durfte Gerlinde erfahren, was sich für sie in ihm regte.

      Sie aber hatte, wohl sehr gegen ihren Willen, ihm ihr Herzensgeheimnis so offensichtlich enthüllt, dass er an ihren Gefühlen kaum noch zweifeln konnte. Was wollte der ihn wie mit Armen umschlingende Blick, bei dem er sie überraschte und für den sie die zwar geschickte, aber wenig glaubhafte Ausrede von feiner Ähnlichkeit mit einer altrömischen Gemme fand? Und was für eine Übermacht war es, der sie nicht standzuhalten vermochte und vor der sie in Bangen und Beben die Flucht ergriff? Doch keine andere als die der Bezwingerin aller Menschenherzen.

      Und von deren Einflüsterungen getrieben hatte ihm Gerlinde sogar bei seiner Arbeit helfen wollen. Diese Hilfe, doch sicher auch in der Hoffnung angeboten, seine Gesetzgebung dabei in ihrem Sinne beeinflussen zu können, hatte er natürlich ablehnen müssen. Aber wie unsäglich würde es ihn gefreut haben, wenn er sich wie über so viele andere Dinge auch über das Werk seines Lebens in inniger Übereinstimmung mit ihr befunden hätte! Das war jedoch leider nicht der Fall, wie er sich erst kürzlich wieder einmal überzeugen musste, als das Gespräch, von der Gräfin darauf hingelenkt, auf sein Buch gekommen war.

      Den Kopf voll mit einer von ihm geplanten Bestimmung gegen eine zu Unrecht bestehende kirchliche Einrichtung, die auf das Rechtsgebiet hinübergriff, hatte er einen scharfen Tadel darüber ausgesprochen. Er hatte es eine von der Geistlichkeit beliebte falsche Auslegung und missbräuchliche Nutzanwendung dogmatischer Satzungen genannt und damit die Gräfin in ihrer bedingungslosen Gläubigkeit verletzt. Da war sie zornig aufgefahren.

      »Davon will ich nichts hören, das macht mit Euch allein aus! Wenn Ihr bekrittelt und verspottet, was mir heilig ist, so wird niemals Eintracht und Friede zwischen uns sein.«

      Danach hatte sie ihm den Rücken gekehrt und ihn wie einen gescholtenen Knaben stehen lassen.

      In diesem klaffenden Zwiespalt war etwas, das Eike nicht begriff. Er begriff nicht, wie das Abstoßende, das ihr aus seiner freigeistigen Richtung so schroff entgegentrat und das Anziehende, das sie an seine Person und seinen Umgang fesselte, sich in ihrem Herzen zu dem Gefühl aufrichtiger Zuneigung verschmelzen konnten. Über diesen Widerspruch mochte er in der schon weit vorgeschrittenen Nacht nicht mehr brüten und grübeln, denn jetzt siegte die Macht der Natur über den Ermüdeten und versenkte ihn endlich in erlösenden Schlummer.

      Aber kein ruhiger, erquicklicher Schlaf breitete seine sanften Fittiche über ihn; unsinnige, zusammenhanglose Träume suchten ihn auf seinem Lager heim und umgarnten ihn mit beklemmenden Vorstellungen.

      Eike saß wieder am Schachbrett, nicht auf dem Altan, sondern im Gemach der Gräfin, doch nicht diese, sondern Graf Hoyer war sein Widerpart, und das Gefecht war schon in voller Entwicklung. Eike verriet von vornherein und mit jedem Zuge das Bestreben, die Königin seines Gegners gefangen zu nehmen. Der Graf durchschaute diesen Plan, richtete sein Spiel danach ein und ging aus tapferer Verteidigung der unablässig Verfolgten zu scharfem Angriff über, so dass der Kampf ein sehr erhitzter und erbitterter wurde. Gräfin Gerlinde saß abseits, hielt die Harfe im Arm und ließ aus den Saiten die Melodie ihres Sehnsuchtsliedes ertönen, Eike dabei unverwandt anblickend. Dieser horchte danach hin und rief sich zu den leise rauschenden Klängen die Worte des Liedes zurück, soviel ihm davon im Gedächtnis geblieben war. Das lenkte seine Aufmerksamkeit vom Schachbrett ab und verwirrte ihn Es war ihm, als würden die Elfenbeinfiguren so klotzig schwer, dass er sie kaum von der Stelle bewegen konnte. Sie rückten überhaupt nicht dahin, wohin er sie haben wollte, entglitten seiner zitternden Hand und wandelten unbotmäßig ihre eigenen Wege, wobei sie Fehler über Fehler machten, Eike beträchtliche Verluste auf dem Schlachtfelde erlitt und von seinem Ziele, sich die Königin zu erobern, immer weiter abgedrängt wurde. Er schämte sich seiner unausbleiblichen Niederlage unter den Augen der geliebten Frau, und es erboste ihn, wenn der Graf mit grimmig drohender Stimme ihm Schach und aber Schach entgegenschrie. Und doch konnte er keinen Laut des Unmutes aus seiner wie zugeschnürten Kehle hervorbringen und konnte auch, als wäre er auf seinem Stuhle festgenagelt, nicht aufspringen und davonlaufen, wie es Gerlinde heut’ Abend auf dem Altan getan hatte. Hilflos flehend sah er zu ihr hinüber, aber sie rührte sich nicht vom Flecke, ihm beizustehen und ihn aus seiner verzweifelten Lage zu retten, was sie, wenn sie gewollt hätte, mit ihrer Meisterschaft auf dem Brette vielleicht noch gekonnt hätte. Es schien ihm sogar, als zuckte eine Regung von Spott um ihren schönen roten Mund.

      Bald war sein König unentrinnbar umstellt und damit das Spiel für Eike verloren, weil Gerlinde ihn mit den Klängen ihres Liedes berückt und aus der Fassung gebracht hatte. Unter dem schallenden Hohngelächter des Grafen zerrann das grausame Traumbild.

      Eike perlte der Schweiß auf der Stirn, und er lag, er wusste nicht wie lange, wachend und schwer atmend im Bette. Als er aber wieder eingeschlafen war, gaben ihn die äffenden Gesichte noch nicht frei; nur der Schauplatz und die handelnden Personen wechselten.

      Sein zweiter, mehr possenhafter als beängstigender Traum gestaltete sich folgendermaßen.

      Eike trat, von den Bergen kommend, in sein Arbeitszimmer, aber die beiden, die er zu seinem Erstaunen dort antraf, hörten und sahen ihn nicht, als wäre er ein lustiger, unkörperlicher Schemen, und ließen sich in ihrem Tun nicht im Mindesten stören. Wilfred und der allzeit wegfertige Ritter Dowald von Ascharien waren es. Sie saßen sich gegenüber am Schreibtisch und hatten einen irdenen Weinkrug und zwei Becher zwischen sich stehen, deren einen der Ritter eben bis auf den Grund leerte.

      Wilfred, sich in Eikes Lehnstuhl breit machend, hielt ein Pergamentblatt in der Hand und begann, dem listig schmunzelnden Pracher vorzulesen, was er darauf nieder geschrieben hatte.

      Vom Zech- und Schenkenrecht und von ritterlichen Schulden.

      Paragraph eins. So ein fahrender Ritter eine Trinkstube, Schenke oder Herberge in Stadt oder Dorf oder an offener Landstraße mit seiner Einkehr tags oder nachts beehrt, hat sich der Wirt mit abgenommener Kopfbedeckung dem fürnehmen Gaste devotissime zu nähern und ihn nach seinen Befehlen zu fragen. Jedwedem Wunsch und Wink des Herrn nach Speis’ und Trank hat der Wirt schleunig zu gehorchen und das Beste aufzutischen, was er in Küche und Keller hat. Bei Berechnung der Zeche darf er höchstens die Hälfte des Selbstkostenpreises erbitten, und für den seltenen, aber doch möglichen Fall dass der ritterliche Herr ausnahmsweise kein Geld in seinem Säckel hat, soll der Wirt die aufgelaufene Zeche ins Kerbholz schneiden oder in sein Büchlein schreiben —

      »Oder auch in den Schornstein,« flocht Dowald lachend ein — und soll sich bei der gnädigen Verabschiedung des Gastes mit tiefer Verneigung für die ihm erwiesene große Ehre seines Besuches geziemend bedanken.

      Paragraph zwei. So ein edler, schildbürtiger Herr sich herablässt, von einem Bürger oder Bauer ein bares Darlehen zu nehmen, soll er von jeglicher Zinszahlung frei sein,

Скачать книгу