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er, kaum wissend wie, auf dem Bergesrücken angekommen und hatte nun den Falkenstein in gleicher Höhe jenseits des Tales vor sich. Da hielt er an und schaute lange hinüber. Die steingraue Burg ragte nur mit dem Obergeschoss und dem Turm über das Laub der Bäume hinaus und hob sich in scharfkantigen Umrissen von dem weißen Gewölk malerisch ab. Eike er kannte die Fenster seiner Wohnstätte, wo er, über ungezählte Papiere gebeugt, sich Tag für Tag angestrengt mühte, und sah auch den Altan, aus dem er am zweiten Abend nach seiner Ankunft mit dem Grafen und der Gräfin bis in die Nacht hinein gesessen und ihnen Vortrag gehalten hatte. Doch, wo war das kleine, trauliche Gemach Gerlindes? — Das herauszufinden war ihm nicht möglich. Wie aber wäre es, wenn er sich jetzt dahin versetzen und wie sie an seinem Schreibtisch plötzlich an ihrem Stickrahmen leibhaftig vor ihr erscheinen könnte? Er musste lachen über den tollen Einfall, ihr einen spukhaften Gegenbesuch zu machen, und wollte den Heimweg antreten, denn das Blinken seiner Fenster da drüben erinnerte ihn an die Arbeit, die seiner dort harrte und bei der ihn in den letzten anderthalb Wochen oft Unsicherheit und Zagen bedrückt hatten. Aber da hemmte seinen Fuß und fesselte seinen Blick einer, der das besaß, was ihm fehlte, — himmelantragende, raumdurchmessende Flügel.

      Von Süden her kam ein Adler geflogen, kam näher und beschrieb, ohne die mächtigen Schwingen zu regen, hoch über ihm schwebend immer den gleichen Kreis.

      Dieses Schauspiel ließ Eike nicht los, und er folgte mit den Augen dem Zuge des stolzen Fliegers. Vogelflug hatte im alten Rom eine prophetische Bedeutung, und den unverwandt Hinaufspähenden durchzuckte ein seltsamer Gedanke. Sollte das eine Botschaft an ihn aus weiter Ferne sein? Sandte den Beherrscher der Lüfte, den König der gefiederten Welt ihm ein anderer Herrscher, ein wirklicher König zu, Kaiser Friedrich der Hohenstaufe, mit Wink und Mahnung, allen Kleinmut aus seiner Seele zu verbannen und sich mit den Schwingen des Geistes zu freier Schaffenskraft zu er heben, sein Werk freudig zu fördern und glücklich zu vollenden? Ja! So war es, so sollte es sein, so nahm es Eike hin und winkte dem kaiserlichen Sendboten dort oben seinen Dank dafür zu, dass er ihm wieder Vertrauen und Zuversicht zu seiner Arbeit eingeflößt hatte.

      Nun ging er fröhlich und leicht wie selber von Fittichen getragen bergab und pflückte unterwegs eine Handvoll Waldblumen, die er zu einem Strauße für Gräfin Gerlinde band.

      Zeitig genug vor Mittag durchschritt er das Burgtor, eilte treppauf und begab sich zu der Kemenate der Gräfin. Ehe er jedoch ganz heran war, vernahm er Saitenklänge darin, näherte sich behutsam der Tür und horchte. Es war nur ein lebhaft bewegtes Vorspiel gewesen, denn jetzt begann Gerlinde zu singen, und Wort für Wort verstand der Lauschende den Text ihres Liedes.

      Von den Saiten soll es brausen,

      was am hellen Tag mit Macht

      Mich bestürmt mit leisem Grausen,

      Mich beschleicht in dunkler Nacht.

      Nicht mit Worten kann ich’s sagen,

      was mich treibt’ ohn’ Ruh’ und Rast,

      Und in Schweigen sie zu tragen,

      Ist zu schwer die süße Last.

      Ach, ich fühl’ es jede Stunde,

      Wie es in mir wühlt und nagt,

      Was sich aus des Herzens Grunde

      Doch nicht auf die Lippe wagt.

      Aber ist’s auch in der Stille

      Strengen Pflichten untertan,

      Ist es einmal Schicksals Wille,

      Bricht sich auch Gebund'nes Bahn.

      Was sind Fesseln, was sind Schranken,

      Einem Wunsch, der nimmer ruht,

      Dessen heimlichste Gedanken

      Schnell verrät der Wangen Glut.

      Angst und Leid sind zu besiegen,

      Tränen werden weggelacht.

      Alles lässt in Schlaf sich wiegen,

      Nur die Sehnsucht wacht und wacht.

      Dem in unverkennbarer Erregtheit gesungenen Liede folgte ein Nachspiel auf der Harfe, das allmählich abschwellend in wehmütigen Akkorden ausklang.

      Eike, tief ergriffen von dem, was er gehört hatte, mochte jetzt nicht eintreten, um der Gräfin seinen Blumenstrauß zu überreichen. Er legte ihn auf der Türschwelle nieder und ging leise davon.

      Zehntes Kapitel.

       Inhaltsverzeichnis

      In seinem Zimmer angekommen, saß Eike vor sich hin stierend auf der Ruhebank und sann. Was hatte Gerlindes Lied zu bedeuten? Trug sie eine heimliche Liebe im Herzen, am Ende gar eine von dem Geliebten nicht erkannte oder nicht erwiderte Liebe? Aber von einer Frau wie Gerlinde geliebt zu werden und sie nicht wieder zu lieben, däuchte ihm ein Ding der Unmöglichkeit. Oder sollte es eine unvergessene, unverwindliche Jugendliebe sein, der sie aus irgendwelchen Gründen hatte entsagen müssen? Arme Gräfin von Falkenstein, die alles zu ihrer Verfügung hatte, was eines Wunsches wert war, nur nicht des Lebens höchstes Glück!

      Es klopfte. Melissa kam und lud Eike gefällig knicksend zum Mittagessen. Ungesäumt folgte er der Aufforderung.

      Im Speisesaal trat ihm die Gräfin etwas beklommen entgegen und dankte ihm mit ein paar schüchternen Worten für den schönen Waldblumenstrauß, den sie in einem tönernen Ziergefäß mitten auf den Esstisch gestellt hatte.

      In ihrem unsicher forschenden Blicke las Eike die bange Frage: hast du mein Lied gehört? Die Annahme, dass er es gehört hatte, lag sehr nahe, denn er musste zu der Zeit, da sie gesungen hatte, mit seinen Blumen an ihrer Tür gewesen sein. Von diesem Drucke wollte er sie befreien.

      Im unbefangensten Plauderton begann er:

      »Ich hatte mir heute Morgen mit kniffligen Erwägungen den Kopf warm gemacht und fühlte das Bedürfnis, frische Luft zu schöpfen. Darum ging ich zu Tale und von Tale wieder zu Berge, und da blühten im Walde so viel Blumen, dass ich etliche pflückte, um sie Euch zu bringen.

      Damit heimgekehrt horchte ich an Eurer Tür, aber es war und blieb innen alles mäuschenstill; Ihr waret also gewiss nicht in dem Gemach, und da ich in Eurer Abwesenheit nicht eindringen wollte, legte ich den Strauß auf Eure Schwelle. Es freut mich, dass Ihr ihn gefunden habt und ihm solche Ehre erweist,« schloss er mit einer Handbewegung nach dem lieblichen Tafelschmuck.

      »Ich danke Euch nochmals für Euer freundliches meiner Gedenken, Herr von Repgow,« sagte Gerlinde, nun fest überzeugt, dass er von dem Liede nichts wusste, weil er wohl schon vorher dagewesen war, obgleich sie seinen Schritt nicht vernommen hatte.

      »O ich habe von da drüben auch nach Euren Fenstern gespäht, sie aber nicht entdecken können,« sprach er.

      »Dann werde ich künftig, sobald ich Euch auf den Bergen dort weiß, das Fenster öffnen und Euch mit dem Tuche zuwinken.«

      »Und ich werde Euch den Gruß erwidern, wenn ich ihn sehe.«

      »Und mir wieder ein paar Blumen pflücken, gelt?«

      Eike nickte und führte die Gräfin zu Tische, denn Melissa war eingetreten, ihres Dienstes zu walten.

      Es war nicht das erste Mal, dass die beiden allein miteinander speisten, aber heute geschah es unter veränderten Umständen. Eike war im Besitz eines Geheimnisses seiner Tischgenossin, wusste, dass sie von einer ungestillten Sehnsucht erfüllt war, und konnte der Versuchung nicht widerstehen, zu ermitteln, wer und wes Art derjenige war, dem diese Sehnsucht galt.

      Unauffällig lenkte er das Gespräch auf geselligen Verkehr im Allgemeinen und fragte dann so nebenbei, mit welchen schildbürtigen Herren und Damen sie und ihr Gemahl hier Umgang pflegten. Gerlinde erteilte ihm mit vollkommenem Gleichmut Auskunft, nannte einige gräfliche Häuser und andere in der Umgegend ansässige Adelsgeschlechter und schilderte ihm

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