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Die wichtigsten Werke von Julius Wolff. Julius Wolff
Читать онлайн.Название Die wichtigsten Werke von Julius Wolff
Год выпуска 0
isbn 9788027225194
Автор произведения Julius Wolff
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Eine Christin war sie nicht und wollte es nicht sein, sondern hielt mit finsterer Zähigkeit an dem Heidentum fest, das in den Bergen und Wäldern des Harzes noch Jahrhunderte lang nach den blutigen Sachsenkriegen Kaiser Karls des Großen im Verborgenen fortlebte.
Wegen ihrer Kenntnis von längst abgekommenen Sitten und Bräuchen, von heilkräftigen Kräutern und Wurzeln, ihres Bewandertseins in Zaubersprüchen, Wundsegen, Blutstillen und anderen Heimlichkeiten erfreute sie sich eines so weit verbreiteten Rufes, dass manch einer und eine kam, sie in Körperleiden und Herzensnöten um Rat und Hilfe anzugehen. In der Familie genoss sie die größte Verehrung, und über ihre Urenkelin Luitgard hatte sie mehr Gewalt als Vater und Mutter, denn selbst das eigensinnige, schwer zu bändigende Mädchen fügte sich der das ganze Hauswesen beherrschenden Ahnin.
Als die Alte herangekommen war, stand Wilfred auf und begrüßte sie mit der Frage: »Wie geht’s, Großmutter Suffie?«
»Schlecht, mein Junge! Das siehst du doch,« ächzte sie, auf der Bank schwerfällig Platz nehmend. »Die Gicht im rechten Bein lässt mich nicht los. Alle Morcheln, die ich mir da hinten aus dem trocknen Kiefernboden gebrochen habe, wollen nicht helfen gegen das Gebreste, es ist ein Elend. Ich kann nicht mehr auf die Berge klettern, mich nicht mal mehr zum Sonnwendfeuer schleppen, und das frisst mir am Herzen. Es ist jetzt schon das dritte Mal, dass ich dabei fehlen muss, seit mich mein Vater als Siebenjährige zuerst mit hinaufgenommen hat, wo sie — du wirst es ja wissen und darüber schweigen — wo die, die noch getreulich dem großen Wode und der Frau Holle anhängen, sich zusammenfinden, die alten heiligen Gebete raunen, Lose werfen und Hand in Hand durchs Feuer springen. Hab’s als schmucke Maid auch getan mit manchem jungen Burschen, der schon lange nicht mehr springt. Seit Jahren war ich immer die Älteste dabei und wusste mehr als alle.«
Wenn Suffie ins Reden kam, wurde sie geschwätzig und hörte so bald nicht wieder auf. »Großmutter,« begann Wilfred, »Ihr habt doch meinem Vater selig so manchen guten Rat gegeben und —«
»Freilich, Fred, freilich!« unterbrach sie ihn sofort wieder, »gegen Tollwut musste er ein Wolfsauge bei sich tragen und um den Hals eine Schnur von Krebsscheren gegen das Gewehr des groben Keilers, aber gegen Bärenpranken ist kein Kraut gewachsen; mit so ’nem Untier durfte er ohne ein paar starke Hetzrüden nicht anbinden.«
»Ich wollte nur sagen,« fuhr Wilfred fort, als er wieder zu Worte kam, »wisst Ihr denn kein Mittel zu Eurem eigenen Gesunden, dass Ihr wieder springen lernt?«
»Nichts, mein Junge, nichts,« erwiderte sie, das greise Haupt schüttelnd, »ich muss stillhalten, bis das alte Gerippe mit seiner Sense kommt und mich abmäht. Ein Menschenleben geht hin wie der Rauch, das ist so, seit die Welt im Wasser unterging.«
»Na, vorher wird’s auch wohl nicht anders gewesen sein,« mischte sich Luitgard naseweis ein, »und Ihr seht doch unsern Schornstein schon recht lange rauchen, Großmutter.«
»Dir etwan schon zu lange, Luit?« begehrte Suffie auf. »Was weißt du dummes Balg von leben und sterben? In den zwölf Julnächten vorigen Winter hab’ ich’s einmal grausig hier durchs Tal toben und heulen hören, da muss Wode mit seinem wütenden Heer dicht über uns hingezogen sein, hat mir wohl einen Wink geben wollen, mich fertig zu machen. Hätt’ er sich sparen können, der große Schimmelreiter, ich bin fertig.«
»Das eilt wohl nicht, Großmutter,« lächelte Wilfred. »Es hat schon manche um Lichtmess gedacht, sie hätte ihr letztes Süpplein ausgelöffelt, und ist doch noch zu Walpurgis mit auf den Blocksberg geritten.«
»Zähme deine Zunge!« fuhr die Alte auf ihn los, richtete sich steif in die Höhe und maß den Kecken mit einem bösen Blicke. »Eine Besenhexe bin ich nicht.«
»Euch hab’ ich damit nicht gemeint, es war nur ein Gleichnis,« beruhigte er die Beleidigte. »Es gibt Jüngere, die mit dem Teufel einen Tanz wagen, wenn die Engel nichts von ihnen wissen wollen.«
»Ach so!« lachte Luitgart, »nun, du hast ja oben auf dem Falkenstein einen blonden Engel, der gewiss nicht spröde ist und dir bei Tag und Nacht keinen Tanz versagt.«
»Darum kümmre dich nicht!« wies sie Wilfred scharf ab. »Die du im Sinn hast, zeigt mir ein holderes Gesicht als du.«
»Richtig, Falkenstein!« fiel Suffie ein. »Ihr habt ja schon seit Wochen einen fürnehmen Gast; was tut denn der so lange bei euch? Harft und singt wohl mit der schönen, jungen Gräfin?«
»Nein er arbeitet mit mir.«
»Arbeitet mit dir?«
»Ja, sie kritzeln ein Buch zusammen,« spottete Luitgard. »Denkt Euch, Großmutter, ein Buch, ein Gesetzbuch!«
»Davon verstehe ich nichts,« sagte die Alte. »Schreiberei ist verfluchtes Satanswerk und schafft nur Unheil.«
»Sagt das nicht, Großmutter! Das Mühlen- und Wasserrecht kommt auch in unserem Buche vor,« belehrte sie Wilfred, »höret ein Exemplum. Vor jedem Mühlengerinne muss ein Merkpfahl eingerammt sein, der anzeigt, wie hoch der Müller das Wasser in seinem Graben halten darf, nämlich nur so hoch, dass eine Biene mit aufgereckten Ohren auf dem Pfahle sitzen kann und sich dabei die Füße, aber nicht den Leib benetzt. Nun liegt es in meiner Hand, statt eine Biene mit aufgereckten Ohren zu schreiben ein Frosch mit hervorstehenden Glotzaugen. Das macht einen großen Unterschied aus, denn dann kann der Müller das Wasser viel höher stauen und seinem Rade mehr Kraft geben. Begreift Ihr das?«
»Ei wohl, schreibe so, Fred, und hole dir von Luit den Dank dafür.«
»Mir läuft unser Wasserrad schnell genug,« kam es verächtlich von des Mädchens Lippen. »Meinetwegen kann sich Fred selber auf den Merkpfahl setzen, von mir hat er keinen Dank zu verlangen.«
Der ihm von der Übellaunigen heute wieder zuteilwerdenden schlechten Behandlung endlich überdrüssig, erhob sich Wilfred nach dieser wegwerfenden Äußerung und ging, sich nur von Suffie verabschiedend, missmutig davon.
Aber statt sich von hier aus geradwegs auf den Falkenstein zurückzubegeben, bog er nach rechts ab und schlug sich bergan steigend in das Dickicht, in dem er spurlos verschwand.
Er wollte noch den anderen der zwei Besuche abstatten, die er sich für diesen Sonntag vorgenommen hatte, und da, wohin es ihn jetzt zog, war er einer freundlicheren Aufnahme sicher. Denn dort wusste er einen trauten Kumpan, der ihn gewiss schon seit langem sehnlichst erwartete.
In schnurgerader Richtung querwaldein dringend gelangte er zu einer alten Buche. deren gewaltige Wurzeln in großen, schlangenartigen Windungen und Krümmungen aus der Erde hervorragten. In einer ihrer Gabelungen dicht am Stamme ließ sich Wilfred nieder und saß da, auch im Rücken gestützt, so bequem wie zwischen den Armlehnen eines moosgepolsterten Sessels. Nun holte er seine Rohrflöte hervor, die dem Ritter Eile von Repgow bei der Ankunft auf dem Falkenstein den ersten Willkomm zugetrillert hatte, und fing an darauf zu blasen. Nach einem Weilchen hielt er inne und horchte. Alles still, nichts regte sich. Er hub von neuem zu blasen an und diesmal stärker, wonach er wieder wie ein Vogelsteller bewegungslos lauschte. Endlich vernahm er ein leises Geräusch, nur ein paar Pulsschläge lang, dann verstummte es. Bald erklang es wieder, immer noch leise, aber schon näher. Es war, als wenn etwas Lebendiges behutsam heranschlich oder kroch, und jetzt sah er im niedrigen Unterholz zwei fest auf ihn gespannte Lichter glänzen. Gleich darauf raschelte es durch Laub und Kraut, und husch! sprang ihm mit flinkem Satz ein Fuchs auf den Schoß.
»Schlitzohr, bist du da?« rief er und umfing das Tier, das sich ihm wie ein treuer Hund anschmiegte und schlau blinzelnd zu ihm aufäugte.
Das war der Freund, dem sein Besuch galt und mit dem er sich verstand wie ein Mensch mit dem andern, nur dass dem Vierfüßler die Sprache fehlte. Wilfred hatte ihn einst als Junges nicht weit von hier durch einen glücklichen Zufall erhascht, ihn mühsam mit unendlicher Geduld gezähmt, ihn mit allerhand Atzung geködert und gekirrt,