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und sang ein ernstes Lied mit einer wohllautenden, etwas tief liegenden Stimme.

      Wenn dann die Sonne durch die gemalten Fenster schien und die Kapelle mit farbigem Licht erfüllte, so schwebte durch den Raum eine weihevolle, die Gemüter erhebende Gottesnähe. —

      Schon waren der Gräfin sechs Jahre an der Seite ihres viel älteren Gemahls ohne irgendein denkwürdiges Ereignis langsam dahingegangen. Nur selten hatte sie den Falkenstein zu einem Ausflug in eine benachbarte Grafschaft verlassen und nur dann und wann den kurzen Besuch befreundeter Standesgenossen empfangen.

      Und nun hatte sie auf einmal und auf die voraussichtliche Dauer von mindestens sechs Monaten einen Gast in der Burg, der ihr, ehe sie ihn kannte, wenig willkommen gewesen war.

      Das hatte sich von dem Tage seines Eintreffens an geändert. Eike von Repgow war ihr ein werter und lieber Gesell geworden, dessen Gegenwart sie erfreute und dessen ritterliches Wesen sie in hohem Grade anmutete. Mit seinen weit ausgreifenden gesetzgeberischen Plänen konnte sie freilich nicht gleichen Schritt halten, ihre Ansichten und Meinungen mit den seinigen nicht immer in Einklang bringen und seine entschiedene Abneigung gegen Kirche und Geistlichkeit nur tief bedauern. Seiner Unkirchlichkeit wegen machte sie sich sogar ernste Sorgen um ihn und überlegte schon, wie sie ihn sacht und allmählich zu einer anderen, der ihrigen mehr entsprechen den Auffassung bekehren könnte, freilich mit nur schwacher Hoffnung, soviel Einfluss auf den in sich gefesteten Denker und Gelehrten zu gewinnen.

      Dennoch erfüllte sie sein kühnes Werk, sein Mut und sein Wille, Rechtseinheit in ganz Sachsenland einzuführen, mit der größten Hochachtung. »Das Recht schaffen und die Gerechtigkeit auf den Schild heben,« hatte er gesagt. Klang das nicht wie ein Wahlspruch für sein ganzes Leben und Streben?

      Durchdrungen von der Anerkennung seiner vaterländischen Gesinnung bewunderte sie zugleich sein umfassendes Wissen und seine hinreißende Beredsamkeit, womit er sie gefangen nahm und wie mit Zauberbanden fesselte.

      Jener Abend auf dem Altan haftete, obwohl er schon Wochen zurücklag, unauslöschlich eingeprägt in ihrer Erinnerung, und ihr klopfte das Herz, wenn sie sich vergegenwärtigte, wie Eike ihr dort gegenüber gesessen und das, was ihn im Innersten bewegte, ihr und dem Grafen offenbart hatte. Sie sah ihn noch in der jugendlichen Vollkraft seiner Jahre mit den edel geformten Zügen und den flammenden Augen, hörte noch seine vor Erregung manchmal leis' bebende Stimme und empfand noch einmal die heimlichen Schauer, die sie bei seinem packenden Vortrage durchrieselt hatten. Und so sah sie ihn nun tagtäglich, und auch dann, wenn er körperlich nicht zur Stelle war, stand doch sein Bild, wie sie es sich von ihm schuf, lebendig vor ihr und ließ sich nicht verscheuchen. Wohl versuchte sie, dagegen anzukämpfen und sich von dem bestrickenden Banne frei zu machen mit dem ihr strenggläubiges Gewissen aufrüttelnden Bedenken: er ist doch ein halber, wenn nicht ein ganzer Ketzer, mit dem man Mitleid haben, dem man aber nicht uneingeschränkte Verehrung zollen kann. Was half es ihr? Eike von Repgow war in ihr Leben getreten wie ein Stern, der jetzt erst am Himmel aufgegangen war und mächtig in ihr Schicksal einzugreifen drohte. In träumerischer Bangnis fragte sie sich: wird er dir Glück oder Unglück bringen?

      Es war in ihrem kleinen, höchst behaglich eingerichteten Frauengemach, wo sie sich solchen Erwägungen hingegeben hatte. Dort befand sich unter allerlei kostbarem Hausrat ein schlichtes Betpult, ein altes Erbstück ihrer Familie, das sie von Hause hierher mitgebracht hatte und über dem an der Wand eine aus Elfenbein geschnitzte Mutter Gottes mit dem Jesuskinde hing. Hier kniete jetzt Gräfin Gerlinde nieder und betete zur heiligen Jungfrau für Eike von Repgows schwer gefährdetes Seelenheil —.

      Der tagsüber in seinen Schriften vergrabene Gast ahnte nicht, dass die Herrin der Burg sich so viel mit ihm beschäftigte und mit welcherlei Betrachtungen sie ihn unablässig umwob. Nur mittags und abends kam er aus seiner Werkstatt in die Räume, die zum gemeinsamen Aufenthalt dienten, und pflegte mit Graf und Gräfin eine alle drei erfrischende Geselligkeit. Dort ruhten Gerlindes Augen oft sinnend auf seinem Antlitz, als wollten sie eindringen in den tiefen Schacht, dem er das Gold und das Eisen entnahm, woraus er in stiller Geistesarbeit seinem Volke Gesetze schmiedete. Wenn sich dann sein und ihr Blick zufällig begegneten, schlug sie geschwind die Augen nieder, und ein rosiger Hauch glitt über ihre bräunlichen Wangen. O, wie schön war sie dann in ihrer rührenden Beschämung und Verwirrung! Eike fühlte sich davon ergriffen, und ihm war, als müsste er sein Haupt neigen vor so entzückender, unbewusster Anmut.

      Höher aber als ihre blühende Schönheit schätzte er ihre geistigen Vorzüge, ihre schnelle Auffassungsgabe und ihre stets bereite Empfänglichkeit für alles, was dem Leben inneren Wert oder äußeren Schmuck verlieh. Während der Mahlzeiten plauderte er gern mit ihr über Dinge, die ihnen beiden am Herzen lagen, und hörte ihr ebenso begierig zu wie sie ihm. Nur über sein Buch sprach er fast niemals, obwohl sie ihn bei Tische mehrmals darauf hindrängte, weil sie in der Unterhaltung über seine fortschreitende Arbeit den Weg zu gegenseitiger seelischer Annäherung und wachsendem Vertrauen sah.

      Eike merkte wohl ihre Absicht, ihn auszuforschen, aber nicht den damit verfolgten Zweck, sondern glaubte, dass sie nur Gelegenheit zu erneutem Streiten suche, um sich in glänzenden Wortgefechten mit ihm zu messen. Hätte er Gerlindes wahren Zweck erkannt, hätte er ihr mit Freuden jeden Einblick in sein Werk gestattet, seiner und ihrer sicher, dass er mit seinen Aufklärungen ihre Zweifel und Bedenken zerstreuen und sie ihm zur Verständigung das weiteste Entgegenkommen zeigen würde. Nur ihr zuliebe hielt er ja, in seinem Irrtum befangen, mit seinen lehrhaften Erläuterungen zurück, um sie nicht zum Widerspruch zu reizen, zu verstimmen und dadurch das freundliche Verhältnis, das zwischen ihnen waltete, zu trüben.

      Darum blieb er bei seiner unausgesprochenen Weigerung, und ihre deutlichen Winke, mehr von seinem Buche zu reden, prallten an seiner hartnäckigen Verschlossenheit, deren Gründen sie vergeblich nachspürte, machtlos ab. Aber ihr Verkehr miteinander litt unter dieser Geheimtuerei, wie es die Gräfin nannte, durchaus nicht. Der war bei regem Meinungsaustausch über allerhand sonstige, des Erwähnens werte Gegenstände nach wie vor ein heiterer, harmloser, bald schalkhaft und neckisch, bald ernst und sinnig, von Eikes Seite stets ehrerbietig, von ihrer feinfühlig und ohne jede Zimperlichkeit.

      Während er ihr nun in dem einen Punkte nicht nachgab, warb er bei ·allen anderen Gelegenheiten des täglichen Umganges mit desto größerer Beflissenheit um ihre Gunst, die sie ihm auch, holdselig dazu lächelnd, reichlich zuteilwerden ließ. Dabei wehrte er sich nicht gegen den Eindruck, den ihre sinnberückende Erscheinung und ihr liebenswürdiges Wesen allstunds auf ihn machte.

      Er folgte mit den Augen allen ihren Bewegungen, zumal ihrem schwunghaften, federnden Schreiten, das in den Gemächern wie im Freien etwas leicht Schwebendes und Hoheitliches hatte.

      Diesen Eindruck, der so stark war, dass Eike ihn nicht verhehlen konnte, wurde Gerlinde bald gewahr, und, ob auch weit entfernt von kleinlicher Eitelkeit und Gefallsucht, vergaß sie doch nie, auf sich zu achten und sich ihm stets von der vorteilhaftesten Seite zu zeigen.

      So spannen sich von innen heraus und außen herum allmählich zarte, geisterhafte Fäden zwischen ihr und ihm, die sich miteinander verschlangen und verknüpften und zu einem dichten Gewebe der hinüber und herüber gleitenden Gedanken und Gefühle wurden. —

      Graf Hoyer hatte seine Freude an dem trauten Einvernehmen Eikes mit Gerlinde und trug, was er konnte, dazu bei. Hatte er doch seinem Gaste gleich bei dessen Ankunft den Wunsch ans Herz gelegt, sich mit seiner jungen Gemahlin auf einen guten Fuß zu stellen und sich in aufmunternder Weise so viel wie möglich mit ihr abzugeben; er und sie würden es ihm Dank wissen. Und nun sah er zu seiner Genugtuung, wie Gerlinde seit Eikes Anwesenheit förmlich auflebte und einen Frohsinn entfaltete, den er noch gar nicht an ihr kannte.

      Eikes wiederholte Ablehnung, zu Gerlinde von seinem Buche zu reden, deutete er sich ganz richtig, dass er nur ihre leicht verletzte Hinneigung zu kirchlichen Dingen, die er seinerseits nicht teilte, rücksichtsvoll schonen wollte.

      Gegen ihn selbst, den Grafen, der ihn zuweilen in seinem Arbeitsgemach aufsuchte, verhielt er sich keineswegs so ablehnend, sondern besprach manche Einzelheiten mit ihm und holte in wichtigen Fragen gern den Rat des erfahrenen und weltkundigen Gerichtsherrn ein, wobei er dann oft »unser Buch« statt mein Buch sagte, eine für den Grafen schmeichelhafte,

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