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angewachsen, ich kriege sie nicht ab; die alte Heidin Suffie, die mir spinnefeinde Zaubersche, muss sie mir angehext haben.« Wilfred und Melissa tauschten verstohlen einen Blick, und letztere sagte am Ende des gemeinsamen Mahles: »Goswig, gegen Großmutter Suffies Hexerei bin ich machtlos, aber versuchen will ich’s doch, Euch davon zu befreien; haltet mal still!« Nun machte sie sich über ihn her, um ihm die angeleimte Pelzmütze vom Kopfe herunterzuziehen. Aber das ging nicht so leicht vonstatten, trotzdem zwei andere Mädchen, die entweder den Spuk durchschauten oder von Melissa eingeweiht waren, sie kichernd dabei unterstützten. Mit warmem Wasser erweichten sie den hart gewordenen Klebstoff und zupften und zerrten alle drei vorn, hinten und über den Ohren an der Mütze herum, dass er vor Schmerzen jammerte und stöhnte.

      Als er, von der Marter endlich erlöst, sich die Innenseite seiner Pelzkappe betrachtete, schrie er auf: »Was? Das ist keine Hexenkunst, das ist ja Vogelleim! Kein anderer als der Böswichtsbube, der Fred, ist’s gewesen, und du falsche Kammerkatze — ich seh’ dir’s an — hast deine Krallenpfoten, mit denen du mich so grausam am Kopfe gezwickt und gezwackt hast, dabei im Spiele gehabt,« wandte er sich, die Faust schüttelnd, zu Melissa.

      »Aber wartet, ihr hinterlistigen Satanskinder, das will ich euch ankreiden und mit Zinsen heimzahlen!« Wutschnaubend entwich er aus der Dirnitz, war noch tagelang muckig und einsilbig und schnitt alles Gehänsel über den ihm angetanen Schimpf mit kurzen, derben Worten ab.

      Wilfred aber beruhigte die von Goswigs Drohungen eingeschüchterte Melissa mit dem Hinweis, dass sie ja unter dem Schutz der Gräfin stünde, und er selber wüsste nun, wie er mit dem alten Bärbeiß dran wäre und würde, ohne ihn im geringsten zu fürchten, auf seiner Hut vor ihm sein. Damit gab sie sich zufrieden und dankte ihrem Tröster in der zärtlichsten Weise.

      Melissa war gegen die Fehler und Untugenden ihres Freundes keineswegs blind und hielt doch treulich zu ihm, obwohl sie keine Hoffnung auf eine glückliche Zukunft an seiner Seite hatte. Was sie eigentlich zu dem übermütigen Gesellen so stark hinzog, davon konnte sie sich selber keine Rechenschaft geben. Es war nun einmal so, und sie machte sich nicht viel Gedanken darüber.

      Aus einer ihr sonniges Dasein etwas verdunkelnden Wolke aber fiel zuweilen ein Tropfen Wermut in den Becher ihrer sprudelnden Lebenslust. Sie hatte erfahren, dass Wilfred sich um die Gunst einer anderen bemühte, und wenn dies auch nicht aus Liebe geschah, so war sie doch stets betrübt und gekränkt, wenn er sich zu jener hinschlich, zu einer, die zum Arbeiten zu faul und zum Denken zu dumm war. Es war die Tochter des Talmüllers, ein noch nicht mal hübsches, verzogenes und launenhaftes Ding, das aber ein nicht unbeträchtliches väterliches Erbe zu erwarten hatte. Nach diesem Goldfisch angelte Wilfred, scharwenzelte um die Begehrenswerte herum und führte seine gerissensten Künste ins Treffen, sie sich gewogen zu machen. Luitgard — so hieß sie — nahm seine Huldigungen einmal entgegenkommend, ein andermal nachlässig hin, wies ihn schnippisch ab oder ermunterte ihn, wenn sie gerade keinen anderen Anbeter am Bändel hatte. Sie besaß nämlich ihres Geldes wegen deren mehrere in der Umgegend, die sie mit gefallsüchtigem Betragen anlockte und mit halben Verheißungen hinhielt und denen sie dann wieder, je nach Laune, hochnäsig und schroff den Rücken zukehrte.

      So trieb sie auch mit Wilfred ihr leichtfertiges und schnödes Spiel, wollte es jedoch mit ihm ebenso wenig wie mit den anderen verderben, weil sie das Schmeicheln und Schöntun junger Männer nicht entbehren konnte. Dem »armseligen Federklauber, dem flattrigen Habenichts, der sich als verlumpter Vagant Gott weiß wie und wo in der Welt herumgetrieben,« die Hand zum Bunde fürs Leben zu reichen, fiel ihr im Traume nicht ein. »Er hat vielleicht einmal einen Tisch und nichts darauf, eine Kanne und nichts darin, einen Spieß am Feuer und nichts daran,« hatte sie einmal von ihm gehöhnt.

      Heute, am Sonntagnachmittag, eilte er seit langer Zeit zum ersten Male wieder zu ihr, und das war der eine von den zwei Besuchen, nach denen er sich schon lange gesehnt hatte.

      Achtes Kapitel.

       Inhaltsverzeichnis

      Die Talmühle, ein dem Grafen eigenes Erblehen, lag nahe dem Fuße des Bergkegels, der Schloss Falkenstein trug, an der vielgewundenen Selke, die mit alten Weidenbäumen und mit Erlengesträuch umsäumt war und an deren Ufern dichtes Röhricht mit violetten Federbüschen und großblättriger Huflattich wuchs. Durch ihre glitzernden Wellen schossen rotgesprenkelte Forellen hin und her, und über ihrem Spiegel tanzten Mückenschwärme.

      Auf den Strohdächern der niedrigen Mühlengebäude wucherte Moos und kugelige Hauswurz mit mattrosigen Blüten auf fleischigem Stängel. Das Wasserrad stand heute still, aber wenn es sich rauschend und schaumsprühend drehte, einen durchsichtigen Silberschleier über den Schaufeln, so gab das ein schönes, lebendiges Bild, das Blick und Gedanken des vorüberkommenden Wanderers eine Weile festhielt.

      Wilfred traf bei seiner Ankunft dort die Bewohner zu Hause mit Ausnahme des einzigen Sohnes, der als Mühlknappe dem Vater im Handwerk rüstig beistand, sich aber heute nach Meisdorf beurlaubt hatte, wo er gute Gesellen beim Sonntagsbier im Kruge zum braunen Hirsche sitzen wusste.

      Groß willkommen in der Mühle hieß man ihn nicht und hätte ihn wahrscheinlich noch kühler aufgenommen, wenn sein Vater nicht ein alter, treuer Freund des Müllers und seiner Frau gewesen wäre, dessen Andenken sie in Ehren hielten und um dessentwillen sie den Sohn nachsichtig duldeten. Meister Beutling war ein ernster, arbeitsamer Mann und seine Kathrin eine still schaltende Hausfrau, die beide nach dem Besuche nichts fragten und sich auch nicht um ihn kümmerten, ihn ihrer Tochter überlassend, die ihn schon bald genug wieder los werden würde.

      Kaum zwanzig Schritte von der Mühle stand eine alte Linde mit einer Bank und einem Tisch unter ihren schattenden Zweigen, dessen Platte ein ausgedienter Mühlstein war. Die Linde blühte jetzt und verbreitete einen starken, fast berauschenden Duft um sich her, während in ihrer mächtigen Krone das Gesumm' der Bienen tönte, denn Meister Beutling hielt sich eine Anzahl Bienenstöcke, mit deren Honig er auch das Schloss versorgte.

      Dorthin begaben sich Luitgard und Wilfred, und er begann das Gespräch mit der Bitte um Entschuldigung, dass er so lange nicht hier gewesen wäre, worauf ihm Luitgard, die ihn gar nicht vermisst hatte, mit geschürzter Lippe erwiderte, o wenn er keine Zeit hätte, brauchte er sich um ihretwillen die Schuhsohlen nicht abzulaufen.

      Als ihr Wilfred nun erklärte, womit er alle seine Zeit hätte hinbringen, was und wie angestrengt er hätte arbeiten müssen, zeigte sie geringe Teilnahme an der Art seiner Beschäftigung und schien an den bedeutenden Einfluss, dessen er sich bei der gemeinschaftlich mit dem Ritter Eike von Repgow betriebenen Abfassung eines großartigen Werkes rühmte, nicht zu glauben. Es war überhaupt heute nichts Rechtes mit ihr anzufangen, sie war wieder einmal nicht gut aufgelegt, wortkarg und mürrisch. So unermüdlich auch Wilfred Redegabe, Witz und Scharfsinn aufbot, es gelang ihm nicht, die gegen alles Gleichgültige zugänglicher und freundlicher zu stimmen. Die Unterhaltung geriet mehr und mehr ins Stocken und wäre vielleicht ganz versiegt, wenn sich jetzt nicht ein drittes Menschenkind zu den beiden unter der Linde gesellt hätte.

      Suffie, Großmutter Suffie, wie sie ringsumher genannt wurde, eine uralte Greisin, kam vom Hause an einem Krückstocke langsam herangeschritten. Sie musste einst von hochragender Gestalt gewesen sein; jetzt war sie von der Last der Jahre gebeugt, aber nicht gebrochen, denn in dem hinfälligen Körper wohnte noch immer eine die Ihrigen oft überraschende Geistes- und Willenskraft.

      Weiß war ihr Haar, ihr lederfarbenes Gesicht von unzähligen Runzeln durchfurcht, und ihre großen Eulenaugen funkelten hell und scharfblickend. Sie hatte hier in der Talmühle, wo sie geboren war, Kinder und Enkel ins Grab sinken sehen und erwartete nun bei ihrem letzten Enkel, dem jetzigen Müller, den Tod, der sie aber vergessen zu haben schien. So wandelte sie, eine Erscheinung aus der Vorzeit, selber schier unveränderlich, durch die immer wechselnde Gegenwart und wusste nicht, wie alt sie war.

      Ihre Erinnerungen reichten bis in ihre Jugend, viele bis in ihre Kindheit zurück, und wenn die Müllersleute abends um sie versammelt am Herdfeuer saßen, gab sie den Hochaufhorchenden manche davon zum Besten. Ihre stolzeste war, dass sie einmal als halbwüchsiges Mädchen

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