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Die wichtigsten Werke von Julius Wolff. Julius Wolff
Читать онлайн.Название Die wichtigsten Werke von Julius Wolff
Год выпуска 0
isbn 9788027225194
Автор произведения Julius Wolff
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Darauf hatte ihm Melissa geantwortet:
»So! Und was würde die Folge davon sein? Dann ließe dich der Ritter die ganze Nacht am Tische sitzen, um die verpfuschte Abschrift genau und ordentlich zu liefern.«
Diese Möglichkeit hatte dem eine unverkürzte Nachtruhe Liebenden schreckhaft eingeleuchtet, und knirschend über sein hartes Los hatte er sich von der treuen Warnerin getrennt. —
Auch Eike war unzufrieden, nicht bloß mit Wilfred, sondern auch mit sich selber. Er war in der Ausdrucksweise einzelner Stellen seines Konzeptes, das er doch so volkstümlich wie möglich gestalten wollte, auf unvorhergesehene Schwierigkeiten gestoßen, die ihm tagelang zu schaffen machten. Er wählte und verwarf sprachliche Formen und Satzgefüge, bis er sich zur Klärung und völligen Beherrschung des widerspenstigen Stoffes durch gekämpft hatte.
In solche ihm bisher gänzlich fremde, die Arbeit hemmende Verlegenheiten war er letzterzeit mehrmals geraten und so auch heute wieder, wo er sich abmühte, die Machtbereiche und Amtsbefugnisse der weltlichen und der geistlichen Gerichte gegeneinander abzuwägen und miteinander zu vereinbaren. »Weltliches Gericht und geistliches sollen miteinander gehen« lautete eine seiner Aufzeichnungen zu diesem Kapitel. Aber wie war das in die Wege zu leiten und mit unbestreitbarem Erfolge durchzuführen? Sodann kam die Frage, ob bei einem Zwiespalt in derselben Sache das weltliche oder das geistliche Urteil das ausschlaggebende, obsiegende sein sollte, und ferner, ob der vom Papst ausgesprochene Bann, der das Heil der Seele schädigte, oder die vom Kaiser verhängte Reichsacht, die den Betroffenen an Leib und Leben bedrohte, als die härtere Strafe zu betrachten sei. Bei so grundsätzlichen, in Gemüt und Gewissen der Menschen eingreifenden Entscheidungen musste auf Gewohnheitsrecht und die althergebrachten, tief eingewurzelten Anschauungen des Volkes Rücksicht genommen werden.
Doch auch diesmal gelang es ihm, die Schwierigkeiten zu überwinden, und als er endlich das, was ihm das Rechte dünkte, gefunden, und es von der Feder schwarz auf weiß festgehalten vor sich hatte, lehnte er sich in seinen Sessel zurück und atmete erleichtert auf.
»Eike, dieser Artikel deines Gesetzbuches wird bei allen Geschorenen und Kuttenträgern vom stolzesten Bischof bis zum erbärmlichsten Bettelmönch böses Blut machen,« murmelte er vor sich hin. »Hättest du dabei Gräfin Gerlinde zu Rate gezogen, würde sie anders entschieden haben. Selbstverständlich, hätte sie gesagt, ist das geistliche Gericht das höchste, das geistliche Urteil das ausschlaggebende und der Bannfluch seiner Heiligkeit des Papstes die schwerste Strafe, die einen sündhaften Christenmenschen für Zeit und Ewigkeit treffen kann.«
Er versank in tiefes Sinnen, schloss die Augen und malte sich aus, wie sie, mit Glaubenseifer und frommen Überzeugungen gewappnet, ihn angegriffen, ihre Meinung verfochten und ihn mit Vorstellungen und Bitten zu beeinflussen gesucht hätte. Und sich mehr und mehr in seinen Träumen von ihr einspinnend sah er sie im Geiste leibhaftig an seinem Schreibtische sich gegenüberstehen in all ihrer strahlenden Schönheit. Er sah ihre herrliche Gestalt im fließenden, schmiegsamen Gewande, ihr Antlitz, ihren bezaubernden Blick, ihr sonniges Lächeln. Da weckte ihn ein Geräusch aus seinem Dämmerzustande und brachte ihn zum Bewusstsein der Wirklichkeit zurück, die ihm ein anderes Gesicht zeigte als das schnell zerronnene, verführerische Traumbild.
Schon in manchen Stunden waren ihm Zweifel gekommen, wie er im Grunde mit Gräfin Gerlinde daran war, denn ihr Benehmen gegen ihn war von einer Unbeständigkeit, die er sich nicht zu erklären vermochte. Sie konnte herb und verschlossen sein und dann wieder verbindlich und mitteilsam. Was hatten diese, durch äußere Vorgänge nicht veranlassten Wechsel in ihrer Stimmung zu bedeuten? Verzieh sie ihm seine weltliche Gesinnung nicht? Oder wurde ihr sein Verbleiben hier auf die Dauer lästig, dass sie ihm dies zu erkennen geben und dann ihre ablehnende Haltung, sie am nächsten Tage bereuend, durch verdoppelte Freundlichkeit wettmachen wollte? In keinem von beiden konnte er die eigentliche Ursache ihres unsteten, zwischen zutraulichem Entgegenkommen und sprödem Zurückweichen schwankenden Wesens erblicken, und Launen, unberechenbare, unbegreifliche Launen hatte er niemals an ihr wahrgenommen. Sie war ihm ein Rätsel, aber gerade dieses Rätsel holdester Weiblichkeit zu lösen und in seinen dunkelsten Tiefen hellsehend zu werden, reizte ihn.
Heute, nach ihrer wundersamen Erscheinung vor seinem inneren Auge, konnte er seine zerstreuten Gedanken nicht mehr sammeln. Eine fiebernde Unrast befiel ihn, dass er sich in seinem Gemache wie in einem Gefängnis fühlte, dem er entfliehen wollte. Er musste hinweg aus diesen Mauern, in den Wald hinein, unter brausende Wipfel und segelnde Wolken, um seinen benommenen Kopf von Dumpfheit und Wirrsal frei zu machen und frische Kraft zur Arbeit zu gewinnen.
Es war ein zum Wandern einladender Vormittag mit halbbedecktem Himmel und mäßig wehendem Winde und Eike verließ seine Schreibstube in der Hoffnung, da draußen Ruhe und Erholung zu finden. Eilenden Fußes stieg er die Treppe hinab.
Auf dem Burghof fand er Folkmar mit zwei gesattelten Pferden.
»Wo soll es hingehen, Folkmar?« fragte er verwundert.
»Nach Quedlinburg, Herr Ritter,« erwiderte der Diener. »In der Frühe ist ein Bote eingetroffen, der den Herrn Grafen —«
Da trat Graf Hoyer schon aus der Tür und verständigte den Freund:
»Ich muss nach Quedlinburg zur Äbtissin Osterlindis. Sie ist eine Verwandte von mir, eine Gräfin Falkenstein, und ich bin ihr Schirmvogt. Es handelt sich um die Entscheidung eines verwickelten Rechtsstreites mit dem Bischof von Halberstadt, und du solltest mitkommen, Eike, und als schöffenbarer Mann von Fach mir helfen, das Urteil zu finden.«
»Gern tät’ ich’s, Herr Graf!« gab Eike zur Antwort, »aber ich muss mich hier selber mit verzwickten Problemen herumschlagen.«
»Dann auf Wiedersehen hoffentlich morgen Abend, und überarbeite dich nicht, Eike!« sagte der Graf, schwang sich in den Sattel und ritt mit Folkmar ab.
»Gottbefohlen und gutes Gedinge!« rief ihm Eike nach.
Der Graf bog ins den Reitweg ein, während Eike auf dem schmalen und kürzeren Fußpfade zu Tale strebte.
»Morgen Abend — hoffentlich — also zwei Tage mit Gerlinde allein hier,« sprach er nachdenklich zu sich selber. »Wie wird sie sich da gehaben? Wird sie nun den Schleier ein wenig lüften, mit dem sie bis jetzt ihr Innerstes scheu verhüllte, oder wird sie auch unter vier Augen das Buch mit sieben Siegeln bleiben? Gern träte ich ihr näher, und sie sollte doch allmählich zu der Ansicht gelangt sein, dass die Verehrung, die ich ihr unverhohlen entgegenbringe, keine oberflächliche, gekünstelte Höflichkeit ist, sondern mir aus dem Herzen kommt. Ich begehre nichts von ihr, was sie nicht gewähren darf, aber etwas mehr bare Münze von ihrem geistigen und seelischen Eigentum könnte sie mir wohl zufließen lassen; einzig mit anmutigem Getändel und lächelnder Huld ist das nicht getan. Ich will so ernst von ihr genommen werden wie ich sie selber nehme.«
So redete Eike im Bergabgehen krittelnd und mäkelnd in sich hinein und ahnte nicht, was alles sich in Gerlinde hinter dem anmutigen Getändel und der lächelnden Huld verschanzte.
Unten im Tale mit der weiten, entzückenden Aussicht auf Wiesen und Wälder, die beruhigend auf ihn wirkte, entschlug er sich aber seiner grilligen Betrachtungen, überschritt das Tal und stieg auf der anderen Seite gemächlich wieder bergan.
Er ging ohne Weg und Steg, schweifte bald rechts, bald links ab, wenn ihn eine daherleuchtende Blüte lockte oder ihn das Rascheln eines durch Gestrüpp und Gerank flüchtenden Tieres aufmerken ließ. Aus den Buchen- und Eichenkronen erscholl ein wuchtiges Rauschen und bewegliches Tuscheln, und ein leises Säuseln und Pfeifen schwirrte durch die Nadeln der Fichten. Die Blumen wiegten sich auf ihren Stängeln, und die wispernden Gräser neigten und nickten sich nachbarlich zu. Was mochten sich die Kinder des Waldes erzählen, die Blätter und Halme und all das Gewürm, das da kroch und krabbelte, burrte und surrte?— Hatten auch sie ihre Sorgen und ihre Freuden, ihre geflüsterten Liebeshändel und Klatschgeschichten wie das Menschenvolk, das ihre Sprache wohl hörte, aber nicht verstand? Eike wandelte still durch das vieltausendfältige Naturleben, gab sich dem Genuss, es bis ins Kleinste zu beobachten,