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hätte auf die Spur kommen können, und gab es auf, weiter danach zu kundschaften, sich damit vertröstend, dass ihn vielleicht der Zufall einmal auf die richtige Fährte brächte.

      Gräfin Gerlinde machte bei Tische die aufmerksame Wirtin, ermunterte Eike in Vertretung ihres Gatten zum Trinken, sprang in der Unterhaltung von einem Gegenstand zum andern, fühlte dem Gaste auf den Zahn, ob er dies und jenes wüsste und wie er über das eine oder das andere dächte, und disputierte mit ihm nach Herzenslust. plötzlich fing sie an lateinisch zu sprechen. Sie wollte nicht etwa Eike gegenüber damit prahlen, sagte auch nichts, was die ab- und zugehende Melissa nicht hören durfte, sondern tat es lediglich in einem heiteren Sichgehenlassen.

      Eike blickte sie höchst verwundert an, worauf sie mit ihrem berückendsten Schelmenlächeln fragte:

      »Quidnam stuperes tu sophista

      Er antwortete:

      »Admiror te dominam doctissimam dulce ridentem dulce loquentem latine

      »Das ist kein Wunder,« belehrte sie ihn auf lateinisch.

      »In Franken, Bayern und Schwaben sprechen alle ritterlichen Frauen und Fräulein Latein, wenn auch gewiss nicht ein tadellos ciceronianisches.«

      Sie fuhren nun auch fort, Latein zu reden, das ihnen beiden geläufig von den Lippen floss.

      Melissa, die natürlich kein Wort verstand, machte ein ganz verschmitztes Gesicht dazu und nahm sich vor, niemand in der Burg etwas davon zu sagen, auch Wilfred nicht, dachte sich aber ihr Teil dabei und gönnte ihrer lieben Herrin das, was sie sich dachte.

      Während des Mahles zog Gerlinde eine Blume aus dem Strauße und steckte sie sich an die Brust.

      »Wisst Ihr, wie sie heißt?« fragte sie, jetzt wieder auf Deutsch. »Glockenblume nennt man sie.«

      »Ich kenne sie wohl,« erwiderte Eike, »und habe sie gern ihrer schönen, blauen Farbe und ihres zarten, schlanken Wuchses wegen. Ihr Name ist sehr bezeichnend für die Form der Blüten; wenn ein Lufthauch sie bewegt, gleichen sie wirklich schwingenden Glocken, nur dass sie leider stumm sind. Freilich,« fügte er lächelnd hinzu, »man hört manchmal Glockenläuten und weiß nicht, von wannen es tönt.«

      Gerlinde erschrak. Sollte das eine Anspielung sein? Hatte er doch ihr Lied erlauscht und möchte nun wissen, woher, welchem Herzenserlebnis entstammend die Klage der Sehnsucht kam und wohin, zu wem sie ging? Aber dem, was er ihr von seinem Horchen an ihrer Tür gesagt hatte, dass es mäuschenstill in ihrem Gemach gewesen wäre, musste sie doch Glauben schenken, und seine ihr verfänglich klingenden Worte hatten auch wohl gar keine Anspielung sein sollen. Nach kurzem Sinnen sprach sie:

      »Die Glocken läuten den Lebendigen und den Toten. Die Toten hören sie nicht mehr, und unter den Leben den dringt ihre Stimme nur den Gläubigen ins Gemüt.«

      »Und Euch, Ritter, zähle ich nicht zu den Gläubigen. Nicht wahr, Frau Gräfin? So würde der Schluss Eures Satzes lauten, wenn Ihr ihn aussprechen wolltet,« fiel Eike lachend ein.

      Da musste sie mitlachen und sagte:

      »Wie gut Ihr doch raten könnt, Herr Ritter von Repgow!«

      Mit dem von Eike im rechten Augenblick herangezogenen Scherze über seine ihm von der Gräfin schon öfter vorgeworfene Ungläubigkeit war der kleine Zwischenfall erledigt, worüber er selber froh war, denn er hatte ihn unvorsichtigerweise herbeigeführt. Die ihm achtlos entschlüpfte Äußerung war in der Tat eine, wenn auch ungewollte, Anspielung auf das zufällig vernommene Lied gewesen, die er sofort bereute, als er Gerlindes Erschrecken darüber bemerkte. Diese schien sich indessen beruhigt zu haben ohne zu argwöhnen, dass er ihr mit der Versicherung lautloser Stille in ihrem Gemach nicht die Wahrheit gesagt hatte. Um auch die letzte Spur des peinlichen Gefühls, ihm singend ihr Inneres enthüllt zu haben, in ihr auszulöschen, fing er nun seinerseits an, wieder lateinisch mit ihr zu reden, weil sie dabei schärfer aufpassen musste und sich nicht von Nebengedanken abziehen lassen durfte.

      Sie ging mit Vergnügen darauf ein, zumal sie selten Gelegenheit hatte, sich im Gebrauch der von ihr treulich gepflegten altrömischen Weltsprache zu üben, der man sich hier im Sachsenlande nicht so häufig bediente wie in Gerlindes fränkischer Heimat.

      Das hatte sie ihm vorhin schon gesagt, als er sich über ihr Lateinsprechen gewundert hatte, und hier knüpfte er nun an und bat sie, ihm von ihrer Heimat, ihren Eltern und Geschwistern zu erzählen, doch wieder in der Hoffnung, aus ihrer Jugendgeschichte vielleicht etwas zu erfahren, was ihn über ihr Herzeleid einigermaßen aufklären konnte. Es war jedoch nicht eitel Neugier, was ihn dazu bewog, vielmehr innige Teilnahme für die ihm mit jedem Tage rätselhafter werdende Frau, die in seiner Gesellschaft so sorglos und fröhlich war und sich in der Einsamkeit einer, wie es schien, unbezwinglichen Schwermut ergab.

      Gerlinde beschrieb ihm die väterliche Burg und deren Lage und berichtete über ihr Jugendleben von Kindheit an bis zu ihrem Verlöbnis mit dem Grafen von Falkenstein in aller Ausführlichkeit, aber ein Ereignis, das möglicherweise auf ihre Zukunft hätte einwirken können, oder die leiseste Hindeutung auf eine frühere, verstohlene Neigung von ihr zu einem anderen kam dabei nicht heraus, und der Schleier, der über ihrem Seelenzustande hing, war nach wie vor für Eike undurchdringlich

      Er hätte ihr so gern über ihre Trübsal hinweggeholfen, ihre Sehnsucht mit ernsten, verständigen Gründen gedämpft und beschwichtigt, aber dann hätte er ihr ja eingestehen müssen, dass und auf welche Weise er davon Kenntnis erhalten hatte, und auf ihr sich ihm freiwillig erschließendes Vertrauen hatte er keinen Anspruch.

      Hätte sie in seiner Gegenwart einmal ein Zeichen von Niedergeschlagenheit gegeben, sei es mit einem sich ihrer Brust entringenden Seufzer oder mit einem überquellenden, schmerzbewegten Worte, so hätte er sie fragen können: Was ist Euch? Was bedrückt Euch, Gräfin Gerlinde? Aber nichts dergleichen geschah, sie hatte sich mit straffer Selbstbeherrschung in der Gewalt, und ihm blieb nichts übrig, als sie im Stillen weiter zu beobachten und die nächste Gelegenheit, wenn sie sich doch einmal vergaß, wahrzunehmen, um ihrem jungen, verzweifelnden Herzen mit liebevoller Tröstung beizuspringen.

      Das Mittagsmahl war längst beendet, und Eike erhob sich, um an seine Arbeit zu gehen, von der ihn Gerlinde nicht zurückhalten wollte.

      Als er sich von seiner liebenswürdigen, aber gegen alle Aufklärungsversuche hartnäckig verschlossenen Wirtin bis zum Abend verabschiedete, sagte sie:

      »Seid Ihr damit einverstanden, edler Ritter und ungläubiger Rechtsgelehrter, dass wir unser Abendbrot heut' auf dem Altan einnehmen?«

      »Mit Freuden, Frau Gräfin!« erwiderte er, »es ist ja Euer Lieblingsplatz und darum auch der meinige.«

      »Just darum?« sprach sie mit einem sehr freundlichen Blick. »So kommt nicht zu spät; ich zähle die Stunden und von der letzten die Minuten, bis Ihr erscheint. Könnt Ihr Schachzabel spielen?«

      »O ja, aber nur mangelhaft.«

      »Desto besser für mich! Dann schlage ich Euch, besiege Euch, triumphiere über Euch, und für jedes verlorene Spiel müsst Ihr mir Buße zahlen, Wedde nennt Ihr’s ja wohl in Eurer vertrackten Rechtssprache.«

      »Jawohl, das ist ungefähr dasselbe. Aber worin soll die Wedde bestehen?« fragte er nicht ohne einige Spannung auf die Antwort.

      »Das wartet in Demut ab,« lachte sie. »Heut’ Abend spielen wir Schach; jetzt macht, dass Ihr fortkommt!«

      Eike ging. Draußen schüttelte er den Kopf und dachte: Wunderschön ist sie, grundgescheit ist sie, kann seelenvergnügt sein, und heimlich verzehrt sie sich in Gram und glühender Sehnsucht. Da werde ein Mensch klug draus! —

      Diesmal brauchte ihn Melissa nicht zu rufen. Eike fand sich sehr frühzeitig auf dem Altan ein, wo die Gräfin seiner schon harrte und ihn freudig mit den Worten empfing:

      »Mehr als pünktlich!«

      »Ich wollte Euch beim Zählen der Minuten ein Viertelhundert ersparen,« scherzte er. »Zählen ist ein langweiliger Zeitvertreib.«

      »Und

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