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Die wichtigsten Werke von Julius Wolff. Julius Wolff
Читать онлайн.Название Die wichtigsten Werke von Julius Wolff
Год выпуска 0
isbn 9788027225194
Автор произведения Julius Wolff
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
»Also helfe ich Euch doch ein wenig bei der Arbeit, auch ohne Euer Verlangen danach,« lächelte sie.
»Willkommen sind mir Eure Einwürfe stets, denn sie schärfen mir die Klarheit des Denkens,« versetzte er.
Mit so vorläufigen, ihre wahre Absicht verhüllenden Reden trachteten beide, über die Verlegenheit der ersten Minuten hinwegzukommen, konnten jedoch ihrer Befangenheit noch nicht ganz Herr werden, und schon, als sie die Treppe hinab und über den Burghof schritten, war das Gespräch verstummt. Gerlinde aber war froh, dass er nicht gefragt hatte, warum sie vor Beendigung des Schachspieles plötzlich aufgesprungen und davongelaufen war.
Eine kurze Strecke hielten sie sich auf dem Fußsteig zu Tale; dann bog die Gräfin links ab in den dichten Wald hinein, wo es keinen Weg mehr gab.
Eike folgte ihr, und sie erwartete nun, dass er beginnen würde, ihre Gefühle zu dämpfen oder ihr die einigen, gleichgearteten zu offenbaren. Er machte aber keine Anstalten dazu, weder zu dem einen noch zu dem andern. Weshalb zaudert er wohl? dachte Gerlinde.
Sie wollte ihm zu Hilfe kommen, ihn anregen, ihn in eine gehobene Stimmung versetzen.
Auf einer kleinen Lichtung blieb sie stehen, schaute zu den Bäumen empor und sprach:
»Wann ist der deutsche Wald am schönsten? Im Frühling, wenn die Knospen brechen und ihre zarten Fähnlein entfalten, alles blüht und duftet und schmetternde Stimmen aus hundert Vogelkehlen erschallen? Im Sommer, wenn alle diese nächtigen Kronen voll belaubt sind und es in ihnen schwingt und wogt, flüstert und rauscht? Oder was meint Ihr zum Herbste, wenn der Wald von Sturmesodem durchfaucht sich schüttelt und braust und wieder, von Sonnenschein überflossen, in allen Farben, in Grün und Gold, in Purpur und Violett schillert und prunkt? Und habt Ihr ihn schon einmal im tiefen Winter gesehen in seinem starren, überwältigenden Todesschweigen, wenn die Tannen wie Gespenster in weißen Mänteln stehen und ihre Zweige sich senken unter der Last des Schnees, der glimmert und glitzert wie mit Diamantsplittern übersät?«
Eike blickte sie erstaunt an und sagte lächelnd:
»Ihr seid eine Dichterin, Gräfin Gerlinde!«
»Eine Dichterin! Habt Ihr kein anderes Empfinden dafür als achselzuckenden Spott, nüchterner Schriftgelehrter?« ereiferte sie sich. »Ist es nicht ein unermessliches Wunder, dieses durch die Jahrtausende sich gleichbleibende Blühen und Welken und wieder Erblühen? Es geschieht auch nach Gesetzen, aber nach unwandelbaren, ewigen, nicht nach solchen, wie die Eurer Doktorenzunft, an denen beständig herumgeflickt und gebastelt wird und die, was gestern noch als Recht galt, morgen zum Unrecht stempeln.«
»Weil die Natur selber in ihrem Werden und Wirken unwandelbar ist, müssen es auch ihre Gesetze sein,« entgegnete er. »Und weil die Menschheit sich in einem unaufhaltsamen sittlichen und wirtschaftlichen Fortschritt bewegt, müssen auch menschliches Recht und Gesetz stetig fortschreiten und in lebendigem Flusse bleiben. Begreift Ihr das?«
Nun sah Gerlinde ihn verdutzt an, und wie verletzt von seiner Frage erwiderte sie fast unmutig:
»Ja! So dumm bin ich nicht, das nicht zu verstehen.«
»Ist auch schon ein Fortschritt,« lachte er.
»Wollt Ihr dann nicht auch gleich ein neues Gesetz dafür machen?«
»O ich wüsste schon eines.«
»Nun?«
»Wenn eine Frau einen Mann gut und recht versteht, so soll sie ihm ihr Herz erschließen und ihm in allen Dingen Glauben und Vertrauen schenken.«
Da hatte sie’s!
Das also war es, was er von ihr wollte; sie sollte ihm rückhaltlos ihr Innerstes eröffnen. Dazu trieb es sie ja längst mit einem kaum noch zu bändigenden Drange, aber erst dann wollte sie es tun, wenn sie über ihn im Reinen war und er sich ihr erschlossen hatte. Nur Zug um Zug konnte das geschehen.
Um Zeit zur Überlegung zu gewinnen, was sie ihm antworten sollte, ging sie schnell weiter und eilte auf einen Trupp blassroten Wegerich zu, der abseiten im Gebüsch stand und von dessen wohlriechenden Blüten sie wählerisch einige pflückte.
Eike blieb nicht zurück und war bald wieder an ihrer Seite. Da knüpfte sie den abgerissenen Faden an:
»Ich glaube und vertraue Euch, Eike von Repgow! Und wenn ich von Gesetzen sprach, die immer wieder geändert werden müssten und im Handumdrehen aus Recht Unrecht machten, so bezog sich das nicht auf die Gesetze, die Ihr schreibt, denn ich habe eine sehr hohe Meinung von Eurem Werke. Ihr habt mit Eurer Arbeit etwas in mein Leben getragen, an das ich bisher nie gedacht habe und das mir nie wieder verloren gehen kann. Immer deutlicher erkenne ich die Kühnheit und Großartigkeit Eures Planes, eine allgemeine Rechtseinheit herzustellen, und vor allem bewundere ich Eure hingebende Liebe zu Eurer Heimat und Eurem Volke, die wie ein breiter, wellenschlagender Strom, Fruchtkeime und Goldkörner mit sich führend, durch Euer hochherziges Schaffen fließt. Über manche Einzelheiten werden wir uns nie verständigen, aber ich achte Eure Anschauungen über göttliche und menschliche Dinge, weil sie auf Überzeugung beruhen. So ist es doch Euer Gesetzbuch, was uns einander nahe gebracht hat und uns niemals voneinander scheiden soll.«
»Gräfin Gerlinde! Dank für diese Worte!« rief er, ihre Hand zu festem Druck erfassend. »O könntet Ihr ermessen, wie unaussprechlich glücklich Ihr mich damit macht! Ihr und Kaiser Friedrich seid die zwei, die mich fort und fort auf dem Wege meiner Gedanken begleiten.«
»Was soll der Kaiser dabei?« fragte sie mit leicht gekräuselter Stirn.
»Er hat mir gestern einen Gruß gesandt. Verzeiht,« unterbrach er sich, »das ist nicht wörtlich zu nehmen. Als ich gestern Morgen da drüben auf dem Berge war, verstimmt, bedrückt, zweifelnd an meiner Kraft zur Vollendung des Werkes, da kam von Süden her ein Adler geflogen und zog seine Kreise in den Lüften gerade über meinem Haupte wie mich schirmend und begnadend mit seinen mächtig gebreiteten Schwingen. Der Flug des königlichen Vogels war mir wie ein Zeichen, eine Botschaft des Kaisers aus Italien, dass ich nicht verzagen sollte. Da fasste ich wieder Mut, und als ich heimkam, war ich getrost und sicher, das vollbringen zu können, was ich begonnen, und jetzt habe ich auch Euren Segen dazu. Nun fliegt meine Hoffnung hoch, höher als der Adler, bis zu den Sternen empor.«
Als ihn Gerlinde so voll Begeisterung und Freude sah, trieb es sie, ihm eine Frage vorzulegen, die sie in der Unsicherheit ihrer Beziehungen zu Eike Tag und Nacht beschäftigte.
»Sagt mir,« begann sie, »Ihr, die Ihr alle menschlichen Rechte kennt, darüber viel nachgedacht habt und für Alt und Jung, für Reich und Arm Gesetze schafft, sagt mir: welches Recht ist größer und stärker, das Recht der Vernunft oder das des Herzens? Habt Ihr ein Gesetz, das in dem Streite zwischen Pflicht und Neigung unfehlbar entscheidet?«
Da merkte Eike. dass Gerlinde selber mitten in dem Kampfe zwischen Pflicht und Neigung stand, wollte es jedoch ihr allein überlassen, ihn durchzufechten, um an der Weise, wie sie dies tun würde, den Grad ihrer Liebe zu bemessen, an der er nun nicht mehr zweifelte.
»Gerlinde,« sprach er, »es gibt Dinge im menschlichen Leben, die sich durch Recht und Gesetz nicht regeln lassen. Ein fein empfindendes und tapferes Herz trifft, vor eine schwere Wahl gestellt, auch ohne gesetzlichen Zwang das Richtige.«
Mit dieser kurzen Antwort, die weder ein Urteil noch einen Rat enthielt, musste sich Gerlinde wohl oder übel begnügen, und sie wanderten eine Weile stumm nebeneinander dahin, wobei es Eike so schien, als ob Gerlinde jetzt noch entschlossener und schneller vorwärts schritte.
Als sie aber immer tiefer in die pfadlose Wildnis gerieten, fragte er:
»Findet Ihr Euch hier im Walde überall zurecht?«
»Eine Stunde im Umkreise der Burg wohl, darüber hinaus jedoch nicht.« erwiderte sie. »Hier führe ich Euch einen verbotenen Weg.«
»Ich sehe keinen,« versetzte er.
»Ist auch nicht nötig, wenn ich ihn nur weiß