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registrierte den förmlichen Unterton in der Stimme ihrer Freundin. Manchmal hätte sie schwören können, dass Ludivine bis ins Kleinste über ihre Gefühle Bescheid wusste. »Noch nicht.« Wenn ich ihn sehe, sage ich etwas Unverzeihliches. Dann verrate ich zu viel. »Es gibt vieles zu erklären, und ich –«

      »Ja, allerdings. Ich wusste nicht, dass du eine Erderschütterin bist, Rielle. Und eine Feuerzeichnerin noch dazu?«

      Rielle erstarrte angesichts der trügerischen Süße in Ludivines Stimme. Es war ein Tonfall, den sie ihr gegenüber nur selten verwendete. »Ich bin keines von beiden.«

      »Du bist auf jeden Fall irgendetwas. Die Hauptstadt ist in hellem Aufruhr. Tote können wir wegerklären. Aber verschobene Bergketten, verbrannte und zertrümmerte Erde? Da haben viele Leute Fragen.«

      »Und der König will Antworten.«

      »Ja.«

      »Tja, die wird er wohl aus mir herausfoltern müssen.«

      »Das ist nicht lustig.«

      »Ich will nicht –«

      »Hör auf, mich anzulügen.« Ludivine erhob sich und ging im Zimmer auf und ab. Als sie sich wieder umwandte, war ihr Gesicht zornesrot. »Wie konntest du das vor mir geheim halten? Wir vertrauen einander. Ich hätte nie zugelassen, dass dir etwas zustößt.«

      »Es war nicht die Wahrheit, die für dich bestimmt war«, erwiderte Rielle reserviert.

      »Und was ist das für eine Wahrheit? Was ist da draußen passiert? Was bist du?«

      Das war ein Schlag. Rielles Stimme wurde brüchig. »Wenn ich das nur selbst wüsste.«

      »Die Prophezeiung besagt …« Ludivine hielt inne, um sich zu sammeln. »›Sie werden die Macht der Sieben besitzen.‹ Die beiden Königinnen werden imstande sein, sämtliche Elemente zu beherrschen, nicht nur eines.«

      Rielle stieß ein harsches, müdes Lachen aus. »Willst du mir allen Ernstes die Prophezeiung erklären?«

      »Die Leute werden glauben, du bist eine der beiden.«

      »Das ist mir durchaus bewusst, Lu.«

      »Es sind bereits Gerüchte im Umlauf. Die Stadt –«

      »Hat Angst?« Rielle rieb sich mit zitternden Händen das Gesicht. »Da ist sie nicht allein.«

      »Ich dachte, wir hätten keine Geheimnisse voreinander.«

      »Ich kann es unterbinden. Ich brauche nur … mehr Zeit.«

      »Unterbinden? Als wäre diese Kraft, die du in dir trägst, nur eine schlechte Angewohnheit? Das sind die Worte deines Vaters.«

      Rielle schloss die Augen. »Mein Vater. Gott steh mir bei.«

      »Er ist jetzt beim König.«

      Rielle sank der Mut, doch sie zwang sich, das Kinn zu heben. »Ich lasse nicht zu, dass sie mich töten.«

      Ludivines Miene wurde weich. »Rielle …«

      »Sie können es versuchen, und ich bin sicher, das werden sie auch. Aber ich lasse es nicht zu.« Mit pochendem Schädel erhob sie sich.

      Ludivine fasste Rielle sanft am Handgelenk und legte dann die Hände um ihr Gesicht. Rielle ließ die Augen zufallen. Ludivines Duft – Lavendelöl und saubere Haut – hüllte sie in Erinnerungen: Morgenspaziergänge im Garten, die Arme untergehakt. Kindheitsnächte, in denen sie, Ludivine und Audric aneinandergeschmiegt vor dem breiten Kamin in seinen Gemächern lagen.

      »Ich lasse ebenfalls nicht zu, dass sie dir etwas antun«, wiederholte Ludivine mit fester und klarer Stimme. »Niemals. Hörst du mich?«

      Rielle versuchte unbeschwert zu klingen. »Ach, und was willst du tun? Die liebliche Lady Ludivine könnte nicht einmal einer Fliege etwas zuleide tun, hat man mir gesagt.«

      Ludivine lächelte. Sie öffnete den Mund, um etwas zu entgegnen, doch Rielle hielt sie davon ab. Der Augenblick der Stille hatte eine Erinnerung heraufbeschworen.

      »Jemand hat zu mir gesprochen«, stieß sie abrupt hervor.

      Ludivine blinzelte verständnislos. »Was?«

      »Davor. Ich habe das Feuer gesehen und konnte nicht aufstehen. Audric hat mich aufgefangen, und dann … habe ich jemanden zu mir sprechen hören.«

      »Du meinst, Audric hat zu dir gesprochen?«

      »Nein. Jemand anders. Es war …« Rielle hielt inne und versuchte sich genau an das Gefühl zu erinnern, wobei ihre Haut prickelte, als hätte ihr jemand mit einer Feder über den Bauch gestrichen. »Es kam aus meinem Inneren.«

      Ludivine zog eine Braue hoch. »Audrics Heiler meinte, du könntest leichtes Fieber haben.«

      »Nein, Lu, ich sage dir –«

      Jemand klopfte an der äußeren Tür zu Ludivines Gemächern, und die Zofe kam wieder hereingeeilt, die Augen weit aufgerissen. Sie blickte hinter sich: »Ich bitte um Verzeihung, Mylady, aber Sie haben Besuch –«

      Ludivine behielt Rielles Hand in ihrer. »Lady Rielle kann noch keine Besucher empfangen.«

      »Entschuldigen Sie, Mylady, ich habe versucht, es zu erklären –«

      »Es ist der König«, sagte Rielle. »Nicht wahr?«

      Das Mädchen sah ihr nicht in die Augen. »Man hat mir befohlen, Bescheid zu geben, sobald Sie aufgewacht sind, Mylady.«

      »Seine Majestät hat viele Fragen, Rielle«, erklang eine ihr wohlbekannte Stimme.

      Lord Kommandant Armand Dardenne schritt aus dem Wohnzimmer herein und stieß die Tür zu Ludivines Schlafgemach auf, ohne sich die Mühe zu machen anzuklopfen. Er war ein Mann wie aus Stahl und Eisen, makellos von Kopf bis Fuß. Nun musterte er seine Tochter mit der Herzlichkeit einer Statue.

      Rielle preschte vor. »Ist Tal –?«

      »Großmagister Belounnon wurde bereits von den Räten befragt«, fiel ihr Vater ihr ins Wort. »Genau wie ich. Du bist die Nächste. Zieh dich ordentlich an.«

      Ohne ein weiteres Wort führten Ludivine und ihre Zofen Rielle hinter den Wandschirm und steckten sie in ein mattblaues und elfenbeinfarbenes Kleid mit hohem Kragen und Bändern an den Ärmeln. Es war hübsch genug, um ihr zu schmeicheln, und schlicht genug, um keinen Anstoß zu erregen.

      »Sollte ich jetzt verärgert sein, weil du ohne meine Erlaubnis deine Mädchen losgeschickt und in meinem Kleiderschrank hast wühlen lassen?«, murmelte Rielle mit einem halbherzigen Lachen.

      »Es ist mir völlig gleich, ob du verärgert bist oder nicht«, sagte Ludivine und strich Rielles Röcke glatt. »So viele Jahre bist du schon unter meiner Anleitung, und noch immer kann ich mich nicht darauf verlassen, dass du deine Kleidung passend zur Gelegenheit auswählst.«

      »Manche würden sagen, mein Modebewusstsein ist eben einzigartig und fortschrittlich.«

      »Ja, aber dieses Modebewusstsein solltest du lieber nicht bei einer Befragung durch den König zur Schau stellen.« Ludivine gab einer ihrer Zofen ein Zeichen. »Ich brauche die juwelenbesetzten Kämme dort drüben auf dem Tisch.«

      Nachdem Ludivine ihr das lange dunkle Haar nach hinten gesteckt hatte, überprüfte Rielle ihr Aussehen im Spiegel. Sie wirkte klein und fremd, und die Weichheit ihres Kleids stand in starkem Kontrast zu den roten Kratzern auf ihrem Gesicht und den Schatten unter ihren scharfen grünen Augen.

      »Wenn du dann so weit bist«, erklang die Stimme ihres Vaters.

      Rielle schloss die Augen und holte tief Luft, doch ehe sie aufbrechen konnte, zog Ludivine sie in eine herzliche Umarmung und küsste sie auf die Wange.

      »Vergiss nicht«, flüsterte Ludivine, »wenn dir irgendjemand etwas antun will, muss er erst an mir vorbeikommen. Und an Audric. Und an Tal. Und an vielen, vielen anderen. Der König wird nicht überstürzt handeln.

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