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entgegentreten. Sogar wenn er dafür mit dem Leben bezahlen müsste.

      Ich habe zwar die Kraft einer Kriegerin, dachte sie, aber das Herz eines Feiglings.

      Was für ein grausamer Scherz. Und die Welt war voll davon.

      »Ich ertrage das nicht«, flüsterte sie und ihre Stimme wurde von Remys Hemd gedämpft.

      »Was erträgst du nicht?«, fragte er ruhig.

      »Du weißt schon.«

      Er erwiderte nichts. Er wollte, dass sie es aussprach.

      Sie seufzte. »Menschen töten. Menschen jagen. Gut darin sein.«

      »Du bist gern gut darin«, gab er zu bedenken.

      Sie widersprach ihm nicht. »Es wird schlimmer da draußen. Und ich habe noch immer keine Antworten.«

      »Die verschollenen Frauen?«

      »Wer holt sie? Wohin werden sie gebracht? Und warum?« Sie schloss ihre Finger fest um seine Handgelenke. Am liebsten hätte sie ihn unter ihr Bett gezogen oder an einen anderen dunklen, sicheren Ort und ihn nie mehr gehen lassen.

      »Du hast Angst, dass wir die Nächsten sind«, sagte er.

      »Stimmt, das wäre durchaus möglich. Es kann jeden treffen.«

      »Du hast recht.« Remy legte sich neben sie, seine Augen waren ganz nah und glänzten. »Aber im Moment zählt nur, dass du hier bist, und ich auch.«

      Eliana legte seine Hand auf ihr Herz und ließ sich von ihm in einen unruhigen Schlaf singen.

      Den nächsten Auftrag erhielt Eliana einige Tage später an ihrer Haustür.

      Eingeschlagen in braunes Packpapier und mit der Adresse des teuersten Schneiders der ganzen Stadt versehen.

      Eliana nahm das Paket entgegen und gab dem Boten drei Silbermünzen. Der blasse Mann trug das einfache Gewand eines Lehrlings, auf den ersten Blick sah er ganz unauffällig aus. Aber Eliana wusste sofort, dass dieser Mann kein Schneiderlehrling war.

      Sie bedankte sich mit einem Nicken und ging in ihr Zimmer zurück. Vom Fenster aus beobachtete sie, wie er die Straße entlanglief, auf der viele Käufer aus dem Gartenviertel unterwegs waren.

      Er ging nahezu perfekt. Aber Eliana hatte gelernt, auf eine gewisse hölzerne Steifheit in den Bewegungen der Adatrox zu achten – auf ein gelegentliches unnatürliches winziges Zucken, wenn sie die Richtung änderten. Auf leicht getrübte Augen und verzögerte Bewegungen von Lippen und Augenbrauen. Auf die feineren Teile des Gesichts, die einem verrieten, was in dem Gegenüber vorging.

      Es wirkte immer, als würden die Soldaten des Imperiums sich nicht aus freien Stücken bewegen, sondern von jemandem gelenkt werden.

      Hoffentlich würde sie nie herausfinden, warum Adatrox sich in einem Augenblick ganz normal verhielten – lachten, redeten, gähnten – und dann ohne Vorwarnung vollkommen ruhig und reglos wurden. So reglos wie eine Statue. Dann fiel ein Schatten über ihr Gesicht und ihre Augen wurden trüb. Das konnte einen Moment lang dauern, manchmal aber auch Stunden.

      Ganz gleich was das Imperium seinen Heerscharen an Soldaten auch antat, sie hoffte, dass ihrem Vater, wo auch immer er gerade sein mochte, dieses Schicksal erspart geblieben war. Falls er überhaupt noch lebte.

      Eliana legte das Paket auf ihr Bett und zögerte einen Moment, sie machte sich auf alles gefasst.

      Von neuen Aufträgen erfuhr sie häufig, wenn sie Remy in der Bäckerei besuchte oder mit Harkan auf eins der Feste seiner Lordschaft ging. Dort ließ sie sich in verborgenen Ecken von irgendwelchen Lieblingssöhnen und Lieblingstöchtern des Imperiums küssen und man flüsterte ihr Geheimnisse zu. Später stürzten Harkan und sie sich dann ins Bett, bis sie sich nicht mehr so benutzt vorkamen.

      Aber manchmal kamen die Aufträge auch als geschriebene Nachrichten, nur für Eliana.

      Diese teilte sie nicht mit Harkan.

      Häufig lagen sie eingewickelt in dünnes Papier zwischen puderzuckerüberstäubten Krapfen, um Eliana daran zu erinnern, wie nah Remy dem Zettel und seinem Überbringer mit den ausdruckslosen Augen gewesen war. Diese Befehle las sie immer mit zitternden Händen.

      Heute lag der Auftrag in Seide versteckt – ein weinroter Hauch von einem Kleid mit langen Schlitzen an den Beinen, der schimmerte, als wäre er mit Diamanten überzogen. Über den Rücken liefen lediglich drei dünne geflochtene Bänder. Die Farbe stand ihr gut und die Größe schien auch zu stimmen. Das Kleid würde ihre Figur besonders betonen.

      Sie kämpfte gegen das ungute Gefühl in ihrer Brust. Lord Arkelion schenkte ihr zu viel Aufmerksamkeit – und das schon seit geraumer Zeit. Eliana faltete die Nachricht auseinander und las die verschlüsselte Anweisung gleich drei Mal:

       Der Wolf kommt auf dem Vollmond geritten.

       Ich will ihn lebendig.

       Heil dem Imperium.

       Lang lebe seine heilige Majestät, der unsterbliche Kaiser.

      Sie starrte auf die feine Handschrift.

      Auch wenn die Nachricht Lord Arkelions Siegel trug, geschrieben hatte er sie nicht.

      Sie kam von Rahzavel.

      Das Schreiben enthielt eine Nachricht in der Nachricht: Rahzavel war auf dem Weg nach Orline. Er war hinter dem Wolf her und wollte Elianas Hilfe.

      Sie konnte es ihm nicht verdenken.

      Anders als Quill war der Wolf nicht irgendein Lakai der Roten Krone. Er war die rechte Hand des Propheten, Leutnant des geheimnisvollen Anführers der Roten Krone höchstpersönlich. Schon seit Jahren war der Wolf dem Imperium immer wieder entwischt und jetzt war er hier in der Stadt.

      Nun ruhte Elianas Blick auf der Zahl, die mit derselben sorgfältigen Handschrift quer über den unteren Rand des Zettels geschrieben war:

       20000 Gold

      Ihr Herz raste.

      Eine Zahlung von 20000 in Imperium-Gold?

      Eine solche Summe war ein kleines Vermögen – und wenn sie von Rahzavel kam, war es die Aufforderung, vor der Eliana sich schon lange gefürchtet hatte: Bring uns den Wolf. Nimm dein Geld.

       Schließe dich dem Invictus an.

       Diene dem Kaiser.

      Sie hatte Harkan nie erzählt, dass sie während der letzten beiden Jahre heimlich noch mehr Aufträge angenommen und so viel wie möglich beiseitegelegt hatte.

      Sie hatte ihm nie erzählt, wie sehr sie sich nach seiner Traumwelt sehnte, nach diesem ruhigen Fleckchen Erde in Astavar mit Ziegen und frischem Brot und Tomatenpflanzen.

      Stattdessen hatte sie gespart und getötet und gejagt und gespart. Und jetzt, mit diesen zusätzlichen 20000 Goldmünzen zu ihrem Ersparten …

      Unten läutete die Glocke. Remy war zu Hause, sein Lachen schallte durch das Haus. Wie wunderbar, dass er noch immer so leicht lachen konnte.

      Eliana warf die Nachricht ins Feuer und sah zu, wie Rahzavels Worte verbrannten. Sobald die Nachricht als Asche im Kamin lag, schaute sie aus ihrem Fenster auf den dunkler werdenden Himmel. Es war die erste Vollmondnacht.

      Wenn der Invictus sie wollte, sollte er sie haben – aber ihrer Familie würde er kein Haar krümmen.

      Sie würde den Wolf wie befohlen ausliefern.

      Sie würde ihren Lohn entgegennehmen und sicherstellen, dass Remy, Harkan und ihre Mutter unbehelligt das Land verlassen konnten.

      Und heute Nacht schon würde die Jagd beginnen.

      5

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