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Zorngeboren - Die Empirium-Trilogie (Bd. 1). Claire Legrand
Читать онлайн.Название Zorngeboren - Die Empirium-Trilogie (Bd. 1)
Год выпуска 0
isbn 9783038801207
Автор произведения Claire Legrand
Издательство Bookwire
Wie hatte sie das tun können?
Wie hatte sie das gemacht?
Ihr Vater hatte recht. Tal hatte recht. Am besten verbrachte sie den Rest ihres Lebens in einem stillen Gemach, mit Gift ruhiggestellt. Man konnte ihr nicht trauen.
Sie fiel auf die Knie, in ihrem Kopf drehte sich alles. Starke Arme fingen sie auf. Sie spürte eine Hand in ihren Haaren und heiße Lippen auf ihrer Stirn.
»Rielle«, rief Audric. »Rielle, mein Gott, du bist verletzt. Bleib wach. Schau mich an, bitte.«
Ehe die Finsternis sie umfing, hörte sie eine zweite Stimme – männlich und betörend und sanft wie ein Schatten.
Ich glaube, es ist an der Zeit, mich vorzustellen, sagte die Stimme. Sie fühlte sich an wie ein Kuss und kam von weit weg und ganz nah zugleich.
Dann nahm sie nichts mehr wahr.
6 ELIANA
»Orline, die Hauptstadt von Ventera, ist eine günstig gelegene Hafenstadt an der Südostküste. Zugegebenermaßen strahlt die Stadt trotz der brütenden Hitze und des Gestanks, der gelegentlich von den Sümpfen an der Westgrenze herüberweht, eine einzigartige Schönheit aus – es ist eine luxuriöse Stadt mit Steinterrassen, versteckten Innenhöfen, üppigen Farnen und herabhängendem Moos, eingerahmt von einem breiten, braunen Fluss, der zweitausend Meilen nördlich im Hochland von Ventera entspringt.«
Erster Bericht von Lord Arkelion an seine heilige Majestät, den Kaiser der Unsterblichkeit, nach der erfolgreichen Einnahme von Orline
13. Februar im Jahr 1010 des Dritten Zeitalters
In der ersten Vollmondnacht schlief Eliana nicht. Sie legte ihre neue Maske an, schminkte ihre Lippen purpurrot, warf sich ihren Lieblingsmantel über – ein bisschen Theatralik hatte noch niemals geschadet – und verschwand in der Nacht.
Sie nahm den Weg über die Hausdächer vorbei an den Hopfenläden, wo es nach Lachryma stank, und an den roten Zimmern, die von freundlichen Damen betrieben wurden. Die ganze Nacht über streifte sie durch die Brachen.
Eliana sah sich um und hielt die Ohren offen.
Sie suchte die üblichen Informanten auf – verängstigte Rebellen, die bereit waren, die Rote Krone zu verraten, oder nützliche Opportunisten, die gegen Bares zu Doppelagenten wurden.
Sie stellte Fragen und verlangte Antworten. Sie drohte und schmeichelte.
Meistens drohte sie.
Aber vom Wolf keine Spur. Kein flüchtiger Blick, keine Information hinter vorgehaltener Hand.
In der zweiten Vollmondnacht kehrte Eliana mit einem faustgroßen Knoten im Bauch und einem Dutzend drängender Fragen nach Hause zurück.
Wusste der Wolf, dass sie ihn verfolgte? War es deswegen so auffallend ruhig geworden?
Beobachtete Rahzavel sie?
War das eine Art Prüfung?
Versagte sie?
Sie saß vor ihrem Zimmer auf der Terrasse und sah der aufgehenden Sonne zu, die die Welt blutrot färbte. Ein Teil von ihr sehnte sich danach, über die Lücke zwischen den Dächern zu springen, sich in Harkans Zimmer zu schleichen, ihn mit ihren Lippen zu wecken und sich so lange von ihm lieben zu lassen, bis sie an nichts anderes mehr dachte.
Stattdessen saß sie mit Kapuze und Handschuhen still wie ein Wasserspeier da und wartete und grübelte.
Was würde Rahzavel tun, wenn sie den Wolf nicht fand?
Und wenn sie den Wolf jagte, jagte er vielleicht auch sie?
In der letzten Vollmondnacht kehrte Eliana unruhig und mit bösen Vorahnungen nach Hause zurück, nur um festzustellen, dass jemand bei ihnen eingebrochen war.
Wenn Eliana arbeitete, betrat und verließ sie das Haus gern über die winzige Steinterrasse vor ihrem Zimmerfenster im zweiten Stock. Auf diese Weise blieb die Tür zur Straße hin unberührt.
Heute Nacht aber stand ihr Fenster offen. Ein dünner Streifen im Holz verriet, wo die Farbe abgekratzt war; jemand hatte die Verriegelung aufgebrochen. Die Glasscheibe hatte einen Sprung.
Während sie regungslos stehen blieb, stieg ihr ein Geruch wie in der Nacht von Quills Festnahme in die Nase. Da war auch das gleiche unangenehme Gefühl, als würde sie mit der Welt rundherum nicht mehr im Einklang stehen. Auf ihre Schultern drückte ein Gewicht und sie hatte einen sauren Geschmack im Mund.
Irgendjemand war hier. Sie waren hier, die Mädchenfänger vom Hafen. Das zumindest sagte ihr Bauchgefühl. Die einzigen Male, dass sie sich so gefühlt hatte, waren in jener Nacht gewesen und jetzt.
Was bedeutete, dass jetzt ihre Mutter …
Und Remy?
Sie nehmen nur Frauen, sagte Eliana sich, während ihr Herz wie verrückt schlug. Sie nehmen nur Mädchen.
Schweiß perlte auf ihrer Stirn. Sie könnte Harkan zu Hilfe holen, aber vielleicht wäre es dann schon zu spät.
Sie sprang auf die Terrasse einen Stock unter ihr vor das Zimmer ihrer Mutter. Die Blumen aus Rozens Dachgarten dufteten intensiv und Eliana wurde übel.
Das Fenster war nicht verschlossen, was eigenartig war. Vor dem Schlafengehen verriegelte ihre Mutter immer das Fenster. Vorsichtig drückte Eliana es auf, schlüpfte nach drinnen … und hielt inne.
Ihre Mutter war fort.
In dem Zimmer stank es nach diesem undefinierbaren Etwas, das den Entführern anhaftete. Die Bettlaken waren halb aus der Matratze gezogen. Auf dem Boden lag eine zersprungene Tasse.
Und die Beinprothese ihrer Mutter lehnte in der Ecke.
Eliana packte das Grauen.
Du hast Angst, dass wir die Nächsten sind, hatte Remy am Abend von Quills Hinrichtung gesagt.
Nein. Nein. Nicht ihre Mutter. Das konnte nicht sein.
Wer auch immer hinter den Entführungen steckte, holte keine Frauen aus dem Gartenviertel. In dieser Gegend der Stadt war man geschützt.
Aber falls die Entführungen Teil einer größeren Sache waren und nicht irgendeiner Laune Lord Arkelions entsprangen, ja womöglich gar nicht unter seiner Kontrolle standen …
Über ihr waren Schritte. In ihrem eigenen Zimmer. Beinahe lautlos, aber nicht ganz. Das Haus war alt; die Böden knarrten.
Remy, dachte sie, schlaf bitte weiter. Bitte, lieg sicher in deinem Bett.
Sie zog ihren Dolch und schlüpfte aus dem Zimmer ihrer Mutter. Leise schlich sie an Remys geschlossener Tür vorbei die Treppe hinauf bis in den Flur.
Sie drückte sich eng an die Wand neben ihrem Schlafzimmer und wartete. Die Tür öffnete sich, eine groß gewachsene Gestalt trat ins Dunkle. Wartete. Und bewegte sich dann in Richtung Treppe.
Ein Mann.
In dem Mondlicht, das aus ihrem Zimmer drang, sah sie seine Maske aus Netzwerk und Metall.
Angst durchbohrte sie.
Der Wolf.
Es hieß, dass er nie sein Gesicht zeigte und immer eine Maske trug. Aber eine der käuflichen Damen, die Eliana gut kannte, schwor, dass sie einmal gesehen hatte, wie der Wolf sie abgenommen hatte. Er war vernarbt, sagte sie, wie von Klauen gezeichnet.
Sie sagte auch, er hätte Augen wie der Winter – eiskalt und gnadenlos.
Nun denn, dachte Eliana. Dann