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      Es war Audric, zu Fuß. Sie musste auch ihn vom Pferd geworfen haben, und jetzt humpelte er. Rielle trieb Maliya zur Eile an. Audric wich vor ihrem Anblick zurück. Ein schrecklicher Ausdruck legte sich über sein Gesicht.

      Was sah er?

      Ein dicker schwarzer Pfeil sauste an ihr vorüber.

      Rielle riss Maliya herum, so hart, dass sie das Einschneiden der Trense in ihrem eigenen Mund spürte. Sie hielt auf den Mann zu, der auf sie geschossen hatte. Er musterte sie und griff nach dem nächsten Pfeil.

      Er legte ihn an. Dann zielte er nicht auf sie, sondern auf Audric.

      Rielle rief Audric zu, wegzugehen, und trieb Maliya an, um zwischen ihn und den Schützen zu gelangen.

      Maliya machte ein paar unsichere Schritte, und schließlich gab unter Rielle etwas nach. Sie blickte nach unten. Ihr Pferd war ein wunder, fleischiger Haufen – blutüberströmt, Teile seines grauen Fells verkohlt und qualmend.

      Das Entsetzen traf Rielle wie ein Schlag in den Bauch. Sie ließ die Zügel fallen und lehnte sich auf dem Sattel zurück. Sie musste von diesem schrecklichen Tier unter ihr wegkommen. Woher stammte es überhaupt?

      Maliyas Kruppe sackte erst weg und bäumte sich dann noch ein letztes Mal auf. Rielle fiel unsanft auf die Seite. Hektisch kroch sie davon und krallte sich in die Erde, um wegzukommen.

      Ein weiterer Pfeil des Attentäters aus Borsvall – doch weder auf Rielle noch auf Audric gerichtet. Der Pfeil traf Maliya zwischen den Augen; ihr Gebrüll verstummte. Dampfend blieb ihr Kadaver liegen.

      Rielle kauerte sich auf den Boden, den üblen Geruch von Maliyas verbranntem Fleisch in der Nase. In ihren Gedanken suchte sie noch immer nach Audric, doch als sie versuchte aufzustehen, wollte ihr Körper ihr nicht gehorchen. Mühsam hievte sie sich hoch und würgte. Sie war ganz von Schmutz und Blut bedeckt – von ihrem eigenen und dem von Maliya.

      Das Klirren von Metall auf Metall dröhnte durch die Luft. Schwerter.

       Audric.

      Verzweifelt suchte Rielle mit schwindender Sehkraft nach einer Waffe, irgendetwas, was die Männer aus Borsvall fallen gelassen hatten. Selbst ein Stein würde schon genügen.

      Oh, Gott steh ihr bei, das arme Pferd.

      Was hatte sie getan?

      Sie wischte sich die blutigen Hände an ihrem Hemd ab. Die Erde bebte noch immer, als marschierte eine Armee von zehntausend Männern auf die Hauptstadt zu.

      »Hör auf«, flüsterte sie, denn sie wusste, es war alles ihr Werk – das Pferd, die herabstürzenden Felsen, die Risse in der Erde.

      Sie hatte die Beherrschung verloren, nach allem, was Tal und ihr Vater versucht hatten sie zu lehren. Dabei hatte sie ihnen nur zeigen wollen, dass sie vertrauenswürdig war, dass sie ein Leben außerhalb des Tempels und ihrer einsamen Gemächer verdient hatte.

      Doch jetzt würde ihr Vater sie noch mehr hassen als zuvor.

      Jeder auf der Rennstrecke hatte es gesehen.

      Was war sie eigentlich?

      Heftig schlug sie die Hände auf den Boden, ohne die Schmerzen zu beachten. »Aufhören!«

      Ein Grollen, eine schnelle Windbö. Auf einmal war alles heiß.

      Aus der Ferne vernahm sie Schreie von der Rennstrecke her. Jemand sprach durch den Verstärker.

      Sie blickte auf.

      Sie war bis zum höchsten Punkt des Passes gekrochen. Vor ihr lag ein Abhang, dahinter das Tiefland, die Ziellinie und die Zuschauerlogen rundherum. Die Hauptstadt – die Dächer der sieben Tempel und die von Baingarde, dem Königsschloss, leuchteten in der Sonne.

      Zwei Feuerspuren erstreckten sich wie lange, hungrige Zungen von ihren Händen bis zur Stadt hin.

      Rielle kam stolpernd auf die Beine, von Erschöpfung gezeichnet. Audric rief ihr eine Warnung zu. Als sie sich umwandte, sah sie einen der übrig gebliebenen borsvallianischen Männer auf sie zukommen, sein Schwert erhoben, an dessen Klinge Feuer knisterte. Seine Augen waren aufgerissen und weiß, sein Gesicht war verzerrt. Dieser Meuchelmörder, dieser Feuerzeichner mit seinem flammenden Schwert, hatte Angst vor ihr.

      Erneut ließ sie sich fallen und rollte weg; sein Schwert sauste dort, wo sie gestanden hatte, durch die Luft. Feuer versengte ihr Haar. Rauch biss ihr in die Nase.

      Audric sprang vor sie, einen glühenden Dolch in jeder Hand.

      Rielle wurde vor Erleichterung ganz schwindelig. Er hatte also doch Waffen eingeschmuggelt.

      Audrics Gesicht war wutverzerrt. Als das glühende Schwert des Attentäters gegen seine sonnenhellen Dolche stieß, schmerzte der Zusammenprall Rielle an den Zähnen. Funken flogen. Flammen umzüngelten Audrics Gesicht, während sich das Schwert des Feuerzeichners auf ihn senkte. Doch Audric wankte nicht. Er stand unerschüttert vor Rielle und seine Dolche ließen Sonnenblitze über den Boden zucken. Brüllend warf er sich auf den Mörder und schlug ihm das Schwert aus der Hand. Ein zweifacher Bogen aus Sonnenlicht sprühte aus seinen gekreuzten Dolchen und warf den Attentäter zu Boden. Der Mörder richtete sich wieder auf, Gesicht und Arme verbrannt, und stürmte mit einem kehligen Verzweiflungsschrei auf Audric los.

      In Rielles Kopf gellte es bei jedem Zusammenstoß ihrer Klingen. Sie klammerte die Hände fest um ihren Schädel, um sich zusammenzureißen. Wenn sie ihr Feuer nicht aufhalten konnte, würde die Stadt brennen.

      Audric begegnete jedem der Hiebe des Mannes mit einem eigenen. Seine Dolche sangen, und die Luft vibrierte vor Hitze. Er tänzelte vor und zurück, um einem tödlichen Stoß auszuweichen. Dann wirbelte er herum, schleuderte einen Lichtschild aus seinen Dolchen und stach den Geblendeten in den Bauch. Der Mörder fiel, sein Schwert war schlagartig ausgelöscht. Ein weiterer Attentäter näherte sich. Audric fuhr herum und fing die Klinge des anderen mit seinen beiden ab. Dieser Mann war ein Windflüsterer, um ihn herum blies ein heulender Wind. Er quoll in Spiralen aus seinem Schwert wie eine Armee aus Stürmen und hätte Audric beinahe umgeworfen.

      Ihre Schwerter blitzten, doch selbst Audric hatte seine Grenzen. Dieser zweite Mörder war ein Bär von einem Mann. Wenn Audric nur Illumenor gehabt hätte …

      »Lauf, Rielle!«, schrie er ihr zu und die Locken klebten ihm an der Stirn. Er stieß seinen Angreifer von sich und duckte sich unter einem heftigen Schwertstoß des Mannes weg.

      Rielle blickte sich um und sah etwas Metallenes auf der Erde glitzern: ein heruntergefallener Dolch, in dessen Schaft das Wappen der Königsfamilie von Borsvall eingraviert war – ein Drache, der über einen Berg flog.

      Mit letzter Kraft griff Rielle nach dem Dolch und richtete sich mühsam auf. Ihre Beine gaben fast nach, ihr Blick war trüb. Sie überwand den Schmerz, der durch ihren Körper fuhr, und sprang los. Die Klinge fand ihren Weg zurück, in den Hals des Mannes aus Borsvall.

      Rielle sah den Mann fallen und spürte die Luft, die aus ihm strömte, als er den letzten Atemzug tat. Die Welt war nur noch ein dumpfes Summen rings um sie her.

      Sie sah, wie das Feuer den Abhang hinab und auf die Stadt zu raste und dabei jeden Grashalm in Brand steckte, den es berührte.

      Aufhören, dachte sie. Bitte, hör auf. Tu ihnen nichts. Mit letzter Kraft griff sie nach dem Feuer, um das Inferno zu sich zurückzuholen, doch dann flutete Finsternis ihre Sicht.

      Vielleicht hatte sie das Feuer ja gar nicht verursacht. Vielleicht war das alles ein schrecklicher Traum. Sie würde am Morgen des Rennens erwachen. Ludivine würde ihr dabei helfen, sich aus Tals Studierzimmer zu schleichen. Sie hatten es doch alles geplant.

      Sie würde das Rennen gewinnen und Audric würde sie lachend in seine Arme schließen. Er wäre stolz auf sie, würde ihr gratulieren und sie dann zurücklassen, um mit Ludivine ganz allein zu speisen, und ein Teil von Rielle würde sterben, wie immer, wenn sie an die schreckliche Wahrheit seiner Verlobung erinnert wurde.

      Rielle

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