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Kissen.

      »In deiner Traumwelt gibt es keinen Platz für ein Mädchen wie mich, mein Schatz«, erklärte sie und lächelte zurückhaltend. »Schon vergessen? Ich weiß nur, wie man tötet.«

      »Und das hier«, sagte Harkan, seine Augen waren dunkel und seine Stimme gedämpft.

      »Und das hier«, stimmte sie zu und küsste ihn so heftig, dass er nichts mehr sagen konnte.

      An diesem Abend kam sie erst bei Einbruch der Dunkelheit nach Hause, um das Abendessen zuzubereiten.

      »Liebste Mutter!« Sie gab ihrer Mutter einen Kuss auf die Wange.

      »Was war los heute?«, fragte Rozen Ferracora. Sie saß an ihrem Tisch, auf der abgenutzten Holzplatte lagen Teile ihrer letzten Arbeit. Schrauben und Muttern. Nägel und Messer. »Ich habe von dem Jungen gehört, und von Quill.«

      »Oh, hast du das?« Eliana zuckte mit den Schultern und fing an Karotten zu schneiden. Sie spürte, wie ihre Mutter sie beobachtete, und schnitt schneller. »Tja. Was hast du erwartet? Wieder einer dieser glorreichen Tage des ruhmreichen Königreichs von Ventera.«

      Später gesellte sich Remy zu ihnen. Er setzte sich an den Tisch und sah Eliana dabei zu, wie sie den Abendbrottisch deckte – ein Laib frisches Brot, Gemüseeintopf, ein Stück Hartkäse –, alles von bester Qualität, frisch gekauft im Gartenviertel.

      Eliana waren ihr hübsches kleines Zuhause, ihr Lebensmittelvorrat und der einigermaßen sichere Stadtteil, in dem sie lebten, noch nie so bewusst geworden wie heute.

      Alles mit dem Blut an ihren Händen erkauft.

      Sie füllte die Schüssel ihrer Mutter und stellte sie schwungvoll vor sie hin.

      Remy durchbrach mit zitternder Stimme das Schweigen. Seine Augen glänzten vor zurückgehaltenen Tränen. »Du bist ein Feigling.«

      Eliana hatte das erwartet. Doch die Schärfe in seiner Stimme war wie ein Schlag in die Magengrube und sie ließ beinahe den Teller fallen.

      »Hör auf, Remy«, wies Rozen ihn zurecht.

      »Ich hab gehört, dass heute ein Kind hingerichtet wurde, und dieser Rebell Quill, der die Leute aus der Stadt schleust.«

      Eliana schnürte es die Kehle zu. So einen Gesichtsausdruck hatte sie noch nie an Remy gesehen – als würde er sie nicht mehr erkennen und wollte es auch gar nicht.

      Genüsslich biss sie ein Stück Brot ab. »Alles wahr!«

      »Das ist deine Schuld«, flüsterte er.

      »Was ist meine Schuld?«

      »Du hast sie umgebracht.«

      Eliana schluckte, kippte einen Schluck Wasser hinterher und wischte sich über den Mund. »Wie oft habe ich das jetzt schon erklärt? Meine Feigheit hält uns satt und warm und am Leben. Also, mein liebster Bruder, wenn du nicht verhungern willst …«

      Remy schob seinen Teller von sich. »Ich hasse dich.«

      Rozen saß starr auf ihrem Stuhl. »Tust du nicht. Sag so was nicht.«

      »Er soll mich ruhig hassen.« Eliana schaute kurz zu Remy und dann schnell wieder weg. Er kannte ihren weichen Kern, diese leere Stelle, die sonst niemand zu Gesicht bekam. Seine Worte hatten gesessen. »Wenn er dadurch heute Nacht besser schlafen kann, soll er mich ruhig bis ans Ende aller Tage hassen.«

      Remys Blick huschte zu ihrem Hals, wo die Halskette hing. Jetzt schaute er noch finsterer drein.

      »Du trägst König Audric den Lichtbringer um deinen Hals, aber das verdienst du gar nicht.« Seine Augen wanderten wieder zurück zu ihrem Gesicht. »Wenn die Blutkönigin ihn nicht umgebracht hätte, würde er sich jetzt für dich schämen. Er würde sich für jeden schämen, der dem Imperium hilft.«

      »Wenn die Blutkönigin ihn nicht umgebracht hätte«, erklärte Eliana ruhig, »würde das gar keine Rolle spielen, oder? Wahrscheinlich wäre das Imperium dann nie so mächtig geworden. Und wir würden alle in einer Welt voller Magie und fliegender Pferde leben, mit Schlössern, die von den Heiligen höchstpersönlich gebaut wurden.«

      Sie faltete ihre Hände und betrachtete ihn übertrieben geduldig. »Aber Königin Rielle hat ihn nun mal umgebracht. Und deshalb sind wir jetzt hier. Und sein Bildnis trage ich um meinen Hals, damit es mich immer daran erinnert, dass wir nicht in dieser anderen Welt leben. Wir leben in einer Welt, wo gute Könige sterben, und die, die dumm genug sind und auf bessere Zeiten hoffen, gleich mit dazu.«

      Danach ignorierte sie ihren Bruder und ihre Mutter und schlang schweigend ihren Eintopf hinunter.

      Später am Abend, als Eliana gerade die Klingen ihrer Waffen reinigte, kam ihre Mutter zu ihr ins Zimmer.

      »Eliana«, sagte Rozen leicht außer Atem, »du solltest dich ausruhen.« Mit ihrer Beinprothese bereitete es ihr einige Mühe, ohne Hilfe die Treppe hochzusteigen. Sie stützte sich schwer auf ihren Stock.

      »Was machst du denn da, Mutter?« Eliana stand auf und half ihr beim Hinsetzen. Ihre Dolche und Rauchgranaten lagen über den Fußboden verteilt, ein Bild des Todes.

      »Du bist diejenige, die sich ausruhen sollte.«

      Rozen starrte lange auf den Fußboden. Dann verlor sie die Fassung und vergrub ihr Gesicht in Elianas Schulter.

      »Ich ertrage es nicht, dich so zu sehen«, flüsterte sie. »Es tut mir leid. Es tut mir so leid, dass ich dir beigebracht habe, wie … Einfach alles tut mir leid.«

      Eliana hielt sie fest und streichelte über ihren wirren dunklen Haarknoten. Geduldig hörte sie zu, wie Rozen sich unzählige Male flüsternd bei ihr entschuldigte.

      »Was genau tut dir leid?«, fragte Eliana schließlich. »Dass Großvater dir das Töten beigebracht hat? Und du mir?«

      Rozen legte ihre rauen Hände an Elianas Wangen und betrachtete sie eingehend mit diesen feuchten Augen, die Eliana immer an ihren Bruder erinnerten – forschend und unermüdlich. »Du sagst mir, wenn du eine Pause brauchst! Wir können Lord Arkelion um eine Auszeit –«

      »Eine Auszeit, wofür? Um Plätzchen zu backen und die Wände neu zu streichen?« Eliana lächelte und drückte die Hand ihrer Mutter. »Ich wüsste nichts mit mir anzufangen.«

      Rozen bekam ganz schmale Lippen. »Du musst mir nichts vormachen, Eliana. Ich kann dein Lächeln durchschauen. Ich habe dir dieses Lächeln beigebracht

      »Dann entschuldige dich nicht dafür, dass du mir beigebracht hast, wie wir überleben, in Ordnung? Mir geht es gut.«

      Eliana streckte sich und half Rozen in ihr Bett. Sie machte ihr eine Tasse Tee, küsste sie auf die Wange und half ihr, das Bein abzuschnallen – eine gut gearbeitete hölzerne Prothese, für die Eliana den Lohn zweier Aufträge bezahlt hatte.

      Zwei Hinrichtungen. Zwei abgeschlachtete Seelen.

      Als Eliana in ihr Zimmer zurückkam, wartete dort bereits Remy, er saß mit angezogenen Knien da und hielt seine Beine fest umklammert.

      Während sie neben ihm aufs Bett krabbelte, wurde ihr plötzlich eng um die Brust, sodass sie nur noch schwer atmen konnte. Trauer überrollte sie wie eine große Welle. Und Eliana ließ sich, ohne eine Träne zu vergießen, von ihr nach unten ziehen.

      »Ich hasse dich nicht«, sagte Remy ruhig und ließ es zu, dass sie sich fest an ihn klammerte. Eliana schloss die Augen und versuchte, sich nur auf ihn zu konzentrieren – auf den Mehlgeruch in seinen Kleidern und den nach Tinte an seinen Händen. Auf den Klang seiner Stimme, während er »Ein Lied für den goldenen König« für sie sang. Als Eliana noch ein Kind war, war das ihr liebstes Schlaflied gewesen – ein Klagelied für Audric den Lichtbringer.

      Remys kleine Hände strichen über ihre

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