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Leute angriff und stattdessen dem Imperium diente – und das alles nur für sie.

      Nein, signalisierte er ihr. Abbruch.

      Sie wusste, was ihn berührte. Die Kinder gehörten nicht zu ihrem Auftrag. Quill war eine Sache, aber die Vorstellung, dem Lord von Orline unschuldige Kinder auszuhändigen … Damit würde Harkan nicht klarkommen.

      Und sie, ehrlich gesagt, auch nicht.

      Aber dort im Schatten des Eingangs zum Hof standen drei Rebellen: Quills Begleiter und Beschützer. Sie durften keine Zeit verlieren. Wenn sie die Familie verschonten, gingen sie ein viel zu hohes Risiko ein. Sie und Harkan mussten schnell handeln.

      Sie schüttelte den Kopf. Hol sie dir, bedeutete sie ihm.

      Harkan atmete laut ein, seine grimmige Enttäuschung war unüberhörbar.

      Quill drehte blitzschnell den Kopf.

      Eliana sprang vom Dach, landete geschmeidig, rollte sich ab und stand sofort wieder auf den Füßen.

      Wie schade, dachte sie, dass ich mich nicht einfach zurücklehnen und mir beim Kämpfen zuschauen kann. Bestimmt sieht es so gut aus, wie es sich anfühlt.

      Quill zog einen Dolch, die Mutter fiel auf die Knie und flehte um Gnade. Der Schmuggler schob seine Kapuze zurück. Er war mittleren Alters und rotgesichtig, hatte wache Augen und strahlte eine gewisse Gelassenheit aus – Den Tod fürchte ich nicht, aber die Kapitulation, schien sie zu besagen.

      Vier Sekunden später hatte Eliana ihm sein kaputtes Bein weggetreten, ihn um sein Messer erleichtert und ihm mit dem Griff auf den Hinterkopf geschlagen. Er stand nicht wieder auf.

      Sie hörte, wie Harkan hinter ihr landete, und dann die raschen Schritte der anderen Rebellen, die in den Innenhof stürmten. Wenig später hatten sie die Rebellen zur Strecke gebracht. Eliana wirbelte herum und warf ihren Dolch. Er blieb in der hölzernen Hoftür stecken und nagelte das älteste Kind mit seinem Mantel daran fest.

      Die anderen erstarrten und brachen in Tränen aus.

      Die Mutter lag mit glasigen Augen auf einem Bett verblühter Rosen. Aus ihrem Herzen ragte der Dolch eines Rebellen.

      Eliana riss ihn heraus. Eine weitere Klinge für ihre Sammlung. Warum hatten die Rebellen diese Frau getötet?, fragte sie sich. Um sich selbst zu schützen?

      Oder waren sie gnädig gewesen, weil sie wussten, was ihr sonst bevorstand?

      »Hol die Wachen«, befahl Eliana und durchsuchte die Mutter nach Wertgegenständen. Sie fand lediglich ein kleines Götzenbild des Kaisers, das aus Lehm und Zweigen gefertigt worden war. Bestimmt trug sie es nur für den Fall bei sich, dass sie von einer Adatrox-Patrouille angehalten und durchsucht würde. Die schwarzen Knopfaugen auf dem Bild glitzerten im Mondlicht. Sie warf es weg. Die Schluchzer der Kinder wurden lauter. »Ich bleibe bei ihnen.«

      Harkan zögerte, dieser traurige, müde Gesichtsausdruck machte sie wütend. Er hoffte noch immer, dass das alles sie eines Tages ändern würde. Besser machen. Wieder gut machen.

      Sie zog eine Augenbraue hoch. Tut mir leid, Harkan. Gute Mädchen leben nicht lange.

      Schließlich verschwand er.

      Das älteste Kind hatte seine Arme um seine Geschwister gelegt und beobachtete Eliana. Tief in ihrem Inneren regte sich etwas, das sie drängte, es gehen zu lassen. Nur dieses eine Mal. Es würde niemandem schaden; das waren Kinder, sie waren nichts.

      Aber Kinder konnten ihren Mund nicht halten. Und wenn jemals jemand herausfinden würde, dass der Fluch von Orline, Lord Arkelions Lieblingsjägerin, Verräter freigelassen hatte …

      »Wir hatten Angst, dass die bösen Männer sie auch holen würden«, sagte der Junge nur. »Deswegen wollten wir von hier weg.«

      Die bösen Männer. Eliana kroch ein winziger Schauer über den Nacken. Die maskierten Männer vom Hafen?

      Aber mehr sagte der Junge nicht. Er versuchte nicht einmal wegzulaufen.

      Kluger Junge, dachte Eliana.

      Er wusste, dass er nicht weit kommen würde.

      Am nächsten Nachmittag stand Eliana auf einem Balkon mit Blick auf den Galgen.

      Lord Arkelion fläzte an der Ostseite des Platzes in seinem Thron, dessen hohe Rückenlehne in Form von zwei Flügeln geschnitzt war.

      Eliana beobachtete ihn und verschränkte die Arme vor der Brust. Sie verlagerte ihr Gewicht auf ein Bein und versuchte die Gestalt zu ignorieren, die in einer schwarz-roten Invictus-Uniform neben dem Thron seiner Lordschaft stand.

      Aus dieser Entfernung konnte Eliana nicht erkennen, wer es war, aber das war auch nicht wichtig. Schon vom Anblick der vertrauten Silhouette wurde ihr übel.

      Die Leute des Invictus waren eine Truppe von Attentätern, die um die Welt reisten und die Befehle des Kaisers ausführten. Die gefährlichsten und blutigsten Aufträge.

      Es war nur eine Frage der Zeit, bis sie Eliana rekrutieren würden. Was sie sich täglich in Erinnerung rief, um zu sehen, ob die Vorstellung sie irgendwann nicht mehr in Furcht versetzte.

      Das war bisher noch nicht der Fall gewesen.

      Wahrscheinlich würden sie Rahzavel nach ihr schicken. Im Laufe der Jahre war Eliana ihm auf einigen Festen seiner Lordschaft begegnet. Er hatte sie jedes Mal zum Tanzen aufgefordert. Und sein strenger grauer Blick hatte sie jedes Mal davor gewarnt, ihn zurückzuweisen.

      Oh, wie hatte sie sich gewünscht, genau das zu tun.

      »Eine unverwundbare Kopfgeldjägerin«, hatte er ihr vorigen Sommer bei ihrem letzten gemeinsamen Tanz ins Ohr geraunt. »Wie eigenartig.« Er schob seine kalten Finger zwischen ihre. »Eines Tages wirst du unsere Familie wunderbar ergänzen.«

      Wenn Rahzavel sie holen käme, würde sie sich vielleicht nicht einmal von ihren Lieben verabschieden können, bevor er sie nach Übersee brachte, nach Celdaria, ins Zentrum des Unsterblichen Imperiums – und zum Kaiser höchstpersönlich.

      Willkommen, Eliana Ferracora, sagte der Kaiser in ihren schlimmsten Träumen, wobei sein Lächeln seine schwarzen Augen nicht erreichte. Ich habe schon viel von dir gehört.

      Und das würde das Ende des Lebens bedeuten, wie sie es bisher kannte. Sie würde ein Mitglied der Elite werden – eine Streiterin des Invictus.

      Und genau wie Rahzavel würde sie eine neue Art Monster werden.

      Heute allerdings war es noch nicht so weit.

      Also beobachtete Eliana das Spektakel, trommelte mit den Fingern auf ihre Arme und wünschte sich, dass seine Lordschaft es endlich hinter sich brachte. Sie war hungrig und müde, und Harkan schämte sich abgrundtief, und je länger sie hier standen, umso dringender schien er etwas von ihr zu erwarten, das sie ihm nicht geben konnte:

      Reue.

      Die Wachen des Imperiums führten Quill und das älteste Kind zu dem Galgen. Er war auf den Ruinen des Tempels der heiligen Marzana errichtet worden, der verehrten Feuerzeichnerin der Alten Welt – in einer Zeit, bevor Blutkönigin Rielle gestorben war, vor dem Aufstieg des Imperiums.

      Als die Soldaten des Imperiums Orline einnahmen, zerstörten sie den Tempel fast vollständig. Früher war es ein großartig angelegter Komplex aus verschiedenen Hallen mit Kuppeldächern, Klassenzimmern und Heiligtümern gewesen, durch die der Wind wehte, der vom Fluss her kam, und die Innenhöfe waren mit blühenden Reben bewachsen gewesen. Heute zeugten nur noch ein paar bröckelnde Säulen von der alten Pracht. Die Statue der heiligen Marzana, die einst den Tempeleingang bewacht hatte, war zerstört. Stattdessen ragte dort jetzt drohend das Abbild des Kaisers auf, seine Gesichtszüge waren verdeckt und sein Körper verhüllt. Um seinen Kopf wehten Fahnen in Gold, Schwarz und Purpurrot.

      Der große Platz war gedrängt voll, aber man hörte

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