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gefesselt.

      Rote Krone? Unwahrscheinlich. Was wollten die Rebellen mit gestohlenen Kindern? Und wenn die Rote Krone in diese Entführungen verwickelt wäre, hätte Eliana bestimmt schon Gerüchte aus der Unterwelt gehört.

      Vielleicht waren es ja Kopfgeldjäger, so wie sie, aber warum sollte das Unsterbliche Imperium für etwas bezahlen, was es sich doch einfach nehmen konnte? Und dann in einer Gruppe zusammenarbeiten? Äußerst unwahrscheinlich.

      Eine der beiden Gestalten im Boot streckte die Arme aus, um das Mädchen entgegenzunehmen. Auf dem Boden lagen dicht an dicht einige Bündel – weitere Frauen, weitere Mädchen, gefesselt und bewusstlos.

      Elianas Wut war entfacht.

      Sie zog den langen dünnen Pfeifer aus ihrem linken Stiefel.

      »Wohin des Wegs, meine Herren?«, rief sie und rannte auf sie zu.

      Als der Mann auf dem Pier sich umsah, war Eliana schon bei ihm. Sie machte eine halbe Drehung und erwischte ihn mit dem Stiefel unter dem Kinn. Er fiel und rang nach Luft.

      Einer der Männer sprang vom Boot auf den Kai. Eliana zog ihm Arabeth über die Kehle und stieß ihn zu seinem Kameraden ins Wasser.

      Siegesgewiss wandte sie sich zu dem Entführer, der noch im Boot wartete, und winkte ihm zu.

      »Kommst du, Schätzchen?«, sagte sie gurrend. »Oder hast du etwa Angst vor mir?«

      Früher war sie vor dem Töten zurückgeschreckt. Ihr erstes Mal lag sechs Jahre zurück, damals war sie zwölf gewesen. Rozen Ferracoara, Elianas Mutter, hatte sie bei einem Auftrag mitgenommen – dem letzten, den Rozen vor ihrer Verletzung angenommen hatte –, aber irgendjemand hatte sie verpfiffen. Die Rebellen wussten, dass sie kommen würden. Sie waren in einen Hinterhalt geraten.

      Rozen hatte zwei von ihnen niedergestreckt, während Eliana im Verborgenen blieb. Ich halte dich vom Töten fern, solange es geht, meine Süße, hatte ihre Mutter immer gesagt. Schau fürs Erste nur zu. Lerne. Übe. Ich bringe dir bei, was mein Vater mir beigebracht hat.

      Als einer der Rebellen Rozen zu Boden drückte, spürte Eliana nichts als blinde Wut.

      Sie hatte sich auf die Rebellin gestürzt und ihre kleine Klinge tief in den Rücken der Frau gestoßen. Danach stand sie fassungslos da und sah dabei zu, wie die Frau in einer Lache aus Blut ihr Leben aushauchte.

      Rozen hatte Eliana an der Hand genommen und war mit ihr davongeeilt. Zu Hause in der Küche hatte ihr Bruder Remy – er war damals fünf Jahre alt – große Augen gemacht, als Elianas Schock in Panik umschlug. Mit Händen, noch immer rot vor Blut, hatte sie sich in den Armen ihrer Mutter heiser geschluchzt.

      Zum Glück war das Töten einfacher geworden.

      Aus den Schatten stürzten zwei maskierte Gestalten, die kleine Bündel mit sich trugen. Noch mehr Mädchen? Sie warfen die Bündel zu ihrem Kameraden ins Boot und stellten sich ihr entgegen. Geschickt wich sie einem Schlag aus, und noch einem, musste dann aber einen harten einstecken, der sie im Magen traf, und bekam einen heftigen Kinnhaken verpasst.

      Sie stolperte, schüttelte sich. Der Schmerz verging so rasch, wie er gekommen war. Sie fuhr herum und erstach einen weiteren der brutalen Kerle, der ins schmutzige Wasser kippte.

      Dann wurde ihr speiübel, so schlimm, als würde ihr jemand einen Stiefelabsatz in den Bauch bohren. Sie ging in die Knie und rang nach Luft. Auf ihren Schultern lastete ein schweres Gewicht, sie konnte nicht mehr klar sehen und wurde fest auf den glitschigen Kai gepresst.

      Fünf Sekunden. Zehn. Dann verschwand der Druck. Die Luftmassen um ihren Körper waren nicht länger verschoben, ihre Haut kribbelte nicht mehr. Sie hob den Kopf und zwang sich, die Augen zu öffnen. Das Boot glitt davon.

      Wutentbrannt kam Eliana auf die Füße, ihr war immer noch schwindelig. Gerade als sie zum Kopfsprung ansetzte, legte sich ein starker Arm um ihre Taille und hielt sie zurück.

      »Lass mich los«, sagte sie gereizt, »sonst werde ich ungemütlich.« Sie rammte Harkan ihren Ellenbogen in die Rippen.

      Er fluchte, ließ aber nicht los. »Hast du den Verstand verloren, El? Diese Mädchen gehen dich nichts an.«

      »Sie haben sie entführt.« Sie trat heftig auf seinen Spann, wand sich aus seinem Griff und rannte zum Ende des Kais.

      Harkan folgte ihr, schnappte sie am Arm und zog sie zu sich herum. »Das tut nichts zur Sache. Es geht dich nichts an.«

      Ihr Lächeln war eiskalt. »Wann ist es je zu deinem Vorteil ausgegangen, wenn du mich zurückgehalten hast? Oh, warte …« Sie kam näher und lächelte freundlich. »Ein, zwei Gelegenheiten fallen mir doch tatsächlich ein –«

      »Hör auf, El. Was hast du mir die ganze Zeit gepredigt?« Er schaute mit seinen dunklen Augen fest in ihre. »Nicht dein Auftrag, nicht dein Problem.«

      Ihr Lächeln erstarb. Sie riss ihren Arm los. »Die Entführungen hören einfach nicht auf. Aber warum? Wer sind diese Leute? Und warum nehmen sie ausschließlich Mädchen? Und was war das für ein … für ein Gefühl? So etwas habe ich noch nie erlebt.«

      Er sah sie unsicher an. »Vielleicht brauchst du einfach Schlaf.«

      Sie zögerte, erste Zweifel kamen in ihr auf. »Hast du gar nichts gespürt?«

      »Tut mir leid, nein.«

      Trotzig starrte sie ihn an und ignorierte dieses irritierende Gefühl in ihrem Bauch. »Na gut, aber das Mädchen war keine Rebellin. Sie war noch ein Kind. Warum machen sie sich die Mühe, sie mitzunehmen?«

      »Egal welchen Grund sie haben, es ist nicht unser Problem«, wiederholte Harkan. Er atmete langsam und tief ein, wahrscheinlich um sich selbst zu überzeugen. »Zumindest nicht heute Abend. Wir haben noch etwas zu erledigen.«

      Eliana schaute lange auf den Fluss hinaus. Sie stellte sich vor, wie sie ein Gesicht in eine makellose Steinplatte ritzte – ohne Narben und unerschrocken. Mit einem seltenen unnachgiebigen Lächeln und Augen, so stechend wie Messer in der Nacht. Als sie damit fertig war, war ihre Wut verflogen und das gefühllose Gesicht zu ihrem geworden.

      Sie drehte sich zu Harkan und rang sich das leichte schnippische Lächeln ab, das er so gar nicht an ihr mochte. »Wollen wir? Diese Schweinehunde haben meinen Appetit angeregt.«

      Der Schmuggler der Roten Krone, der unter dem Namen Quill bekannt war, brachte sowohl Menschen als auch Informationen unbemerkt aus Orline heraus. Und er war gut darin – einer der Besten.

      Es dauerte Wochen, bis Eliana und Harkan ihn aufgespürt hatten.

      Jetzt kauerten sie auf einem Dach. Von hier aus hatte man einen guten Blick auf den winzigen Innenhof in der Altstadt, wo Quill ihren Informationen zufolge eine Gruppe von Rebellen-Sympathisanten treffen sollte, die aus der Stadt fliehen wollten. Im Hof roch es penetrant nach den süß duftenden Rosen, die an den Mauern emporrankten.

      Harkan neben ihr regte sich, er hatte wohl etwas gehört.

      Eliana beobachtete die dunklen Gestalten, die gerade den Hof betraten und sich unter einer Kletterrose in der Ecke zusammenkauerten. Sie warteten.

      Kurze Zeit später kam eine vermummte Gestalt durch das Eingangstor und näherte sich ihnen. Eliana schloss die Finger um ihren Dolch, ihr Herz raste.

      Die Wolken trieben weiter, der Hof lag jetzt hell im Mondlicht.

      Eliana hielt angespannt die Luft an.

      Quill. Das musste er sein. Er humpelte leicht, es war eine Verletzung, die er bei der Invasion davongetragen hatte.

      Und hier warteten eine Frau und drei kleine Kinder auf ihn.

      Harkan fluchte gedämpft. Er zeigte auf die Kinder, machte mit der Hand ein Zeichen. Er und Eliana hatten vor Jahren, als sie nach Rozens Verletzung zum ersten Mal zusammen auf Jagd gegangen waren, eine Geheimsprache entwickelt. Harkan

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