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Zorngeboren - Die Empirium-Trilogie (Bd. 1). Claire Legrand
Читать онлайн.Название Zorngeboren - Die Empirium-Trilogie (Bd. 1)
Год выпуска 0
isbn 9783038801207
Автор произведения Claire Legrand
Издательство Bookwire
»Nicht im Tempel, bitte«, mahnte Tal über den Tassenrand hinweg.
»Ich bin kein Kind mehr. Glaubst du nicht, dass ich es inzwischen besser weiß?«
Ihre Stimme bekam einen spöttischen Unterton. »›Rielle, lass uns zusammen beten, damit du dich beruhigst.‹ – ›Rielle, lass uns ein Lied über Sankt Katell die Herrliche singen, um dich abzulenken.‹ – ›Nein, Rielle, du darfst nicht zum Maskenball gehen. Du könntest dich vergessen. Du könntest dich amüsieren, Gott bewahre.‹ Wenn es nach Vater ginge, würde ich den Rest meines Lebens eingesperrt bleiben, die Nase in einem Buch oder kniend ins Gebet vertieft, und mich jedes Mal selbst kasteien, wenn versehentlich ein zorniger Gedanke in mir aufsteigt. Ist das die Art von Leben, die auch du mir wünschen würdest?«
Tal musterte sie ungerührt. »Wenn das hieße, dass du in Sicherheit bist und dass auch die anderen sicher sind? Ja, dann schon.«
»Hinter Schloss und Riegel wie eine Verbrecherin.« Ein vertrautes Gefühl der Enttäuschung wallte in ihr auf, das sie vehement zurückdrängte. Sie würde nicht die Beherrschung verlieren, nicht ausgerechnet heute.
»Weißt du eigentlich«, sagte sie in gezwungen heiterem Tonfall, »dass mein Vater mich, wenn ein Gewitter naht, immer nach unten in die Dienstbotenquartiere bringt und mir Taubwurz gibt? Davon schlafe ich ein, und dann lässt er mich eingesperrt dort zurück.«
Tal antwortete erst nach einer Pause. »Ja.«
»Ich habe mich immer gegen ihn gewehrt. Doch er hat mich niedergerungen, mich geschlagen und mir die Nase zugehalten, bis ich keine Luft mehr bekam und den Mund öffnen musste. Dann hat er mir das Fläschchen zwischen die Lippen gesteckt und mich zum Trinken gezwungen. Ich habe alles wieder ausgespuckt, doch er zwang mich weiter, den Trank herunterzuschlucken, und flüsterte mir all meine Verfehlungen ins Ohr, und während ich ihm ins Gesicht schrie, wie sehr ich ihn hasse, schlief ich ein. Und als ich wieder aufwachte, war das Gewitter vorbei.«
Eine längere Pause. »Ja«, erwiderte Tal leise. »Ich weiß.«
»Er glaubt, Gewitter provozieren mich zu sehr. Sie geben mir gewisse Gedanken ein, sagt er.«
Tal räusperte sich. »Das war meine Schuld.«
»Ich weiß.«
»Aber die Medizin war seine Idee.«
Sie warf ihm einen vernichtenden Blick zu. »Und hast du versucht, es ihm auszureden?«
Er antwortete nicht und seine geduldige Miene brachte sie zur Weißglut.
»Ich kämpfe nicht mehr gegen ihn an«, sagte sie. »Wenn ich einen Donnerschlag höre, gehe ich sofort nach unten, noch ehe er mich dazu auffordert. Wie armselig ich doch geworden bin.«
»Rielle …« Tal seufzte und schüttelte den Kopf. »Alles, was ich dir sagen könnte, habe ich schon gesagt.«
Sie ging auf ihn zu, und die Einsamkeit, die sie sonst vor ihm – und vor allen – verbarg, ließ ihr Gesicht weich erscheinen. Komm, braver Magister Belounnon. Bemitleide deine süße Rielle. Er wandte als Erster den Blick ab. Ein Anflug von Kummer huschte über sein Gesicht, und sein Kiefer verspannte sich.
Gut.
»Er würde mich mein ganzes Leben verschlafen lassen, wenn er könnte«, sagte sie.
»Er liebt dich, Rielle. Er macht sich Sorgen um dich.«
Hitze zerrte an Rielles Fingerspitzen und steigerte sich zusammen mit ihrem Groll. Plötzlich widerspenstig und wütend, ließ sie es zu. Sie wusste, dass das nicht passieren durfte, dass ein Ausbruch es für sie nur noch schwerer machen würde, sich davonzuschleichen, doch mit einem Mal war es ihr einfach egal.
Er liebt dich, Rielle.
Ein Vater, der seine Tochter liebte, machte sie nicht zur Gefangenen.
Sie griff sich eine der Kerzen von Tals Schreibtisch und beobachtete mit grimmiger Zufriedenheit, wie der Docht zu einer flackernden, unbeherrschbaren Flamme aufloderte. Vor ihrem inneren Auge sah sie ihre Wut als einen dahinströmenden Fluss, der über seine Ufer trat und die Flamme in ihren Händen nährte.
Die Flamme wuchs – zur Größe eines Stiftes, eines Dolches, eines Schwerts. Dann folgten alle anderen Kerzen, ein Wald aus lodernden Klingen.
Tal entfernte sich von seinem Schreibtisch und nahm den feinen, blanken Schild von seinem Ständer in der Ecke. Jeder Elementherrscher, der je gelebt hatte – jeder Wasserwandler und Windflüsterer, jeder Schattenwerfer und auch Tal der Feuerzeichner –, brauchte eine Urform, einen mit seinen eigenen Händen gefertigten Gegenstand, um damit Zugang zu seiner Macht zu erhalten. Zu seiner einzigartigen Macht, dem Element, das er beherrschen konnte.
Aber nicht Rielle.
Sie brauchte keine Urform, und Feuer war nicht das einzige Element, das ihr gehorchte.
Ihr gehorchten alle.
Tal stellte sich hinter sie, in der einen Hand den Schild, während die andere sanft auf ihrer lag. Als Kind, als sie noch geglaubt hatte, Tal zu lieben, hatten solche Berührungen sie beglückt.
Jetzt zog sie ernsthaft in Erwägung, ihm einen Hieb zu versetzen.
»Im Namen von Sankt Marzana der Glorreichen«, murmelte Tal, »widmen wir dieses Gebet den Flammen und hoffen, dass das Empirium unsere Bitte erhören und uns Kraft schenken möge: Leichtfüßiges Feuer, lodere nicht mit Wut oder Gier. Brenne ruhig und treu, brenne sauber und hell.«
Rielle verkniff sich barsche Worte. Wie sie das Beten hasste. Jedes der altbekannten Worte kam ihr wie ein weiterer Gitterstab des Käfigs vor, den ihr Vater und Tal für sie gebaut hatten.
Der Raum begann zu beben – das Tintenfass auf Tals Tisch, die Glasscheiben in dem offenen Fenster, Tals halb volle Teetasse.
»Rielle?«, hob Tal an und bewegte seinen Schild.
Sie spürte die Hitze in seinem Körper hinter ihr aufwallen, während er sich bereit machte, ihr Feuer mit seiner Macht zu löschen. Ohne dass sie es verhindern konnte, löste die Betroffenheit in seiner Stimme leichte Reue in ihr aus. Sie wusste, dass er es gut meinte. Er wollte unbedingt, dass sie glücklich wurde.
Im Gegensatz zu ihrem Vater.
Also beugte Rielle den Kopf und schluckte ihren Ärger hinunter. Schließlich konnten ihre Pläne Tal für immer gegen sie einnehmen. Sie würde ihm diesen kleinen Sieg gönnen.
»Lodere nicht mit Wut oder Gier«, wiederholte sie und schloss die Augen. Sie schob innerlich auch den letzten Rest an Gefühlen, jedes Geräusch, jeden Gedanken beiseite, bis ihr Geist nur noch ein weites dunkles Feld war – abgesehen von dem winzigen Lichtfleck, den die Flamme in ihren Händen bildete.
Dann ließ sie die Dunkelheit auch über diese Flamme wandern und blieb in der kühlen, stillen Leere ihres Geistes allein zurück.
Der Raum wurde ruhig.
Tals Hand fiel herab.
Rielle lauschte, als er den Schild wieder zurück auf den Ständer stellte. Das Gebet hatte sie gereinigt, und nach der Wut, die sie empfunden hatte, fühlte sie nun … nichts. Ein hohles Herz und ein leerer Kopf.
Als sie die Augen aufschlug, waren sie trocken und müde. Verbittert fragte sie sich, wie es wohl wäre, ohne den ständigen Refrain der Gebete in ihren Gedanken zu leben, die sie vor ihren eigenen Gefühlen warnten.
Die Tempelglocken läuteten elf Mal. Rielles Herz hüpfte vor Erleichterung. Jetzt würde sie jeden Moment Ludivines Signal vernehmen.
Rielle wandte sich zum Fenster. Gebete und Lesungen waren beendet. Jeder Muskel in ihrem Körper strotzte vor Energie. Sie wollte reiten.
»Ich wäre lieber tot, als die Gefangene meines Vaters zu sein«, erklärte sie schließlich. Etwas zu theatralisch, doch das kümmerte