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schlug mit dem Kopf gegen das Himmelbett der Königin und sackte benommen zu Boden. Er sah mit an, wie sein Vater sich abwandte, kurz lachte und wieder seinen Kopf umklammerte. Sah, wie sein Vater wütend fremde Worte vor sich hin murmelte, mit einer Stimme, die halb ihm und halb Corien gehörte – und wie er schließlich humpelnd zum Terrassenfenster eilte.

      Dann stürzte Garver Randell sich mit einem heiseren Schrei vom Turm der Königin.

      Simon raffte sich auf, hielt sich taumelnd an den Bettvorhängen fest, stolperte nach vorn und fiel. Mit rasenden Kopfschmerzen und nur mühsam unterdrücktem Brechreiz kroch er zur Terrasse. An der Brüstung peitschte ihm der Wind von den Bergen ins Gesicht und er wagte es nicht, hinabzusehen. Er presste seine Wange gegen den kühlen Stein und schlang seine Arme um zwei Pfosten. Irgendjemand oder irgendetwas schien schrecklich zu würgen.

      »Simon«, sagte eine Stimme hinter ihm.

      Mit einem Mal wurde ihm klar, dass er selbst es war, der da würgte.

      Er sprang auf.

      »Das ist deine Schuld«, fuhr er Königin Rielle an. »Du bringst uns alle um! Du bist ein Monster! Du bist böse!«

      Er wollte noch mehr sagen: Sie hatte jeden im Königreich Celdaria hintergangen, nein, jeden auf der ganzen Welt. Sie war die verheißene Sonnenkönigin, ihre Retterin und Beschützerin. Und dennoch war sie zur Blutkönigin geworden. Zum Königsfluch. Zur Herrin des Todes.

      Aber Simons Tränen erstickten seine Stimme. Der Wind, der über die Berghänge fegte, ließ ihn frösteln. Sein kleiner Körper schwankte, er bekam kaum Luft.

      Seine Welt wurde aus den Angeln gehoben, und er schlang ganz fest die Arme um sich und presste die Augen zusammen. Doch er wurde das Bild nicht los, wie sein Vater auf die Terrasse rannte und sich über die Brüstung stürzte.

      »Vater«, flüsterte er, »bitte, komm zurück.«

      Behutsam ließ sich die Königin ihm gegenüber auf einer Sitzbank nieder. Ihr Baby hielt sie noch immer im Arm. Sie war barfuß, die Füße voller Blut, und ihr Nachthemd war schweißgetränkt.

      »Du hast recht, weißt du«, sagte Rielle. »Ich habe es tatsächlich getan.«

      Simon war froh, dass die Königin nicht versuchte, sich zu entschuldigen. Ganz gleich, was sie sagte, nichts würde irgendetwas besser machen.

      »Ich glaube«, fuhr Rielle langsam fort, »dass er sie umbringen wird.«

      Simon schniefte und wischte sich über den Mund. Seine Zähne schlugen aufeinander. Er konnte nicht aufhören zu weinen. »Was meinst du damit?«

      Rielle drehte sich zu ihm, ihre Lippen waren aufgesprungen und rissig. Früher, erinnerte sich Simon, fand er die Königin schön.

      »Meine Tochter.« Rielles Stimme war dumpf. »Ich glaube, Corien wird sie umbringen. Zumindest wird er es versuchen.«

      »Er sollte lieber dich umbringen«, spuckte Simon ihr entgegen.

      Da musste Rielle lachen, fast hysterisch klang es, sie konnte gar nicht mehr aufhören, und Simon starrte sie wütend und verängstigt an – bis sie sich zu ihrem Kind beugte und ihre Wange an die Wange der Kleinen schmiegte. Das Baby gurrte und seufzte.

      »So hält man«, flüsterte Rielle, »sein kleines Kind.« Leise gab sie einen Klagelaut von sich. »Audric hätte sie geliebt.«

      Da verzerrte sich das Gesicht der Königin und sie schrie vor Schmerz. Sie presste ihr Baby gegen ihren Bauch, krümmte sich und rang nach Luft.

      Unter Simons Füßen bebten die Steine. Die Wände der Gemächer der Königin schoben sich nach vorn und wieder zurück, als würden sie gemeinsam mit ihr atmen.

      Rielles Haut glühte, veränderte sich, und für einen kurzen schrecklichen Augenblick dachte Simon, er könnte durch ihr Fleisch die dahinterliegenden Knochen und das Blut sehen – und sogar das noch tiefer liegende Licht. Ihre Konturen schimmerten golden, wie hingetupft, ein leuchtendes Geschöpf aus Funken und Glut.

      Dann verblasste das Licht, und Rielle war wieder schwach und menschlich.

      Simon wurde von seiner Angst fast überwältigt. »Was war das?«

      »Jetzt dauert es nicht mehr lange.« Rielle richtete ihren funkelnden Blick auf ihn, und Simon schauderte. Die Haut um ihre Augen war dunkel und dünn. »Viel länger kann ich mich nicht mehr zusammennehmen.«

      »Willst du damit sagen … dass du stirbst?«

      »Ich habe es so lange versucht«, murmelte Rielle, und dann schrie sie wieder auf und wurde ganz starr. Aus ihren Fingern schossen Lichtblitze und fuhren als leuchtender Bogen über der Stadt in die Nacht hinaus. Auf dem Terrassenboden bildeten sich verkohlte Streifen und Risse.

      Rielle sah auf, ihr Gesicht glänzte vor Schweiß. Unter ihrer Haut pulsierte in Wellen das Licht. Simon konnte seinen Blick nicht abwenden: Sie war das lieblichste und gleichzeitig das grauenhafteste Geschöpf, das er je gesehen hatte.

      »Hast du … Schmerzen?«, fragte Simon.

      Rielle lachte, eigentlich war es eher ein überraschtes Aufkeuchen. »Ich habe immer Schmerzen.«

      »Gut«, antwortete Simon und schämte sich dann doch ein wenig. Es stimmte zwar, sie war ein Monster, aber ein erschöpftes Monster mit bloßen Füßen und einem Kind, das sie liebevoll in ihren Armen hielt.

      Die Königin, hatte sein Vater immer zu ihm gesagt, wenn Simon nicht wusste, wohin mit seinem Hass, war einmal ein einfaches Mädchen. Vergiss das nicht. Vergiss sie nicht.

      Dann wurde Rielle ganz still.

      »Oh Gott«, flüsterte sie. »Er kommt.«

      Simon wich zurück, in seinen Ohren rauschte es. »Corien?«

      Rielle drückte sich an der Wand hoch, ihre Gesichtszüge, die sich ständig veränderten, waren jetzt schmerzverzerrt. »Ich darf nicht zulassen, dass er dich findet. Garver hat dich gut versteckt, aber sobald ihm klar wird, dass du jetzt hier bist und was du bist …«

      Simon berührte seinen Rücken, als könnte er die Male darauf verbergen. »Du … du weißt über uns Bescheid?«

      Über Rielles Gesicht huschte eine Regung, die Simon nicht einordnen konnte. »Eine Freundin hat es mir erzählt. Für alle Fälle … nun ja. Für den Fall, dass ich es wissen muss.«

      »Das verstehe ich nicht –«

      »Und mir bleibt keine Zeit, es dir zu erklären. Versteck dich mit ihr, halte dich von hier fern. Ich werde ihn ablenken.«

      Und schon drückte Rielle ihre Tochter in Simons Arme und eilte zurück in ihre Gemächer.

      Simon blickte erstaunt auf die Kleine. Mit ihren dunklen, ernsten Augen sah sie ihn unverwandt an, als wäre er die interessanteste Sache der Welt. Trotz seines brummenden Schädels und des schrecklich dumpfen Schmerzes in seinem Bauch schenkte Simon ihr ein kleines Lächeln.

      »Hallo«, sagte er und berührte sie an der Wange. »Ich bin Simon.«

      »Hier, nimm das.« Rielle war wieder aufgetaucht und in ihrer Hand lag eine Halskette – ein flacher goldener Anhänger, in den ein geflügeltes Pferd mit ausgebreiteten Schwingen eingraviert war. Auf dem Pferd saß eine Frau mit wehenden dunklen Haaren und einem im Triumph erhobenen Schwert. Hinter ihr verliefen fächerförmig Sonnenstrahlen.

      Seit die Kirche Rielle vor zwei Jahren zu der prophezeiten Sonnenkönigin erklärt hatte, war dieses Bild in Celdaria sehr verbreitet.

      Wie sehr sie Rielle doch alle geliebt hatten, früher einmal.

      Während die Königin die Kette in die Decke ihres Babys steckte, beobachtete Simon sie ruhig. »Tut dir leid, was du getan hast?«

      »Würde es dir besser gehen, wenn es so wäre?«

      Simon wusste es nicht.

      Die Königin küsste ihre Tochter auf die Stirn. »Dich

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