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schlachtete für gewöhnlich Kinder ab.

      Als Eliana und Harkan ihm die Kinder vorgeführt hatten, hatte Lord Arkelion freundlich gelächelt, sich die Zähne der Jüngeren genauer angeschaut und sie mit einer seiner Mätressen fortgeschickt. Die Kinder hatten ihre Hände nach ihrem Bruder ausgestreckt und auf dem ganzen Weg durch den Thronsaal geweint, bis jemand glücklicherweise die Tür geschlossen hatte.

      Doch das älteste Kind hatte nicht geweint. Und der Junge weinte auch heute nicht, nicht einmal als der Scharfrichter sein Schwert hob.

      »Das Imperium wird brennen!«, brüllte Quill, seine Haare klebten ihm schweißnass am Kopf.

      Das Schwert sauste herab und Quills Kopf rollte. Durch die Menge ging ein unruhiges Raunen.

      Erst jetzt, als sein Gesicht voller Blutspritzer war, kamen dem Jungen die Tränen.

      »El«, sagte Harkan erstickt. Er nahm Elianas Hand in seine verschwitzte und rieb mit dem Daumen über die Handfläche. Seine Stimme klang brüchig. Er hatte nicht geschlafen.

      Sie dagegen hatte wie ein Stein geschlafen. Schlaf war wichtig. Ohne erholsamen Schlaf konnte man nicht jagen.

      »Wir müssen nicht zusehen«, sagte sie so geduldig wie möglich. »Wir können auch gehen.«

      Er ließ ihre Hand los. »Geh, wenn du willst. Ich muss zusehen.«

      Da war er wieder – dieser erschöpfte Tonfall seiner Stimme, er war wie ein Hund mit traurigen Augen, der schicksalsergeben auf die nächsten Schläge wartete.

      Um ihn nicht anzublaffen, spielte Eliana mit dem abgegriffenen goldenen Anhänger unter ihrem Mantel. Sie trug ihn immer an einer Kette um den Hals und kannte jede der eingravierten Linien auswendig. Den Bogen des Pferdehalses. Die aufwendig gestalteten Flügel. Die Figur, die rittlings und mit erhobenem Schwert auf dem Pferd saß und deren Gesicht inzwischen kaum mehr zu erkennen war: Audric der Lichtbringer. Einer der toten Könige der Alten Welt, von denen ihr Bruder, warum auch immer, geradezu besessen war. Elianas Eltern hatten ihr erzählt, dass sie das Schmuckstück auf der Straße gefunden hätten, als Eliana noch ein Baby war, und dass sie es ihr eines Nachts zur Beruhigung gegeben hätten. Sie trug den Anhänger schon, solange sie denken konnte, allerdings nicht aus Liebe zum Lichtbringer. Tote Könige waren ihr vollkommen gleichgültig.

      Nein, sie trug ihn, weil das vertraute Gewicht der Halskette an manchen Tagen das Einzige war, was sie davor bewahrte, zu zerreißen.

      »Ich bleibe«, erklärte sie leichtfertig. Zu leichtfertig? Vielleicht. »Ich habe Zeit.«

      Harkan schalt sie nicht. Der Scharfrichter nahm sein Schwert. Und im letzten Augenblick hob der Junge die Hand zum Gruß. Er legte eine Faust auf sein Herz und streckte sie dann nach oben. Es war ein Zeichen der Loyalität gegenüber den Rebellen, gegenüber der Roten Krone. Sein Arm zitterte, aber er schaute unverwandt zur Sonne.

      Schließlich sprach er das Gebet an die Sonnenkönigin: »Möge das Licht der Königin mich nach Hause –«

      Das Schwert sauste nieder.

      Eliana wurde von ihren Tränen überrascht. Sie blinzelte sie fort, bevor sie ihre Wange hinabrannen. Harkan schlug sich die Hand vor den Mund.

      »Gott steh uns bei«, flüsterte er. »Was tun wir hier, El?«

      Sie nahm seine Hand und zwang ihn, sie anzusehen.

      »Überleben«, erklärte sie ihm. »Und dafür muss man sich nicht schämen.«

      Sie schluckte und dann noch einmal. Ihre Kieferknochen taten weh. Es war anstrengend, sich gelangweilt zu geben, aber der Krieg war es auch. Und wenn sie auseinanderbrach, würde Harkan erst recht zerbrechen.

      Der Lord von Orline hob eine Hand.

      Die Bürger, die dicht gedrängt dort unten auf dem Platz standen, skandierten die Worte, die Eliana wie Aasgeier ständig im Kopf herumkreisten.

      »Heil dem Imperium. Heil dem Imperium. Heil dem Imperium.«

      3 RIELLE

      »Nach der Abspaltung der Sunderlands kehrten die Sieben zum Festland zurück und fanden immer noch keine Ruhe. Ihr Volk führte schon seit Jahrzehnten Krieg, und sie sehnten sich nach einem sicheren Ort, den sie als ihr Zuhause betrachten konnten. Und so begannen die Heiligen, mit ihren Kräften in Katells Heimatland ein Paradies aus den hohen Bergen zu erschaffen. Dieser Zufluchtsort war durch hohe Gipfel geschützt und mit grünen Wäldern und Ackerland gesegnet. Er wurde Âme de la Terre getauft und zur Hauptstadt von Celdaria bestimmt. Sie erbauten die Stadt der Königin in den Ausläufern der höchsten Berge und umgaben sie mit einem kristallklaren See, der aussah, als hätte man ihn aus dem blanken Himmel ausgeschnitten.«

      Eine kurze Geschichte des Zweiten Zeitalters, Band I: Die Nachwirkungen der Engelskriege von Daniel Riveret und Jeannette d’Archambeau aus der Ersten Gelehrtengilde

      An der Startlinie herrschte Chaos.

      Einige Reiter traten im Namen der Kirchentempel an. Die vom Tempel des Feuers, von Tals Tempel, trugen Scharlachrot und Gold. Schwarz und Tiefblau stand für das Haus der Nacht, den Tempel der Schattenwerfer und Tals Schwester Sloane. Und die Reiter der Burg, vom Tempel der Erderschütterer, waren in Umbra und Hellgrün gekleidet.

      Auch die großen Häuser Celdarias hatten ihre Vertreter geschickt. Rielle passierte Reiter in Violett und Salbeigrün für das Haus Riveret und rotbraune und stahlgraue Reiter für das Haus Sauvillier. Manche kamen sogar aus den weit entfernten Königreichen Ventera und Astavar, die jenseits des Großen Ozeans lagen.

      Viele Reiter waren wie Rielle von Kaufleuten engagiert worden, die auf das Preisgeld erpicht waren – doch keiner von ihnen war so reich wie Rielles Gönner Odo Laroche.

      Und keiner genoss wie sie das Privileg, mit den besten Rittmeistern des Königs trainieren zu dürfen, seit sie alt genug war, um im Sattel zu sitzen.

      Schmunzelnd führte Rielle ihre Stute am Gewirr der auf Stelzen gebauten Zuschauerlogen vorüber. Ihr klangen die Ohren von dem Lärm – Wettlustige, die ihre Einsätze brüllten, Kinder, die durch die Menge flitzten und vor Freude kreischten. Der Rauch von den Marktständen, wo es Brote mit Schweinebraten und schwarz verbrannte Geflügelspieße gab, brannte ihr in den Augen.

      Endlich erreichte sie das für Odos Reiter reservierte Zelt. Das Kleid, das sie trug, war eines ihrer liebsten – waldgrün wie ihre Augen, mit glitzernden Rebenmustern am Saum und einem tiefen Ausschnitt, der ihre Schlüsselbeine offenbarte. Doch in dieser Mittagssonne hätte sie es sich am liebsten vom Leib gerissen. Sie ließ ihr Pferd bei den bezahlten Schwertträgern, die den Eingang bewachten, schlüpfte zum Umziehen hinein – und erstarrte.

      Audric war bereits da, bekleidet nur mit Reithosen und Stiefeln. Sein feiner smaragdgrüner Rock und seine bestickte Jacke hingen ordentlich an einem Stuhlrücken. In den Händen hielt er ein schlichtes Reithemd aus Leinen.

      Er grinste sie an. »Du hast dir ja reichlich Zeit gelassen«, sagte er und warf ihr eines ihrer Hemden zu.

      Sie fing es gerade noch auf. »Der Andrang ist größer, als ich erwartet hätte«, erwiderte sie. Ihre Kehle war auf einmal trocken und es erstaunte sie, dass sie überhaupt ein Wort herausbrachte.

      Es war lange her, dass sie den Prinzen ihres Königreichs so leicht bekleidet gesehen hatte.

      In ihrer gemeinsamen Kindheit hatte es überhaupt nichts bedeutet. Sie hatte stundenlang mit ihm und Ludivine in den Gärten hinter dem Schloss gespielt. Sie waren zusammen im See vor der Stadt geschwommen und hatten im Tempel der Bäder am Gottesdienst teilgenommen.

      Doch das war früher gewesen.

      Vor Audrics und Ludivines Verlobung, einem Abkommen, dass die Häuser Courverie und Sauvillier noch enger miteinander verband. Bevor Audric sich von ihrem schüchternen, schlaksigen Freund in Prinz Audric den Lichtbringer verwandelt hatte, den mächtigsten Sonnenbändiger der letzten Jahrhunderte.

      Bevor Rielle begriffen hatte, dass sie Audric liebte. Und

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