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fuhr der Wolf fort, »und du wirst wahrscheinlich windelweich geprügelt, weil ich dir durch die Lappen gegangen bin. Du kannst also mit mir kommen oder es bleiben lassen, fangen wirst du mich jedenfalls nicht.« Ein kurzes Lächeln. »Du willst doch deine Mutter wiederfinden, nicht wahr? Wäre es nicht klüger, wenn dir jemand dabei hilft?«

      Ihre Gedanken überschlugen sich. »Ach, du meine Güte, was für eine Nacht. Da braucht der berühmte Wolf doch tatsächlich die Hilfe von einem Mädchen –«

      »Meine Mission startet morgen Abend. Sind wir im Geschäft oder nicht?«

      »Morgen hat seine Lordschaft Namenstag. Im Palast wird gefeiert.«

      »Was für ein glücklicher Zufall.«

      Sie sah ihn skeptisch an. »Nur morgen Abend?«

      »Nein. Unsere Mission dauert länger.«

      »Wie viel länger?«

      »Das kann ich nicht sagen.«

      »Oder willst du es nicht?«

      »Das sind meine Bedingungen. Nimmst du sie an?«

      Ihre Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Sie brachte ein scheinbar unbefangenes, höhnisches Lächeln zustande. »Warum ich?«

      »Du kennst den Palast. Mit dir komme ich leichter hinein.«

      »Und danach? Warum soll ich mitkommen?«

      »Weil es dann schnell gehen muss und ich eine Mörderin an meiner Seite brauche. Jemanden, der so gut ist wie ich.«

      »Oder besser.«

      »Sagt eine, die gefesselt am Boden liegt.«

      »Du hattest eine Pistole. Sonst hätte ich dich geschlagen.«

      »Vielleicht.«

      »Muss ja eine ziemlich wichtige Mission sein«, sagte sie spöttisch, »und trotzdem würdest du es darauf ankommen lassen und mir vertrauen.«

      »Ich setze darauf, dass du deine Mutter retten willst«, antwortete er.

      Der Wolf hatte ihren wunden Punkt entdeckt. Und seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, wusste er das auch.

      »Und wenn ich mich nicht darauf einlasse?«

      »Dann verschwinde ich von hier und werde dich nicht mehr behelligen, und du kannst deinem sogenannten Leben einfach weiter nachgehen. Außer natürlich sie töten dich, weil du mich nicht gefasst hast.«

      Eliana schwieg, sie war gespannt, was er jetzt tun würde.

      Nach einer Weile band er ihre Handgelenke los, warf die Fesseln weg und stellte sich hin. »Nun?«

      Sie überlegte, wie lange sie dafür brauchen würde, ihn so zu treten, dass er stolperte, sich seinen Revolver zu schnappen und zu schießen. Eine Pistole hatte sie noch nie benutzt – sie waren selten, teuer, und sie hatte sich verboten, Geld dafür auszugeben –, aber sie würde schon damit umgehen können.

      Fünf Sekunden. Vielleicht sechs.

      Sie könnte es schaffen. Sie stand auf.

      Und dann sah sie Harkan.

      Er kam aus der Küche, verschmolz mit der Dunkelheit und hatte seinen Lieblingsdolch in der Hand. Hinter ihm stand Remy und schaute gespannt zu.

      Harkans Blick fand ihren, hielt ihn fest. Ich hab dich.

      »Ich werde dir helfen«, sagte sie langsam zum Wolf, »aber nur wenn ich meinen Bruder mitnehmen kann.«

      Remy bekam ganz große Augen.

      »Den kleinen Bäckerjungen?« Der Wolf runzelte die Stirn. »Das ist nicht dein Ernst.«

      Eliana verzog keine Miene. Was wusste er noch alles über sie?

      »Ich nehme an, wir stehlen etwas aus dem Palast, was wir dann irgendwo abliefern. Irgendetwas für den Geheimdienst? Ganz egal, wohin wir es danach bringen, Remy kommt mit. Du wirst ihm eine sichere Überfahrt nach Astavar besorgen und nichts unternehmen, was ihm schadet. Sonst kommen wir nicht ins Geschäft.«

      Er funkelte sie an. »Das habe ich so nicht angeboten.«

      »Ja oder nein, Wolf.«

      Er legte den Kopf zurück. In seinen Augen spiegelte sich das Mondlicht, was ihn wie eine Figur aus einer von Remys ausgefalleneren Geschichten erscheinen ließ – ein Wesen der Nacht, erschaffen aus Geheimnissen und mit scharfen Kanten. Ein Monster des Imperiums, das die Sonnenkönigin töten würde. »So nennen mich nur die Leute, die Angst vor mir haben. Und du hast keine Angst vor mir. Oder doch?«

      Harkan schlich vorsichtig durch die Dunkelheit zu ihnen – ein Schritt, zwei Schritte.

      »Nicht im Geringsten«, log sie. »Aber wie soll ich dich dann nennen?«

      Er neigte den Kopf. »Du kannst mich Simon nennen.«

      »In Ordnung. Simon. Eine Sache noch: Mein Freund Harkan wird auch mit uns kommen.«

      Hinter Simon hob Harkan den Dolch, er war bereit.

      Eliana spreizte ihre Finger.

      Simons Lippen wurden schmal, das einzige Warnzeichen. Eine Drehung, ein Stoß, und schon lag Harkan auf dem Rücken, Simon hatte ihm die Waffe abgenommen und drückte mit dem Stiefel auf Harkans Hals.

      »Er?«, fragte Simon und zeigte mit dem Dolch auf Harkan. In dem Blick, den er Eliana dabei zuwarf, lag tiefste Abscheu. »Dein Liebhaber?«

      Eliana grinste Simon an. »Schon eifersüchtig? Lass ihn los.«

      »El«, krächzte Harkan, der fast keine Luft bekam, »wir dürfen ihm nicht trauen.«

      »Stimmt«, sagte sie. »Aber er uns auch nicht.« Auffordernd streckte sie ihre Hand nach Tuora aus. »Gib ihn frei, oder wir kommen nicht zusammen.«

      Simon zögerte, reichte ihr schließlich Tuora und wich einen Schritt zurück.

      Eliana schob den Dolch in das Halfter an ihrem Gürtel, kniete sich neben Harkan und half ihm, sich aufzurichten. »Erzähl mir mehr von dieser Mission, Wolf.«

      »Auskünfte nur, so weit du sie brauchst, kleiner Fluch«, sagte Simon. »Mach bis dahin einfach, was ich sage, und ich helfe dir dafür, deine Mutter zu finden. Darauf hast du mein Wort.«

      »Das Wort eines Rebellen zählt nicht viel.«

      »Und wie sieht es mit dem Wort eines Mordkumpanen aus?« Er zog seine Handschuhe aus und streckte ihr die Hand entgegen. »Sind wir uns einig?«

      Eliana zögerte. Wenn sie sein Angebot annahm, war ihr Leben hier verwirkt. Mit Abtrünnigen ging Lord Arkelion nicht gerade zimperlich um, und Rahzavel würde nicht zulassen, dass sie sich einfach aus dem Staub machte. Wenn sie sich darauf einließ, brachte sie nicht nur sich selbst in Gefahr, sondern auch Remy und Harkan.

      Aber wenn es irgendjemanden gab, der helfen konnte, ihre Mutter zu finden und sie alle unbehelligt nach Astavar und in Sicherheit zu bringen, dann war das der Wolf, der sämtliche Anhänger der Roten Krone – genau die Leute, die sie so lange verfolgt hatte – hinter sich hatte.

      Wenn sie es richtig anstellte, könnte sie Harkan und Remy noch ein paar Jahre vor dem Zugriff des Imperiums bewahren. Sie könnte dem Invictus entgehen, bei ihren Lieben bleiben, ihre Mutter finden und sie alle beschützen.

      Sie suchte in Simons Augen nach einem Anzeichen von Heuchelei, fand aber nur kühle Gleichgültigkeit.

      »Lass dich nicht darauf ein, Eliana«, krächzte Harkan und funkelte Simon an. »Wir finden Rozen auch anders.«

      Aber es gab kein anders. Eliana blieb stehen und schlug ein.

      »Wir sind uns einig«, sagte sie und versuchte, nicht darauf zu achten, dass sie unter Simons Berührung fröstelte – es war ein Gefühl, wie wenn sie aus dem Verborgenen beobachtet wurde oder der flirrenden Energie eines Unwetters ausgesetzt war, vor dem

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