Скачать книгу

»Es fühlte sich genauso an wie meine Wut. Der gleiche Geruch, der gleiche Geschmack. Ich fühlte mich damit verbunden.« Sie zögerte. »Großmagister Belounnon hat mir seitdem geholfen zu verstehen, dass das, was ich damals gespürt habe, das Empirium war. Die Verbindung zwischen mir und dem Feuer war die Kraft, die alle Dinge miteinander verbindet, und ich hatte Zugang dazu.«

      Rielle riskierte einen Blick auf den Archon, der neben dem Richterrat saß. Er starrte sie ungerührt an, ohne mit seinen kleinen, hellen Augen zu blinzeln. Das Licht der Fackeln ließ sein bleiches Gesicht und seinen glatten Schädel glänzen.

      »Und konnte deine Mutter entkommen?«, fuhr der König fort.

      Rielle schnürte es die Kehle zu, und einen Moment lang konnte sie nicht sprechen. »Nein. Sie saß im Haus in der Falle. Mein Vater rannte hinein, um sie herauszuholen. Sie war noch am Leben, doch dann …«

      Sag es, Kind. Die Stimme kehrte zurück, voller Mitgefühl. Sag es ihnen. Sie können dir nichts tun.

      Angesichts der steinernen Heiligen, die auf sie herabstarrten, die gefühllosen Augen kalt und ernst, hätte die fremde Stimme kein Trost sein dürfen. Trotzdem beruhigte es ihren aufgewühlten Magen, sie zu hören.

      »Ich hatte Angst«, fuhr sie fort, »als ich meine Mutter sah. Ich hatte nie zuvor Verbrennungen gesehen. Sie hat geschrien und ich habe sie angebrüllt, sie soll aufhören, doch sie hat nicht aufgehört, und dann … konnte ich nur noch daran denken, dass ich sie unbedingt dazu bringen muss, mit dem Schreien aufzuhören.« Rielle hetzte durch die Geschichte, als wollte sie die Erinnerung an diese lodernden Flammen hinter sich lassen. »Dann hat sie aufgehört. Mein Vater hat sie auf die Erde gelegt und sie angebrüllt, dass sie aufwachen soll. Aber sie war tot.«

      Bewegung kam in die Zuschauer, es wurde getuschelt.

      »Und du hast diesen Mord dreizehn Jahre lang vor uns geheim gehalten«, sagte König Bastien.

      »Es war kein Mord«, widersprach Rielle, sie sehnte sich danach, zu sitzen. Ihr Körper war noch wund von den Kämpfen in den Bergen. »Ich wollte meine Mutter nicht töten. Ich war ein Kind und es war ein Unfall.«

      »Wir beschäftigen uns hier mit Fakten, nicht mit Absichten. Fakt ist, dass du Marise Dardenne getötet hast und dass du – mit der Hilfe deines Vaters und von Großmagister Belounnon – dreizehn Jahre lang in dieser Sache gelogen hast.«

      »Wenn mich jemand gefragt hätte, ob ich meine Mutter getötet habe, und ich es geleugnet hätte«, erwiderte Rielle und sah dem König direkt in die Augen, »dann wäre das eine Lüge gewesen, Eure Majestät. Ein Geheimnis zu wahren ist nicht lügen.«

      »Lady Rielle, Spitzfindigkeiten interessieren mich nicht. Du hast verheimlicht, welchen Schaden du anrichten kannst, während du an meinem Tisch gegessen hast und während du mit meinem Sohn und meiner Nichte zur Schule gegangen bist, und hast damit sie und alle anderen um dich herum in Gefahr gebracht. Manche würden eine derartige Täuschung auch als Verrat bezeichnen.«

      Verrat. Rielle hielt den Blick auf König Bastien gerichtet und presste die Hände an ihre Schenkel. Falls er ihr Angst hatte einjagen wollen, war ihm das gelungen.

      »Und am Tag des Pferderennens«, sagte der König, »hast du nicht nur ein Feuer entfacht, als du diese Männer attackiert hast –«

      Zorn wallte in ihr auf. Wenn sie des Verrats für schuldig befunden wurde, dann konnte sie sich diese Strafe genauso gut verdienen. »Als ich Prinz Audric das Leben gerettet habe, meinen Sie.«

      Lauteres Murmeln ertönte von der Galerie, doch König Bastien neigte nur den Kopf. Rielle wusste, das war der einzige Dank, den sie dafür bekommen würde, doch es genügte, um ihr ein wenig Mut zu machen.

      »Als du diese Männer attackiert hast«, fuhr der König fort, »hast du nicht nur ein Feuer entfacht. Du hast den Erdboden entzweigerissen. Du hast Felsplatten aus den Bergen geschnitten. Einer der überlebenden Reiter hat beschrieben, wie du Sonnenlicht aus der Luft gesammelt hast, einzig und allein mit deinen Händen. Eine andere Reiterin behauptet, du hättest die Attentäter von ihren Pferden geworfen, ohne dass sie irgendwelche Hilfsmittel hätte entdecken können. Obwohl die Attentäter selbst Elementherrscher waren, hast du sie mühelos überwältigt.« Der König sah von seinen Notizen auf. »Stimmt das mit deinen eigenen Erinnerungen überein?«

      Dann wussten sie also, was sie getan hatte, und dass sie nicht nur eine einfache Elementherrscherin war. Ihr schmerzte der Kiefer, so fest biss sie die Zähne zusammen. »Ja, Eure Majestät.«

      »Dann bist du also nicht nur eine Feuerzeichnerin, sondern auch eine Erderschütterin, eine Sonnenbändigerin und vielleicht auch noch anderes. Ich glaube, du wirst unsere Besorgnis verstehen, wenn wir uns vor Augen führen, was das bedeutet. Kein Mensch, der je gelebt hat, war imstande, mehr als ein Element zu kontrollieren. Nicht einmal die Heiligen.«

      Ein winziger Funken Stolz flammte in Rielle auf.

      »Lady Rielle«, fuhr er fort, »wenn du bei diesem Rennen in der Nähe eines Gewässers gewesen wärst, hättest du es dann zum Überlaufen gebracht?«

      »Es ist unmöglich zu sagen, ob ich das getan hätte oder nicht, Eure Majestät.«

      »Hättest du es tun können?«

      Eine Überschwemmung. Der jahrelange Unterricht bei Tal hatte ihr nur Ansätze einer solchen Macht gezeigt, und obwohl sie bei Wasser nie so stark gewesen war wie bei Feuer –

      Du weißt, dass du es könntest, murmelte die Stimme. Du könntest die ganze Welt überfluten. Diese Macht schlummert unter deiner Haut. Nicht wahr?

      Eine verhaltene Freude überkam sie. Wer bist du?, fragte sie die Stimme.

      Sie antwortete nicht.

      Rielle reckte das Kinn. »Ja, ich glaube, das hätte ich tun können.«

      Eine andere Stimme meldete sich. »Hat es dir gefallen?«

      Es war eine so absolut scharfsinnige und schreckliche Frage, dass Rielle nicht sofort antwortete. Sie entdeckte den Fragenden – enorm gut aussehend, blond und mit einem elegant geformten Unterkiefer. Lord Dervin Sauvillier. Der Bruder der Königin und Ludivines Vater.

      Neben ihm saß, souverän und mit klarem Blick, Ludivine in ihrem zartrosa Kleid, mit Spitzen am Ärmelsaum.

      »Lord Sauvillier«, sagte der König streng, »auch wenn ich Ihr Interesse an diesen Ereignissen zu schätzen weiß, habe ich Ihnen nicht die Erlaubnis erteilt zu sprechen.«

      Königin Genoveve – mit ihrem rotbraunen Haar und ebenso blass wie ihre Nichte Ludivine – berührte ihren Mann am Arm. »Es ist aber eine vernünftige Frage, wenn wir entscheiden sollen, wie wir am besten weiter verfahren.«

      Rielle sah die Königin an und wurde mit einem milden Lächeln belohnt, das sie an Ludivine erinnerte – eine Ludivine, die nicht zusammen mit Audric in den riesigen, sonnendurchfluteten Gemächern von Baingarde aufgewachsen war, sondern in den kalten Fluren von Belbrion, dem Stammsitz des Hauses Sauvillier, der in den Bergen lag.

      Königin Genoveves Blick wanderte über Rielle und entfernte sich dann wieder von ihr.

      »Ich weiß nicht«, erwiderte Rielle, »ob ich Lord Sauvilliers Frage ganz verstehe.«

      Ludivines Vater sah den König mit respektvoll erhobener Augenbraue an. Der König nickte einmal.

      »Nun gut, Lady Rielle«, sagte Dervin Sauvillier, »wenn du mir meine Direktheit verzeihst, dann wüsste ich gern, ob dir das, was du auf der Rennstrecke getan hast, Vergnügen bereitet hat. Ob es dir Vergnügen bereitet hat, die Attentäter zu verletzen.« Er machte eine Pause. »Und deine Mutter zu verletzen.«

      »Ob es mir Vergnügen bereitet hat?«, wiederholte Rielle, um Zeit zu schinden.

      Natürlich hatte es ihr Vergnügen bereitet. Nicht die Schmerzen, die sie verursacht hatte, und nicht der Tod ihrer armen Mutter.

      Doch die Erleichterung, die sie dabei empfunden hatte … Danach sehnte sie

Скачать книгу