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Zorngeboren - Die Empirium-Trilogie (Bd. 1). Claire Legrand
Читать онлайн.Название Zorngeboren - Die Empirium-Trilogie (Bd. 1)
Год выпуска 0
isbn 9783038801207
Автор произведения Claire Legrand
Издательство Bookwire
Das Buch der Heiligen
Die Halle der Heiligen war der größte und heiligste Raum auf Baingarde. Weiße Steinsäulen trugen hohe Gewölbedecken mit Schmuckbändern, die mit aufwendigen Reliefs von Sonnen und Monden, Bäumen und Flammen versehen waren. An der Decke prangte eine Landkarte der Welt von Avitas: Celdaria und die anderen vier Nationen des riesigen östlichen Kontinents. Nördlich von Celdaria lagen die Sunderlands und die Pforte. Und auf der anderen Seite des Großen Ozeans befanden sich die westlichen Königreiche Ventera, Astavar und Meridian.
Auf einem großen weißen Marmorpodium ganz vorn im Raum stand die Bank des Hohen Gerichts: prächtige Stühle mit hohen Lehnen für den König und die Königin; ein üppig verzierter breiter Sessel für den Archon, den Kirchenfürsten; und eine Tribüne mit mehreren Sitzreihen, die groß genug war für die Angehörigen sämtlicher Tempel und des königlichen Rats.
Über dem Podium thronte Sankt Katell, die Schutzheilige von Celdaria und allen Sonnenbändigern der Welt. Mit ihrem rechten Arm hielt sie das Schwert, ihre Urform, in die Höhe, das jetzt irgendwo in Celdaria verborgen lag.
Mit der anderen Hand umfasste Katell ein Büschel zerzauster steinerner Federn. Engel, winzig und erbärmlich, die Gesichter schmerzverzerrt, krochen an den Beinen ihrer weißen Stute empor und flehten vergeblich um Gnade.
Um ihren Kopf schwebte ein Heiligenschein aus Licht, vergoldet, makellos und auf Hochglanz poliert.
Sankt Katell die Herrliche – eine Sonnenbändigerin und nach den Engelskriegen auch eine Königin. Die Celdaria einte. Von einem Engel geliebt, aber stark genug, um der Versuchung des Feindes zu widerstehen.
Und in den tausend Jahren danach hatten stets Nachkommen aus ihrer Linie auf dem Thron gesessen.
Die anderen sechs Heiligen säumten den weiten Saal, drei auf jeder Seite. Gigantisch und ernst, aus Stein und Bronze, trug jeder von ihnen seine persönliche Urform bei sich und wurde von einem Element begleitet: Sankt Nerida, Wasserwandlerin und Schutzheilige von Meridian, schwang ihren Dreizack, während hinter ihr die Wellen aufwogten und sich zu ihren nackten Füßen ihre Krake zusammenrollte. Sankt Grimvald, Metallmeister und Schutzheiliger von Borsvall, bahnte sich, seinen Hammer in der Hand, auf dem Rücken eines Drachen den Weg durch einen Sturm aus Eisensplittern.
Und Sankt Katell ritt auf ihrer strahlend weißen Stute.
Zwanzig bewaffnete Wachleute standen am Fuß des Podiums und musterten Rielle. Es waren die Männer und Frauen ihres Vaters, Menschen, die sie mit Namen kannte. Sie spürte ihre Blicke auf sich – betroffen, neugierig. Furchtsam.
Sie haben allen Grund, sich zu fürchten, kam die Stimme, ohne Warnung. Aber du nicht.
Rielle erstarrte. In dieser Umgebung war es unmöglich, die Stimme zu hören, ohne sich an die Wahrheit zu erinnern: Gedankensprache war einst den Engeln zu eigen gewesen.
Als sie daran dachte, bekam sie eine Gänsehaut. So viele Leute starrten sie an, dass sie kaum still stehen konnte. Ihr Vater war umgeben von einem Trupp bewaffneter Wachen. Königin Genoveve, König Bastien, Ludivine. Der Archon, gleichmütig in seiner Robe. Die Räte – nur Tal war eine auffallende und beunruhigende Ausnahme.
Und Audric.
Er saß neben seinen Eltern, auf der Stuhlkante, als wäre er bereit, sich im schlimmsten Fall vom Podium zu stürzen. Als Rielles Blick seinem begegnete, warf er ihr ein kurzes Lächeln zu, das vor Sorge etwas dünn ausfiel.
Rielle entspannte sich ein wenig.
Audric ist hier, sagte sie sich. Er wird nicht zulassen, dass sie mir etwas antun.
Sie erspähte den König über ihm. Sein Gesichtsausdruck ließ ihn besorgter wirken, als sie ihn je erlebt hatte. König Bastien war bekannt für seine gute Laune. Von Kindesbeinen an war Rielle an den Klang seines Lachens gewöhnt, das durch die Flure Baingardes schallte, und sie hatte vor Freude gekreischt, wenn er beim Fangenspielen in ihrem Zimmer unzählige Male hinter ihr, Audric und Ludivine hergejagt war.
Von diesem Mann war heute keine Spur mehr zu sehen.
Rielle unterdrückte das Bedürfnis, sich den Schweiß abzuwischen, der sich an ihrem Haaransatz sammelte. Sie machte einen tiefen Knicks, sodass sich ihre Röcke auf dem blitzsauberen Boden bauschten.
»Eure Majestät.«
»Lady Rielle Dardenne«, begann König Bastien, »du wurdest heute hierhergebracht, um Fragen über den Vorfall zu beantworten, der sich vor zwei Tagen beim Boon-Chase-Rennen zugetragen hat. Ich werde dir eine Reihe von Fragen stellen, und du wirst sie im Angesicht der Heiligen wahrheitsgemäß beantworten.«
»Natürlich, mein König.« Der riesige Raum verschluckte Rielles Stimme.
König Bastien nickte und hielt inne. Die Silberfäden in seinem schwarzen Bart und die Lachfältchen in seinem braunen Gesicht ließen ihn älter wirken, als Rielle ihn je empfunden hatte.
Sein Blick wurde hart. Rielle widerstand dem Drang, vor der neuen, gefährlichen Spannung im Raum einen Schritt zurückzuweichen.
»Wie lange«, fragte er mit kühler und sachlicher Stimme, »weißt du schon, dass du Macht über die Elemente besitzt?«
Irgendwie hatte Rielle gedacht, es würde etwas weniger direkt beginnen. Mit einer Frage oder zwei oder fünf, die ihr Zeit geben würden, ihre Stimme zu finden.
Aber wenigstens, dachte sie, glaubten sie, dass sie nur eine Elementherrscherin war und nicht – was auch immer sie in Wirklichkeit war. Vielleicht würde ihre Strafe – und die von Tal und ihrem Vater – dadurch nicht so streng ausfallen, wie sie befürchtet hatte.
Die Worte der Prophezeiung gingen ihr durch den Kopf. Sie werden die Macht der Sieben besitzen.
»Seit ich fünf Jahre alt war«, antwortete sie.
»Und wie bist du zu diesem Schluss gekommen?«
Er fragte das so beiläufig, als wüssten sie die Antwort nicht längst.
Ein Stuhl knarrte, als jemand das Gewicht verlagerte. Rielle sah hinüber und erkannte Tals Schwester Sloane Belounnon, die mit dem übrigen Richterrat rund um den Archon saß. Sie verharrte starr auf ihrem Stuhl und ihr dunkles, kinnlanges Haar wirkte wie ihr fahler Teint ungewohnt streng. Sie sah aus, als hätte sie nicht geschlafen.
Wie musste Sloane sich fühlen, nachdem sie erfahren hatte, dass ihr Bruder ihr ein solches Geheimnis vorenthalten hatte?
»Als ich … als ich fünf Jahre alt war«, fuhr Rielle fort, »habe ich unser Haus in Brand gesteckt.«
»Wie?«
»Ich war wütend. Meine Mutter und ich hatten uns gestritten.«
»Worüber?«
Es klang lächerlich, furchtbar belanglos. »Ich wollte nicht schlafen gehen. Ich wollte mit Vater aufbleiben und lesen.«
»Deshalb«, sagte der König gelassen, »hast du euer Haus in Brand gesteckt.«
»Es war ein Unfall. Ich war wütend und die Wut hat sich gesteigert, bis ich sie nicht mehr beherrschen konnte. Ich bin hinausgerannt, weil mir das Gefühl Angst gemacht hat. Es hat sich angefühlt, als würde etwas in mir brennen. Und dann … als ich mich umwandte«, sagte sie, während die Erinnerung von ihr Besitz ergriff, »sah ich, wie das Feuer unser Haus erfasste. Im einen Moment war es noch nicht da und im nächsten plötzlich schon.«
»Und du hattest es ausgelöst.«
»Ja.«
»Woher wusstest du das?«
Woher wusste man, wenn man die eigene Hand sich bewegen sah, dass sie am eigenen Arm befestigt war, an der eigenen