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irgendwo herum mit Hammer und Nägeln und mit alten Brettern. Zum Beispiel machte er einen Taubenschlag auf das Dach und setzte Tauben hinein. Er mußte ihn aber bald wieder wegtun, weil die Tauben keinen rechten Respekt vor der weißen Wäsche im Garten hatten. Sie machten sie ohne alles Verständnis schmutzig, und da war nicht zu helfen, sie mußten wieder fort. Da tröstete er sich und verfertigte ein Stockbrett für das Küchenfenster, darauf setzte er ein Zigarrenkistchen mit Schnittlauch und eins mit Monatrettichen. Das heißt, er steckte die Rettichkerne hinein und wartete täglich darauf, daß sie treiben sollten. Sie trieben auch, aber bis zu richtigen Knollen brachten sie es nicht. Es blieben kraftlose Schwänzchen. Da mußte er sich viel gutmütigen Spott von seiner Frau gefallen lassen, und um sich in Respekt zu setzen, machte er nun ein Blumenbrettchen ans Wohnstubenfenster. Denn sie konnten in ihrem Vorgärtchen nichts ziehen, sie brauchten den Platz für die Wäsche.

      Da konnte sie nun nichts mehr sagen, außer darüber, daß er sich mit der grünen Farbe ganz eingeseift hatte an Rock und Hosen. Sie schluckte es aber und nannte ihn zärtlich „Meister Hämmerlein“. Aber er wußte nicht sicher, ob es nicht doch ein bißchen spöttisch gemeint sei. Denn sie verbarg ihre Liebe zu ihm gern unter ihrer Neckerei, wenigstens vor den Leuten. Er war fast einen Kopf kleiner als sie. „Aber darum muß ich doch an ihm hinaufsehen,“ sagte sie, „er ist gerade um einen Kopf klüger als ich.“ Das mußte ich ohne weiteres zugeben. Denn sie machte Schreibfehler, das hatte ich schon gesehen, und sie wußte nicht einmal, wo der Neckar entspringt. „Ich habe es natürlich einmal gewußt,“ sagte sie, „aber ich habe es wieder vergessen.“ Es schien ihr nicht viel auszumachen. „Mein Bub kann es einmal lernen. Ich habe sonst so viel um die Ohren, ich kann mich nicht auch noch um die Geographie bekümmern.“

      Aber einmal nahm Friedrich Meister sie mit auf einen Ausflug an den Bodensee. Er hatte dort droben einen Bruder verheiratet, der ein Landwirt war und ein kleines, eigenes Gütchen hatte.

      Davon kam sie am Abend des dritten Tages ganz erregt zurück.

      Mir brachte sie einen großen gebackenen Hasen mit aus Kuchenteig und sagte: das sei ein Seehas. Das sei eine ganz besondere Sorte, die gebe es bei uns nicht. Und der See sei so groß, nicht zu sagen, und so tief, sie habe sagen hören, man könne einen Kirchturm hineinstellen, ohne daß er oben heraussehe. Wenn man mitten auf dem See sei, so kommen am anderen Ufer die Schweizer Berge heraus, man möchte nur vollends hinüber, so verlange es einen darnach, wie sie so dastehen und leuchten. So schön gebe es bei uns nichts, das sei aus und vorbei. Ich mußte sie immer ansehen, wie sie im währenden Erzählen geschäftig hin und her ging, die Reisekleider ausstäubte und verschloß, ihr Bübchen besorgte und ihre langen, prachtvollen Zöpfe losband, daß sie ihr über den Rücken hinunterhingen, und wie ihr Gesicht dabei hell, klug und durchsonnt aussah, wie eine Landschaft, in die auf einmal neues Leben gekommen ist, etwa durch einen Maienregen oder durch einen unverhofften Sonnenblick. Ihr Mann saß neben mir auf der Bank am Fenster, folgte ihr mit den Augen und sah glücklich drein. „Guck,“ sagte Lotte plötzlich zu mir, „das kann ich jetzt behalten. Von dem, was ich gesehen habe, da vergesse ich nichts, das ist mir alles in den Kopf hineingebrannt oder ins Herz meinetwegen. Das kann ich meinem Buben noch erzählen, wenn er groß ist. Das andere, was nur so in den Büchern steht, das ist nichts für mich. Zum Beispiel Schwenningen oder Tuttlingen, das ist gar nichts. Da kann ich mir nichts Besonderes denken. Aber Friedrichshafen, das hat ein Schloß mit zwei Türmen, die sehen zwischen grünen Bäumen heraus und spiegeln sich im See, und auf der Bahnhofsterrasse haben wir einen Schoppen Seewein getrunken und verschiedene Schiffe ankommen sehen. Das ist etwas Lebendiges.“

      „So werde ich dir eben nach und nach das ganze Vaterländchen zeigen müssen,“ sagte Friedrich Meister behaglich lächelnd. „Ich habe eine gescheite Frau, die will die Welt selber sehen, vom Hörensagen glaubt sie nichts.“

      Damals stieg Lotte gewaltig im Respekt bei mir.

      Dumm war sie freilich nicht, wenn sie alles selber sehen wollte. „So könnte jeder kommen,“ dachte ich. Aber es gefiel mir, daß sie so anspruchsvoll war und schien mir Beweis einer Besonderheit zu sein, die Lotte ja auch in anderen Dingen an sich hatte. Die Reisen durch das Vaterländchen hin und her wurden aber nicht getan. Sondern das Leben zeigte ihr seine Reichtümer und Weisheiten auf andere Weise, und es gab vieles dabei in den Kopf und ins Herz zu fassen, das man gleichfalls nicht aus Büchern und vom Hörensagen kennen lernt.

      Als ihr Bübchen seine ersten Schritte machte, lag wieder eins in der Wiege, und als das heraus war, folgte ihm ein Schwesterlein. Und die Mutter wurde immer schöner, stattlicher, fleißiger und fröhlicher dabei.

      Aber als sie das Kleeblatt beisammen hatte, da kam eines Tages Friedrich Meister mitten im Vormittag nach Hause und legte sich ins Bett mit einer schweren Fieberkrankheit, und als er es verließ, da war es nur, um es mit einem andern draußen auf dem Friedhof zu vertauschen. Da war sie eine Witwe geworden und stand in einem schwarzen Kleid am Bügelbrett. Denn das Bügeln durfte sie nicht versäumen, jetzt noch viel weniger als je. Wenn ihr hie und da Tränen auf das weiße Zeug tropften, so fuhr der heiße Stahl darüber und löschte sie aus, und das war noch gut. Denn die alte Mutter saß immer noch in ihrem Lehnstuhl am Ofen und zitterte heftiger als früher und hatte über dem Unglück, das in das Haus eintrat, alle ihre schöne Gelassenheit und Seelenruhe verloren. Nun seufzte sie ohne Ende, daß es eine verkehrte Einrichtung sei: sie, die alte, unnütze Frau, sei noch da als Last für die andern, und der junge Mann, der fast nicht zu entbehren sei, der sei nun weggenommen, es sei eine Jammererde, und es können einen nur die Kinder dauern, die dahinein geboren werden. Da hatte nun Lotte statt eines mütterlichen Trostes eine ewig fließende Jammerquelle um sich herum. Aber das war vielleicht noch besser für sie als alle Teilnahme und alles Mitleid hätte sein können. Denn nun mußte sie sich zusammenraffen, daß das Licht im Hause nicht auslösche. Sie mußte für Brot sorgen und für ein wenig Fröhlichkeit für die Kinder und mußte noch die alte Mutter aufzuhellen suchen, wenn diese gar zu tief ins Jammern geriet.

      Weil sie aber eine so durchaus gesunde, wahre und unverstellte Natur war, so geriet ihr dieses alles auch selber zum Heil, und sie erlebte trotz ihrer aufrichtigen Liebe zu dem Toten eine neue Auffrischung und war als Witwe wie als glückliche Frau ein Menschenbild, das einem verbissenen Schwarzseher hätte zeigen können, es sei noch nicht alles verloren bei unserem Geschlecht. Denn die Kinder von solchen Müttern müssen ja doch etwas mitbekommen ins Leben hinein, das sie nicht so leicht unter die Räder des Wagens kommen läßt.

      *

      In den Jahren, in denen dies alles geschah, wuchs ich zu einem großen, kräftigen Buben heran. Es ging mir überall gut, ich kann nichts von einer schweren Kindheit erzählen. Ich nahm es mit Seelenruhe und ohne viel Gedanken hin, daß die Meinigen für mich sparten und schafften; es war mir nichts Besonderes, daß meine Mutter und Heinrich Kilian allmählich ein paar alte abgerackerte Leute wurden, die auch am Sonntag nichts anderes mehr wollten, als nach der Kirche, die sie nie versäumten, auf dem Bänklein vor der Haustür zu sitzen und sich von der Sonne anscheinen zu lassen. Die Mutter war ja viel jünger, als Heinrich Kilian, der schon unermeßlich alt war in meinen Augen. Aber dafür hatte sie mehr mit Sorgen und Lebensnöten gekämpft und schwerere Lasten getragen als er, der nur die Bücherpakete auf der Achsel, aber nichts Schweres auf dem Herzen hatte. Sie ging immer noch zum Waschen und Putzen fort, aber ich besuchte sie nicht mehr in der Kirche, um dort hinter der Orgel und auf den Emporen herumzustreichen und mit meinem alten Freund August Volland seltsame Geschichten über die Bilder der früheren Prälaten und Kirchenerbauer zu erfinden. Ich war ein Schüler, bei dem es ohne allzugroße Mühe voranging, und der auch in den Freistunden ein Wort reden durfte und seinen Mann stellte. Die grüne Mütze saß mir kecklich auf dem vollen Haarbusch, und ich fühlte mich darunter als einer, dem das Leben eine schöne Sache ist.

      Viel darüber nachzudenken, war nicht meine Art damals; ich lebte meine Tage dahin, wie sie kamen, und fand es ganz in der Ordnung, daß ich immer saubere Kleider und gute Stiefel hatte und daß auf dem täglichen Brot auch die Butter nicht fehlte. Meine Schwester Helene war nun auch konfirmiert. Sie trat sogleich nach dem Verlassen der Volksschule bei einer Kleidermacherin in die Lehre. Diese gab ihr die Kost und ein weniges an Geld, und sie mußte dafür im ersten Jahre alle untergeordnete Arbeit tun, die Rocksäume mit Litzen einfassen und dergleichen, und außerdem

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