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das versteht er ja noch nicht,“ sagte Lotte, und die alte Frau wackelte mit dem Kopf und sah mich freundlich an, und schwieg. Und ich erfuhr es erst später, daß sie einen einzigen Bruder habe, der ein großer Herr geworden sei und nichts mehr von ihr wissen wolle. „Aber,“ sagte Lotte, als sie das meiner Mutter erzählte, „das mag er halten, wie er will. Ich kann meine Mutter gut erhalten, und das tue ich auch.“ Dabei streckte sie den einen bloßen Arm mit dem heißen Bügelstahl, den sie in der Hand hatte, wagrecht hinaus und ich dachte, sie sehe der Germania gleich, die oben auf dem Kriegerdenkmal auf dem Friedhof stand, nur daß die Germania einen Kranz ausstreckte und Lotte einen Bügelstahl. Aber für Lotte paßte ein Bügelstahl besser, denn eben damit erhielt sie ihre Mutter.

      Sie stand den ganzen Tag am Bügelbrett, und um sie herum häufte sich die weißeste Wäsche; sie hatte immer eine schneeweiße Schürze an und eine Bluse mit kurzen Ärmeln und regierte das heiße Eisen, daß es blitzend hin und her fuhr und alles sich glättete, was sie unter die Hand bekam.

      An schönen Sommertagen, wenn drinnen in der Küche der kleine Bügelofen glühte und seine Hitze mit der zitternd warmen Sommerluft vermischte, stand sie wohl draußen unter dem Vordach aus Sackleinwand, das sie sich selber aufgespannt hatte. Dann hingen an den Latten des Zaunes gebügelte weiße Unterröcke und rosenfarbige und blaue Kleider und führten, wenn ein Lüftchen zwischen ihnen hinstrich, für sich selbst ein Tänzchen auf, als wollten sie sich auf den Sonntag einüben, wo sie sich um junge, warme Glieder schmiegen würden, drunten in der Au und wo ihre Falten und Spitzen noch ganz anders hin und her geschwenkt werden würden als jetzt, nach den Klängen einer guten Blechmusik und in den Armen der stattlichen Grenadiere und Pioniere. Denn die schöne Lotte hatte zu ihrer Kundschaft nicht die großen, feinen Häuser in der Stadt, die, wenn sie tanzgelüstig wurden, sich selber aufspielen lassen konnten, sondern das hart verdienende, arbeitsame Völkchen der Fabrikmädchen, der Verkäuferinnen in den Warenhäusern und was so junges, lebenslustiges Geziefer mehr war. Es kamen auch ledige Herren zu ihr, die ihre Wäschepäckchen selber unter dem Arm trugen und am Samstagabend selber wieder abholten. Darunter waren solche, die ich leiden konnte, und solche, die mir unausstehlich waren. Einige stellten sich zu Lotte ans Bügelbrett und sahen zu, als ob sie demnächst ihre Hemden selber bügeln wollten und ihnen nur noch die letzte Feile zu der Kunst fehlte, und dann begannen sie allerlei Gespräche mit ihr. Aber manche machten dumme Späße und versuchten Lotte in die bloßen Arme zu kneifen, da fuhr ich wütend dazwischen, denn das durften sie nicht, da Lotte mir gehörte und ich sie, wenn ich groß war, heiraten wollte. Lotte aber zupfte mich leise am Haar, daß ich still sein sollte und sagte: „Laß nur, Ludwig, ich wehre mich schon selber,“ und holte sich einen frischen Bügelstahl, den schwenkte sie ein paarmal hin und her, da sah sie wieder aus, wie die Germania, und ihr Gesicht war ernst und schön, aber zu dem Kecken sagte sie gar nichts. Da sah der meist ein bißchen dumm aus und machte, daß er fort kam. Das war mir recht, denn es war mir am wohlsten, wenn wir drei allein waren. Bei mir zuhause war oft den ganzen Nachmittag niemand daheim, da wurde das Häuschen der beiden Frauen meine zweite Heimat, und ich dünkte mich König darin zu sein. Aber eines Abends kam ich so gegen Dunkelwerden hinüber. Man hatte mir heut bei Tag meine Locken abgeschnitten, weil ich nun doch zu groß dafür wurde, und weil mich die Buben soviel damit neckten, und ich fühlte mich erwachsener als je dadurch, aber es fror mich auch irgendwie, und ich wollte mich bei meinen Freunden wärmen. Da sah ich, als ich in die Stube trat, einen jungen Mann, den ich immer gern hatte leiden mögen, weil er so still und bescheiden kam und ging und nie viel sagte. Der hatte seinen Arm um die schöne Lotte geschlungen und sah sie leuchtend an, und sie wehrte sich gar nicht, sondern stand ganz still und sah ihn auch so an, und das Bügeleisen stand mitten auf einer Bluse, es roch auch schon verdächtig. Ich blieb an der Türe stehen und wußte gar nicht, was beginnen, es ging ein Schmerz und Zorn und ein Schrecken durch mich durch. Da sahen sie mich und lächelten und winkten mir mit den Augen, daß ich näher treten solle, und Lotte nahm das Bügeleisen und stellte es an seinen Platz. Aber ich rührte mich nicht von der Stelle und wäre nur gern wieder draußen gewesen, weil ich das nicht sehen konnte, daß sie der fremde Mensch umschlungen hielt.

      Da sahen sie meine Not und Lotte machte sich los und kam zu mir her und sagte: „Siehst du, Ludwig, das ist mein Bräutigam. Jetzt gerade vorhin habe ich mich ihm versprochen. Gib ihm eine Hand, er heißt Friedrich Meister, ihr müsset nun auch Freunde sein.“ Aber ich gab ihm keine Hand. Wie konnte ich ihm die Hand geben, wenn er nur so da herein kam und alles störte, was bisher war und wenn er Lotte um den Hals faßte? Da sagte die alte Mutter aus ihrem Lehnstuhl heraus: „Gehet ihr beiden nur ein bißchen spazieren, das wird euch gut tun. Der Ludwig bleibt bei mir, gelt, Ludwig?“

      Und ich setzte mich auf den niedrigen Schemel zu ihren Füßen und legte meinen geschorenen Kopf an ihre Knie und spürte, wie sie fortwährend zitterten. Das Brautpaar ging hinaus, und wir blieben allein, und die alte Frau sagte, als ob sie mich durch und durch sehen könnte: „Ja, lieber Bub, das kommt uns beiden sonderbar vor, daß uns der Friedrich unsere Lotte nimmt, gelt? Aber weißt du, er nimmt sie nicht fort, er läßt sie da und bleibt auch dabei, und so haben wir sie alle beide.“

      Aber ich schüttelte meinen Kopf in ihre Zudecke hinein und sagte da heraus: „Er soll sie nicht in den Arm nehmen, sie gehört mir. Sie hat es gesagt, daß sie mir gehört.“ Und dann sah ich auf, ob sie keinen Rat wisse.

      Da lagen ihre alten Augen gut und warm auf mir, und sie sagte: „O Büblein, wo will das hinaus mit deinem heißen Herzen? Sieh, wir können nicht alles für uns allein haben, was gut ist und schön und was wir lieb haben. Du verstehst es noch nicht, aber du mußt es noch lernen. Das kommt noch oft. Komm, komm,“ und sie streichelte mich mit ihren zittrigen Händen und sagte: „Es wird schöner, als du denkst. Was meinst du, mir hat die Lotte auch gehört, schon lang vor dir, schon als sie noch ganz klein war.“ Da mußte ich sie ansehen, wie sie so gut und so gelassen in ihrem Stuhl saß und ich dachte, ich müsse sie lieb haben, weil sie so arm sei und packte sie plötzlich mit beiden Händen an den Armen. Das tat weh, das durfte man nicht. Sie zuckte zusammen und preßte die Lippen aufeinander, und ich schämte mich, daß ich so ungestüm war. Aber sie lächelte mich an und sagte: „Ich versteh's schon, Ludwig, du meinst es gut. Sei nur ruhig, sei nur still. Komm, ich erzähl' dir was, weil wir grad so schön beisammen sind.“ Da erzählte sie mir die Geschichte von dem ausgestopften Eichhörnchen. Die hieß etwa so:

      „Es ist einmal gewesen, schon lang, als die Lotte noch nicht viel größer war als du, da haben wir, mein Mann und das Kind und ich, droben an der steilen Steige gewohnt in dem Bahnwärterhaus, denn mein Mann ist ein Bahnwärter gewesen. Da haben wir eine gute Zeit gehabt, sag' ich dir. Da bin ich noch grad gewesen und aufrecht und stark. Ja ja, guck nur, ich bin erst seit der bösen Krankheit so, so elend. Der Mann, so gut und immer vergnügt, es sei ein Wetter gewesen, was es für eins wolle. Eine Stimme wie eine Amsel hat er gehabt und immer die Mundharfe in der Tasche. Wenn er die Strecke abgeschritten ist, hat er immer geharft dabei, und am Abend daheim gesungen auf dem Bänklein vor der Tür, und unsern Garten geschafft, es hat kein fürwitziges Gräslein drin sein dürfen. Solche rosa Pfingstnelken, dünkt mich, habe es sonst nirgends gegeben. Einen Nußbaum haben wir gehabt, der hat ein ganzes Dach über unser Häuslein gebreitet, und gleich dahinter hat der Wald angefangen.

      Ja, lieber Bub.

      Da sitzen wir einmal an einem Sonntagabend um den Tisch. Alle drei. Das Fenster steht offen und die Lotte sagt: ‚Vater, blas' eins. Blas': Brüder, Brüder, wir ziehen in den Krieg‘. Denn er ist ein alter Soldat gewesen und hätt' gern einen Buben gehabt, der auch einmal Soldat würde, und hat der Lotte immer vom Militär erzählt. Das ist ihr Leben gewesen. Da zieht er die Mundharfe heraus und bläst eins ums andere, und auf einmal legt Lotte ihre Hand auf meinen Arm und sagt leise: ‚Da sieh' hin‘. Da sitzt auf dem Fenstersims ein Eichhörnchen und guckt mit seinen schwarzen Äuglein zu uns her und horcht auf die Musik. Denn darauf sind sie aus, das lieben sie.

      Wir sind ganz still gewesen, um es nicht zu verscheuchen, und es ist erst wieder fortgesprungen, als mein Mann das Blasen einstellte und die Mundharfe auf den Tisch legte. Von da an ist es oft gekommen, immer öfter. Es ist noch ein ganz junges gewesen, und es ist nach und nach ganz zahm geworden. Die Lotte hat ihm Haselnüsse auf den Sims gelegt und dann auf die Bank am Fenster und auf den Tisch, und es ist bald

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