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kann. Das Hemdlein, das ist nicht mehr neu, ich muß ihm die alten anziehen, von den Mädchen her.“

      „Ja, daß wir einander recht verstehen, Frau Fugeler, der Bub soll ja gar nichts anhaben. Das muß sein wie im Paradies, wie in seligen Welten, wo niemand sich verhüllen und vor dem andern verstecken muß. Das muß sein, wie wir alle wären, wenn wir geblieben wären, wie in der Kindheit: schön, wahrhaftig, lachend, fromm und gesund.“

      Die Mutter schüttelte den Kopf. „Ich bin ein einfaches Weib, Herr Professor, es mag schon recht sein, wie Sie's meinen, aber ich versteh' das nicht so. Mein Mann tät's nicht leiden, wenn er's wüßte, daß Sie den Buben so nackend vor aller Welt hinstellen wollen, und ich leid's auch nicht.“

      Der alte Herr trommelte mit den Fingern auf die Fensterscheiben und sah eine Weile in den Garten hinaus. Dann rief er hinunter: „Maidi, komm einmal herauf.“ Und gleich darauf wurde ein leichter Tritt draußen hörbar, und ein kleines Mädchen kam herein. Es hatte ein weiß und rotes Gesichtlein und hatte ein blaues Kleid an, auf das zwei hellglänzende Zöpfe niederhingen, und alles an ihm wippte und lachte. „Maidi, nimm einmal das Büblein eine Weile mit dir in den Garten,“ sagte der alte Herr, „du kannst ihm Kirschen geben und mit ihm spielen.“

      „Ja, Großpapa,“ sagte Maidi, „er kann mein Bräutigam sein, wir spielen Hochzeiterles.“

      „Wer ist das: wir?“

      „Ach,“ sagte Maidi, „die andern, die hab' ich mir bloß so dazu gedacht, die Brautfräulein und alle. Sie haben weiße Kleider mit Schleppen und tragen Kränze und Lichter.“

      „So, so, ja, dann tut das nur,“ sagte der Großvater und schob uns zwei zur Türe hinaus.

      „So,“ sagte Maidi, „jetzt mußt du der Bräutigam sein.“ Wir waren in eine grüne, blühende Welt eingetreten. Große, schattige Bäume wölbten sich über unsern Häuptern, üppiges Buschwerk neigte sich über die Steige hin und machte sie eng und schmal, Beete waren da voll dunkelblauer Iris und flammender Feuerlilien, ein Rondell aus lauter Rosen; es schlug eine große, schwere Welle von Duft und Farben und Schönheit über dem kleinen Buben zusammen, der willenlos und wie im Traum tat, was das Mädchen ihn hieß.

      „Du mußt mich jetzt am Arm führen,“ sagte Maidi, „und mußt sehr aufpassen, daß du mir meinen Schleier nicht zerdrückst. Und da vornen, an der Laube, das Bänkchen, das muß die Kirche sein, da brennen Lichter, viele,“ sie sprang voraus und pflückte von dem Schutthaufen hinten in der Ecke einige von den Samenkugeln des Löwenzahns, die dort standen, und steckte sie in die Bretterspalten des Bänkchens. „So, jetzt – nein, jetzt mußt du der Pfarrer sein, ich kann schon eine Weile denken, daß der Bräutigam da steht.“

      Aber ich konnte nicht so spielen, ich war ein wenig steif und dumm und stellte mich ungeschickt an, da schlug sie vor, daß wir nun essen müßten, und dazu war ich vielleicht eher zu gebrauchen. Wir traten in die Laube ein, da stand ein weißglänzendes, geflochtenes Körbchen voll großer brauner Kirschen, und wir fingen an, zu schmausen. Aber Maidi hängte mir zuerst noch Zwillingskirschen an die Ohren und steckte mir ein kleines Zweiglein mit Laub und Kirschen dran in die schöne, steife Schleife, die mir meine Mutter am Hals zugebunden hatte zum Schmuck des Samtanzügleins. Dann durfte ich essen. Mir war so seltsam wohl, wie noch nie. Und in diesem Wohlsein, in der grünen, farbigen Welt, die über uns beiden Kindern zusammenschlug, kam mich das Reden an. Ich erzählte Maidi, daß wir auch einen Garten haben, der gehöre mir, und er sei ganz voll roter Nelken, und daß ich eine Katze habe, wenn man die vom Schwanz an aufwärts streichle, so schlage sie Funken. Sie habe ganz grüne Augen, damit könne sie bei Nacht sehen, und im Dunkeln seien sie wie glühende Kohlen. Da staunte Maidi und wollte brennend gern das alles auch sehen. Und ich sagte, daß ich auch noch den Heinrich Kilian habe, der gehöre mir ganz allein, und er könne wunderschön auf der Mundharfe blasen, da kommen abends alle Leute vor ihre Türen und horchen, und der Heinrich Kilian habe in der Stadt drinnen ein großes Haus ganz voll mit Büchern.

      So tat ich dem kleinen Mädchen, in dessen wundersamer Welt ich einen kurzen Augenblick zu Gaste war, meine eigene Welt auf, die ihr vom Hörensagen vorkam, wie ein Königreich und sie mit einem Verlangen füllte, das nicht gestillt werden konnte, weil es alles im Tageslicht draußen anders aussah, als hier in der grüngoldenen Dämmerung des Gartens und des Kinderherzens. Aber das wußte ich jetzt selber nicht.

      „Mama, Mama!“ rief Maidi und flog auf eine Frau zu, die den gelben Sandweg des Gartens herunterkam. Sie trug ein langes, dünnes, weißes Kleid und hatte einen sonnigen Schein um den Kopf aus lauter krausen, blonden Haaren, und trug auf den Armen ein kleines Kindlein.

      „Mama, es ist noch viel schöner bei ihm. Sie haben rings herum alles ganz voll roter Blumen, und eine Katze geht herum und gibt Funken und hat Augen wie glühende Kohlen, und ein Mann ist dabei, der macht immerfort Musik. Und alle Leute stehen außen am Garten herum und horchen.“

      Die junge Frau lächelte gut und fein. Sie hatte den Auftrag, mich zu meiner Mutter zu holen, die außen auf der Straße auf mich wartete. Sie kannte unser armes Häuslein und Gärtchen und unsere kleine Welt wohl, aber sie wollte nicht an unser beider Seligsein rühren. Sie sagte nur: „Das wirst du alles einmal sehen, Maidi. Aber jetzt müssen wir bei dem kleinen Bruder bleiben, das weißt du ja. Und der Ludwig muß jetzt zu seiner Mutter gehen, komm, zeig' ihm den Weg durch das grüne Pförtchen. Er ist ihr Bub, und du bist mein Maidi.“ Da tat sich hinter mir die Pforte wieder zu. Auf der Schwelle sah ich noch einmal den Weg hinunter und sah die schöne Frau mit dem Kindlein im Grünen stehen, und sah Maidi wie einen Schmetterling auf sie zufliegen und hörte ihren lachenden Ruf: „Mama, ich habe gesagt, wir kommen dann einmal alle. Wenn der Bubi laufen kann, dann.“

      Da stand ich auf der Straße und sah nur noch die grünen Baumkronen oben über die hohen Gartenmauern herausgrüßen, und sah meine Mutter, die ein Stück weiter unten vor der Haustür auf mich wartete. Sie nahm mich fest und ein wenig hart bei der Hand und machte fast zu große Schritte für mich kleinen Buben, als wir wieder unsrem Hause zugingen.

      „Mutter, wer ist der schöne, alte Herr? Mutter, was hat er gesagt?“ fing ich an. Aber sie war nicht zum Reden aufgelegt. Der alte Herr war ärgerlich geworden, als sie ihm ihren steifen, ungelenkigen Widerstand entgegenhielt. Es waren Funken aus seinen gütevollen blauen Augen gefahren, und die junge Frau war aus dem Nebenzimmer herein gekommen und hatte vermitteln müssen. Er hatte geschimpft und gewettert, daß nirgends mehr Natur sei, Einfachheit, Selbstverständlichkeit. So gottverlassen seien die Menschen, daß sie sich der Glieder schämen, die ihre Kinder in ihrer unschuldigen Pracht mit sich herumtragen.

      Dabei war die Mutter immer stummer geworden. Sie konnte nicht dafür, es war ihre Art so. Sie konnte nicht mehr umlenken, wenn sie sich irgendwo festgefahren hatte, auch wenn sie wollte nicht. Sie blieb dabei: „Nackend lass' ich den Buben auf kein Bild, und gar in einer Kirche. Ich versteh's nicht besser, so kommt mir's recht vor.“

      Damit ging sie, es half alles nichts.

      Sie tat mir das Samtkittelchen aus, als wir daheim waren und ließ mich in Hemdsärmeln auf die Gasse springen. Und ich hörte noch, wie sie zum Heinrich Kilian sagte: „Die Vornehmen sollen mir vom Leib bleiben. Alles drehen sie um und um in einem. Ich versteh's nicht; er ist sonst ein guter Herr, der Herr Professor, und nicht unrecht. Aber im Himmel die seligen Leut' haben doch auch Kleider an, steht in der Bibel. Brav soll er werden und recht, der Bub, sonst nichts. Ich kann nicht draus hinaus, wir haben's bei uns immer so gehabt.“

      So ungefähr sagte die Mutter damals. Ich aber stand mitten auf der Gasse und sah das Gärtchen an, das winzige, schmale, und das niedrige Häuslein, dem das steile Dach so tief über den einzigen Wohnstock herunterhing, daß es aussah, wie ein Mensch, dem der Hut in die Stirne gerutscht ist. Und mich überkam ein kleines, dummes Leiden und ein Zorn, daß es alles nicht so schön sei, wie ich es vorhin der Maidi beschrieben hatte, und wie es auch in meinem kleinen Bubenherzen gewesen war. Da ging ich ins Haus zurück und setzte mich auf die Schwelle, die von der Wohnstube in den Alkoven führte, in dem ich mit der Mutter schlief, und fing an, laut hinauszubrüllen, denn ich wußte mir nicht anders zu helfen. Und sie kamen alle zusammen, die Schwestern, der Heinrich Kilian und die Mutter, und fragten, was

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