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der für alle Schäden gut war, und legte mich in ihr großes Bett, und ich spürte ihre guten, hartgeschafften Hände und roch den Duft von dem Strohblumenkranz, der um des Vaters Bild gelegt war, gerade über meinem Kopf. Da hüllte mich das Heimatliche wieder warm und gewohnt ein, und ich schlief in den andern Tag hinüber. Denn es war noch ein Leiden, das man verschlafen konnte.

      *

      Aber nach dem alten Herrn hatte ich hie und da ein Verlangen. Nicht nach Maidi und nicht nach ihrer feinen, weißen Mutter. Ja, ich hatte manchmal eine plötzliche Angst, sie könnten kommen und sehen wollen, was ich Maidi beschrieben hatte und was doch nicht so war, und ich müßte mich dann verkriechen in hilfloser Scham. Dann vergaß ich sie nach und nach, und eines Tages stand ich plötzlich vor dem alten Herrn. Es war in einer engen Gasse zwischen hohen Häusern, die sich oben fast zusammenneigten.

      Da schritt er fest und rasch daher und war wieder das Hellste von allem.

      Ich trug ein neues Ränzlein auf dem Rücken, darin klapperte und rasselte es von Tafel und Griffelrohr, die es bis jetzt noch allein bewohnten, und kam in einem blauen Anzüglein, das mir die Mutter aus einer Arbeitsbluse vom Vater gemacht hatte, gerade aus der Schule, in die ich erst seit Tagen ging. Woher er gekommen war, wußte ich nicht. Vermutlich aus einem der alten Häuser. Er trug den Hut in der Hand und sah beim Gehen links und rechts an den Häusern hinauf, es war aber nichts zu sehen, als alte Giebel und einige Blumenbretter und Taubenschläge und so altes Zeug; aber mich sah er nicht und wollte grad an mir vorbeischreiten. Da griff ich, weil das nicht sein durfte, schnell nach seinem Samtkittel und hielt ihn daran fest und erschrak erst, als ich es getan hatte, über meine eigene Keckheit, denn zuvor hatte ich nichts gedacht, nur gespürt, daß er mir nicht so entschwinden durfte.

      „Oho, du Stumper,“ sagte der alte Herr, der solchergestalt mit seinen Gedanken auf die Straße heruntergezogen worden war, und sah mir in das Gesicht, das in großer Verlegenheit erglühte, „was gibt's?“ Und ich freches Mücklein hätte mich gern verkrochen, aber ich konnte nicht.

      Da fiel ihm auf einmal ein, wo er mich schon gesehen hatte, und er sagte: „Ja, ja, ja, das ist ja der Maidi ihr Bräutigam, den man nicht abmalen durfte.“ Und wie es ihm so gerade durch den Kopf ging, sagte er: „Weißt du was? Willst du was sehen? Komm einmal mit mir. Sag einen schönen Gruß an deine Mutter und ich hätte dir etwas gezeigt.“

      Damit nahm er mich an der Hand und machte lange Schritte, und ich kleiner Schulbub rasselte mit meinem Ränzlein neben ihm her und konnte es fast nicht erschreiten, bis wir an ein großes, kahles Haus kamen und etliche Treppen erstiegen. Da traten wir in einen hellen Raum ein und waren beide ganz still. Denn was da drinnen war, das redete mit uns. Da saß die blonde junge Frau, Maidis Mutter, auf einem kleinen Grashügelchen, ganz im Grünen, aber sie hatte andere Kleider an, als man bei uns hatte, etwas wie einen großen Mantel, der sie und das Kindlein, das sie auf dem Schoß hatte, ganz einhüllte. Und irgendwo kam Sonne her, die war im Haar und im Mantel und in den Gesichtern, da wurden sie ganz glänzend und ganz fremd und froh.

      Aber von beiden Seiten her kamen kleine Buben mit lustigen kurzen Flügeln, die ihnen am Rücken herauswuchsen, die trugen Blumensträuße und Kirschen, und einer schleppte ein Vöglein herbei, das ihm davonfliegen wollte, und einer ein schneeweißes Häschen. Das brachten sie alles der schönen, schönen Frau und ihrem Kindlein. Sie hatten keine Kleider an, aber sie kamen mir auch nicht vor, wie rechte Buben, solche, mit denen ich auf der Gasse spielte, sie waren anders. Es war alles eine ganze Welt für sich auf einem großen Bilde, das lebte und blühte und rührte sich doch nicht.

      Da streifte mich eine große, fremde Schönheit und strich mir über die Augen, daß sie wie in ein Wunder hineinsahen. Und ich stand ganz still und rührte mich nicht und atmete kaum. Das weiß ich alles noch, als ob es erst geschehen wäre. Auf einmal mußte ich aufsehen, es zwang mich etwas dazu. Da sah ich, wie der alte Herr seine Augen auf mir liegen hatte, voller Güte und wie in einer großen Bewegung, die mochte ihm mein stummes Andächtigsein geschaffen haben. Und er hob mich ganz sachte mit seinen Händen empor und küßte mich auf den Mund. Dann stellte er mich wieder auf den Boden und sagte: „So, jetzt gehst du heim zu deiner Mutter. Grüß' sie. Findest du den Weg? Behüt dich Gott.“

      Ja, den Weg fand ich schon, meine Füße fanden ihn von selber, denn ich ging wie in Träumen.

      Da sah die Schönheit in mein Kinderleben herein und sagte: „Ich bin. Suche mich, kenne mich, liebe mich. Ich bin Wahrheit und Güte, Farbe, Licht und Glanz. Ich bin in allem und auch in dir.“

      Aber ich konnte es nicht recht erzählen, als ich nach Hause kam.

      Doch war es der Mutter recht, daß der Herr Professor scheint's nicht mehr böse sei. „Denn sonst hätt' er dich nicht mitgenommen, denk ich,“ sagte sie.

      Aber daß er mich geküßt hatte, das behielt ich für mich.

      Bei uns daheim küßte man einander nicht. Auch mich nicht, so gut ich es sonst hatte.

      *

      Eines Tags wurde Lotte Wolf unsere Nachbarin; ich konnte froh sein, daß sie es wurde.

      Sie war groß und dunkelhaarig; es dauerte nicht lange, bis sie auch zu meinen Besitztümern gehörte. Als sie am ersten Abend nach ihrem Einzug eine Weile unter der niedrigen Haustür stand und auf die grünen Bäume der Au hinübersah, da wunderte ich mich, daß sie da drinnen in dem Häuschen Platz haben sollte. Es schien mir niedriger zu sein als alle andern, weil sie so groß und hoch war. Sie trug eine blaue Bluse und eine weiße Schürze und hatte den Hals frei, daran hing ein dünnes Silberkettlein mit einem Herzchen. Es zog mich mächtig zu ihr hin, aber ich wußte nicht, was ich sagen sollte; ich beschrieb aber immer engere Kreise um sie her. Da sah sie mich und lachte mich an und sagte: „Komm her, Kleiner, wie heißt du?“ Ich sagte, daß ich Ludwig Fugeler heiße, und daß das Haus da drüben mir gehöre, und daß ich viele rote Nelken habe. Da sagte sie, ich solle ihr eine davon holen, die wolle sie an ihre Bluse stecken und dafür wolle sie mir etwas Schönes zeigen. Ich rannte hinüber und pflückte einen ganzen Strauß von den Blumen, die mir seither nur zum Ansehen gehört hatten, und brachte sie ihr, die mich zum Dank mit ihrer großen, festen Hand an meinem Lockenwald packte und ein wenig zauste. Da wurde ich heiß und rot vor Glück und Stolz, und sie nahm mich mit in ihr Häuslein hinein, daß, wie die andern alle, eine Stube mit einem Alkoven und zwei Kammern hatte.

      Das Schöne, das sie mir zeigen wollte, stand auf der glänzend polierten Kommode und war ein ausgestopftes Eichhorn, das blanke Äuglein und spitze weiße Zähne hatte. Es saß auf einem bemoosten Baumast und hatte eine Nuß zwischen den Vorderpfötchen, und Lotte sagte, sie wolle mir einmal die ganze Geschichte des Eichhorns erzählen, das Mux geheißen habe und fast gescheiter als ein Mensch gewesen sei. Sie sei aber sehr traurig und ob ich gerne traurige Geschichten höre? Das wußte ich aber nicht, denn bis jetzt hatte mir niemand Geschichten erzählt, und ich entdeckte auch in diesem Augenblick noch etwas anderes, das mich stark interessierte. Das war eine alte Frau, die neben dem Ofen in einem mächtig hohen Lehnstuhl saß und immerfort mit dem Kopf zitterte. Sie hatte eine breite weiße Binde um die Stirn gelegt, und unter der Binde sahen ein paar dunkle Augen hervor und zu mir herüber, und ich bekam auf einmal Angst vor diesem Menschenwesen und wollte mich aus der Stube machen. Da nahm mich Lotte bei der Hand und führte mich zu ihrer Mutter hin. Denn das sei ihre Mutter, sagte sie, und sie müsse immer im Lehnstuhl sitzen, sie könne gar nicht von selber aufstehen. Ja, nun sah ich es, sie zitterte mit den Händen und den Füßen ganz ebenso, wie mit dem Kopf, sie zitterte am ganzen Körper, das sah unheimlich aus. Aber als sie anfing zu sprechen, da war es gleich anders. Da hatte sie einen so freundlichen Mund und so freundliche Augen, daß meine ganze Angst verging. Sie sagte, wenn wir nun Nachbarsleute seien, so müsse ich fleißig zu ihr kommen, und sie habe auch ein Buch mit Bildern, das wolle sie mir zeigen, und ob ich keine Geschwister habe? Da sagte ich zuerst nein, denn die Schwestern waren immer wie etwas anderes, wie Kindermädchen oder Pflegemütter, und sie hatten auch eine jede ein Haus, für das sie Ausgänge zu machen hatten und spielten fast nie auf der Straße oder ums Haus herum. Aber dann besann ich mich und sagte, daß ich doch Geschwister habe, zwei, es seien aber bloß große Schwestern. Und Frau Wolf sagte, das müsse ich nie vergessen, daß ich große Schwestern habe. Auch später nicht,

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