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immer selber hineingetan, es hat ihm sonst niemand etwas tun dürfen. Wenn sie ganz leise gepfiffen hat, so ist es heraus und auf ihre Achsel gesprungen und hat seinen schönen buschigen Schwanz um ihren Hals gelegt. Die Lotte ist damals hergewachsen, wie ein junger Baum und hat zwei lange dicke Zöpfe hinuntergehängt, aber mit dem Lernen, da ist's ihr nicht so leicht gegangen. Sie hat sonst so vielerlei im Kopf gehabt. Jetzt hat sie nur noch lernen können, wenn der Mux mit in das Buch hineingesehen hat. Und dann hat sie ihn allemal gefragt: ‚Verstehst du das, Mux?‘ und hat ihm ins Gesicht geblasen, da hat er sich geschüttelt und sie hat zu mir in die Küche hinausgerufen: ‚Mutter, der Mux ist ein Gescheiter, der versteht's auch nicht.‘

      Das ist drei Jahre lang so gegangen. Im Sommer hat der Mux seine Freiheit gehabt. Bei Tag auf dem Nußbaum und im Wald und bei Nacht in seinem Korb. Im Winter, da hat er ganz bei uns gelebt. Da, in einem Frühjahr, die Lotte ist zwölf Jahre alt gewesen und ein großes Mädchen, geht eines Tages ein schweres Gewitter herunter. Es donnert und blitzt und der Regen fällt nur so kübelweis, und ich denke: Das ist schon gar nicht mehr geregnet, und richte trockne Sachen für meinen Mann, denn er ist ja richtig weit draußen auf der Strecke. Da sind auf einmal Tritte vor der Tür, und etwas schüttelt sich und pustet, und ein Herr kommt herein, den hatte ich noch nie gesehen. Es war der neue Forstassessor, und er wollte dableiben, bis der ärgste Guß vorbei sei. Es war ein schöner Mensch, groß und breit und mit einem Weltsschnurrbart, aber es hat mir gleich etwas nicht gefallen an ihm, so um die Augen herum. Die Lotte ist dagesessen und hat an ihrem Federhalter genagt, denn sie hat sollen einen Aufsatz machen, und der Mux sitzt an seinem gewöhnlichen Platz auf ihrer Achsel und klopft mit dem Schwanz, wie wenn er sich auch besinnen müßte. Da packt der Assessor die Lotte am Zopf und sagt: Ein schönes Kind! Das dürfen Sie auch hüten, wenn ein paar Jahre noch herum sind. Und ich sagte: Wir wollen es so erziehen, daß es sich selber hütet, das wird noch besser sein.

      Die Lotte funkelt ihn so an mit den Augen und zieht den Zopf wieder aus seiner Hand, sagt aber nichts. Da bleibt ihm das Zopfband in der Hand und er fragt: Schenkst du mir das? Und ich sage statt ihrer: sie ist noch ein ganzes Kind, sie braucht ihre Zopfbänder selber, gelt, Lotte? Aber sie macht nur ein trutziges Gesicht, und als der Assessor ihr auf die Achsel klopfen will, rückt sie auf der Bank hinunter. Wie es aber geschah, weiß ich nicht mehr zu sagen: Der Mux fährt blitzschnell nach seiner Hand und schlägt ihm seine spitzen Zähne in den Zeigefinger. Er hatte vorher nie jemand gebissen, es war das erstemal.

      ‚Verfluchte Wildkatz,‘ sagt der Assessor und pfeift zwischen den Zähnen, und seine Augen sehen aus, wie nichts Gutes. Da geht auf den leisen Pfiff plötzlich die Tür auf, die nicht ganz fest zu war, und ein brauner Jagdhund kommt herein, der draußen unter dem Vordach gelegen war. Und da geht eine Jagd an, das ist nicht zu sagen. Der Hund fährt auf das Eichhorn los, und das rennt an der Wand hinauf in sinnloser Angst. Alles Locken von der Lotte und mir hilft nichts, und es hilft auch nichts, daß ich das Fenster aufmache, damit es sich flüchten soll. Vielleicht, wenn der Assessor seinem Hund gleich gepfiffen hätte, wäre es noch Zeit gewesen. Aber der besah seinen gebissenen Finger und war still, und als er endlich sagte: Feldmann, daher! da steht er auf dem Tisch und bellt wütend an dem Bücherbrett hinauf, auf das sich das Tierchen geflüchtet hatte. Ich weiß nicht, wie es zuging, aber als der Assessor endlich seinen Hund am Halsband hatte und ihn zur Stube hinausführte, da tat der Mux plötzlich einen klagenden Schrei und war tot. Mein Mann, der bald nachher heimkam, sagte: es sei an einem Herzschlag gestorben, den habe ihm die große Angst angetan.

      Die Lotte aber war nicht zu trösten. Sie hat vorher noch nie ein Herzeleid erlebt gehabt, es war ihr erstes, und es war ein großes. Sie legte den Kopf auf den Tisch und weinte, als ob sie nie mehr aufhören wolle, und der Assessor stand daneben und sah erschrocken und bekümmert aus. Und ich sagte, daß er lieber jetzt gehen solle, denn das Kind sei so außer sich, ich könne es jetzt nicht vor einer Unart hüten. Da, wie er so dastand, tat es mir auf einmal leid, denn das Spöttische, Ungute war aus seinem Gesicht weg, und er sah aus, wie ein großer Bub, der etwas angestellt hat und gern wieder gut sein möchte. Und ich dachte, ob er wohl auch eine Mutter habe, denn das denken wir Frauen immer zuerst, und gab ihm die Hand und sagte: ‚Behüt Sie Gott, und wir wollen einander nichts nachtragen.‘“

      Soweit hatte die liebe Frau erzählt, und ich fühlte einen Grimm in mir gegen den Hund und den Herrn, es war mir nicht recht, daß ihm die Mutter die Hand gegeben hatte, und ich hätte der Lotte etwas Gutes antun mögen, weil sie damals so ein Leid gehabt hatte. Da fiel es mir ein, daß ich ihr ja nun den Friedrich Meister gönnen könne, und ich beschloß, es zu tun, und als die beiden wieder herein kamen, da stand ich auf und gab ihm die Hand und sagte: „Dann will ich!“ Das sollte heißen, daß ich nun sein Freund sein wolle und ihm die Lotte lassen. Er verstand es auch, er lachte so herzlich erfreut über sein ganzes Gesicht und drückte meine kleine Bubenhand, daß sie krachte, und versprach auch sogleich, daß er mir einen Drachen machen wolle, so groß, daß die Spatzen davor erschrecken.

      „Ja, und mit einem langen Schwanz,“ sagte ich.

      Da versprach er das auch noch, und ich merkte, daß auch die neue Einrichtung ihr Gutes habe.

      *

      Einmal, als ich neun Jahre alt war, lag ich in meinem Gitterbett, das mir schon fast zu klein wurde, im Alkoven neben der Stube. Es hing ein alter, farbiger Zitzvorhang von der Decke herunter, der trennte die beiden Gemächer voneinander und ließ nur einen gedämpften Schein der Lampe zu mir herein. Draußen vor dem Haus jagte ein starker Wind vorüber. Er klapperte mit Fensterläden und riß die paar Bäume in den Nachbargärten hin und her; man konnte sie bis hier herein stöhnen hören, und es zog ein Gewitter herauf. Ich kugelte mich unter meiner Decke zusammen vor Wohlbehagen, daß ich hier so im Windstillen und Hellen lag und so beschützt und umgeben war. Draußen in der Stube saßen sie noch alle um den Tisch her: meine Mutter und meine beiden Schwestern und Heinrich Kilian. Ihre Stimmen gingen in ruhigem Gespräch einher, ich horchte nicht besonders darnach hin. Ich hatte ihnen vorhin, eh' ich ins Bett geschickt wurde, ein Gedicht hergesagt: „War einst ein Riese Goliath, ein gar gewaltig' Mann.“ Das ging mir nun noch im Kopf herum; ich wäre wohl auch daran eingeschlafen, wenn ich nicht auf einmal meinen Namen hätte nennen hören und dann eine Sache, die mich anging. Sie wähnten mich wohl schlafend, weil ich so ganz stille lag.

      Als ich anfing aufzuhorchen, sagte meine Mutter: „Wenn es geschehen soll, dann ist es an der Zeit. Ich bin heut bei seinem Lehrer gewesen – ich habe bei seiner Frau gewaschen – und habe ihn gefragt. Da hat er gesagt: Ja, ja, der Bub ist hell im Kopf und ist auch fleißig und hat gute Gedanken. Ich glaube, man kann aus ihm machen, was man will. Aber es wird Ihnen sauer geschehen, Frau Fugeler. Das Schulgeld ist teuer, und es dauert eine lange Zeit, bis einer fertig ist, wenn er ein Studium ergreift. Da habe ich gesagt, daß es mir nicht ums Hochhinauswollen sei mit meinem Buben, sondern daß ich es dem Mann versprochen habe, daß ich alles an ihm tun will, was ich kann, und daß ich auch zwei Töchter habe, die mir helfen können.“

      Ich sah ein wenig durch ein kleines Loch im Vorhang, als die Mutter so redete und sah, daß die Schwestern einverstanden mit dem Kopf nickten über ihre Arbeit hin, und daß Heinrich Kilian beide Arme vor sich auf den Tisch legte und den Kopf vorstreckte vor Eifer und hörte ihn sagen: „Und von mir, hat sie von mir auch etwas gesagt, die Mutter? Hat sie nicht gesagt, daß der Heinrich Kilian auch mittun will?“

      „Nein,“ sagte die Mutter, „von Ihnen habe ich nichts gesagt, Kilian, das wär' noch schöner.“

      Aber er tat es nicht anders, er wollte auch etwas an meinem Schulgeld bezahlen, wenn ich ins Gymnasium käme.

      „Wen hab' ich denn sonst?“ sagte er. „Ich habe niemand, als euch. Ich habe dreihundert Mark in der Sparkasse, die vermache ich dem Buben sowieso. Ich bin in der Sterbekasse, zu meinem Begräbnis brauch' ich nichts zu sparen. Und wenn ich nicht mehr schaffen kann, krieg' ich meine Altersrente. Aber ich kann noch lang schaffen.“

      Da legte ich mich wieder in meine Kissen zurück und schloß die Augen und sah in meine herrliche Zukunft hinein.

      Also ich sollte auch zu denen gehören, die jetzt nächstens von der Bürgerschule ins Gymnasium hinübergingen. Ich war der Zweite in meiner Klasse. Der Erste war Fritz Meißner, der Sohn eines Kaufmanns am Marktplatz, ein großer und gescheiter

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