Скачать книгу

fein und blond und von einer guten Aussprache des Deutschen, weil seine Mutter eine Hannoveranerin war und es von ihm verlangte. Aber manchmal, wenn er in die Hitze geriet, was selten war, verfiel er in ein ebenso gutes Schwäbisch, wie wir andern es sprachen; erst vorgestern hatte er, als wir miteinander rangen und ich ihn unten liegen hatte, keuchend an mir emporgefaucht: Du Saukerl. Das war mir eine große Ehre und ein rechtes Freundschaftsstück gewesen. Diese beiden standen seit einiger Zeit mit ein paar andern, die weiter unten saßen, immer in den Freistunden auf einem Häuflein beisammen und beredeten, wie es würde, wenn sie drüben seien. Darüber gab es viel zu sagen, von neuen, farbigen Kappen und von vielen andern Dingen, aber ich glaube nicht, daß sie viel von den Wissenschaften sprachen, die waren ihnen noch nicht so wichtig. Ich aber stand beiseite und biß an meinen Nägeln herum, denn nun sah ich, daß ich nicht so kurzweg an allem teilhatte, was das Leben hergab. In der Volksschule war es einerlei gewesen, daß meine Mutter eine arme Wittfrau war, da kam es nur darauf an, daß ich in allem meinen Mann stellte. Aber das wurde jetzt anders, denn aus ihr hinaus führte nur ein Weg für die, die Geld hatten. Das war eine böse Sache. Aber nun war ihr auf einmal gesteuert. Denn die Mutter und die Schwestern und der Heinrich Kilian sorgten dafür, daß ich mit den Auserlesenen über die Straße gehen könne und grüne oder rote Kappen tragen und alles tun, was die andern auch taten und auch alles lernen. Aber an das Lernen dachte ich erst zuletzt, denn ich lernte gern und leicht, aber ohne Leidenschaft, das hatte mich bisher noch nicht besonders angefochten. Es erschien mir recht von den Meinigen, daß sie so taten, aber sie konnten es wohl tun, denn sie verdienten ja alle Geld. Meine Schwester Luise war jetzt fünfzehn Jahre alt und stand den ganzen Tag am Bügelbrett drüben bei Lotte, die jetzt Frau Meister hieß, und einen kleinen Buben in der Wiege hatte. Und Helene war fast dreizehn, aber sie war fast so groß wie Luise, und war Ausläuferin für ein Modegeschäft neben der Schule her und brachte auch schon Geld heim, und Heinrich Kilian hatte dreihundert Mark in der Sparkasse, das war viel, da konnte ich beruhigt sein. So schlief ich nun in guten Gedanken ein. Als ich schon lange geschlafen hatte, war es mir auf einmal, die Mutter stehe vor mir mit dem Lämpchen in der Hand und sehe über mich hin. Ich hörte sie sagen: „Mach mir etwas Rechts aus meinem Buben. Tüchtig soll er werden und brav. Paß' auf ihn auf, wenn ich nicht mehr da bin.“

      Aber ich wußte nicht, zu wem sie es sagte, denn es war sonst niemand da. Ich konnte auch die Augen nicht recht aufmachen, sie waren mir voll Schlafs.

      Als ich am andern Morgen meinen Kameraden verkündigte, daß ich auch ins Gymnasium komme, drehte sich auf einmal mein Vordermann um und sah mich mit merkwürdig erloschenen Augen an. Ich hatte ihn gern, denn er war ein fröhlicher Kamerad, der einen Spaß verstand, und dabei ein tüchtiger Schüler. Seine Mutter ging mit der meinigen zum Kirchenreinigen. Wir waren schon oft dabei gewesen, alle beide, und hatten uns auf den Emporen und hinter der Orgel umhergetrieben und untereinander ausgemacht, wem die angemalten Posaunenengel in der Spitalkirche ähnlich sähen. Da hatten wir immer viel Vergnügen dabei gehabt und auch ein paarmal die Bälge getreten, wenn jemand kam zum Orgelspielen. Jetzt sah er mich erschrocken an und sagte: „Du auch?“ sonst nichts. Aber in der Freiviertelstunde wartete er, bis ich die Treppe herunter kam und sagte, er müsse mich etwas fragen, und wir gingen miteinander hinter die Holzbeige im Hof. Ich stand dumm und bockig da, denn ich hatte etwas wie ein schlechtes Gewissen gegen ihn, aber ich wußte nicht recht, warum. Da schlug er mir auf einmal mit aller Macht eine hinter die Ohren und drehte sich dann an das Holz hin und fing an, in die Scheiter hineinzuschluchzen. Wenn er nicht geweint hätte, dann hätte ich ihm die Ohrfeige ohne Frage heimgegeben, aber so war ich ratlos und wußte mir nicht zu helfen. Ich hätte jetzt bei den andern stehen können zum erstenmal. Denn darauf hatte ich mich schon den ganzen Morgen gefreut. Und nun hatte ich eine Ohrfeige auf mir sitzen, die brannte und mußte dazu noch aus meinem Kameraden herausfragen, warum ich sie hatte, und es war mir fast, ich wisse es schon.

      Da kam es denn nach und nach heraus, daß er sich schon eine ganze Weile gefreut habe, bis die andern fort seien, und daß wir dann zusammenhalten und alles herrlich regieren wollten. Er habe sich schon Sachen ausgedacht, feine, aber er sage mir's jetzt nicht, was für, er suche sich jetzt einen andern heraus, dem er sie sage. Ich solle nur machen daß ich fortkomme, ihm sei es ganz recht, er möchte nicht geschenkt da hinüber. Dabei trocknete er nach und nach seine Augen und sah mich zornig an, daß ich mir noch einmal vorkam, wie geschlagen. Denn ich hatte ihn recht eigentlich gern, das spürte ich nun deutlich, und ich stand in zwei Feuern, die brannten mich von links und rechts. Da sagte ich in meiner Not, ich könne doch nichts dafür, daß ich ins Gymnasium komme. Meine Mutter wolle es haben, mir wäre es sonst gleich. Aber das war gelogen, denn es war mir gar nicht gleich, und da in diesem Augenblick die andern nach mir riefen, lief ich schnell davon und stellte mich zu ihnen, und es war mir übel zumute. Aber es mußte ja nun dennoch alles seinen Gang gehen und ging ihn auch, und als der Herbst kam, da war ich ein höherer Schüler geworden.

      *

      Drüben bei Meisters war ich nach wie vor oft und viel, und dort lernte ich auch eigentlich meine Schwester Luise kennen. Ich trat sozusagen in ein neues Verhältnis zu ihr, denn daheim war ich um sie herumgestrichen wie um die alte Stockuhr in unserer Wohnstube oder um den Rosmarinstock, der auf dem breiten Fenstersims stand. Sie war eben da wie alles andere und gehörte zum Haus wie die graue Katze, nur daß die Katze immer im Fußende meines Bettes schlief und eine persönliche Freundschaft mit mir hatte. Bei Meisters aber sagten sie, daß Luise ein gescheites und geschicktes Mädchen sei, und daß sie hübsch werde, eh' man sich's versehe. Groß sei sie schon, einmal für ihr Alter, aber nun fange sie auch an, aufzublühen, und das stehe ihr gut. Das alles sagten sie nicht vor ihren Ohren, sondern vielleicht einmal, wenn sie in die Küche ging, um im Bügelofen nachzuschüren oder, wenn sie draußen im Vorgärtchen die gebügelte Wäsche in der Sonne ausbreitete. Denn sie war bei Lotte als Lehrmädchen eingetreten. Aber mir kam ein solches Wort hie und da zu Ohren, und dann dachte ich: Ja, gelt, die gefällt euch schon. Sie ist meine Schwester, aber ich lasse sie euch einstweilen. Ich habe noch eine, die heißt Helene, an der ist bis jetzt noch nicht so viel zu sehen.

      Solche Sachen sagte ich in Gedanken zu ihnen, aber ich mußte aufpassen, daß es die alte Frau Wolf nicht merkte, denn sie sah mir immer alles an, was ich im Herzen hatte, und dann sagte sie: „O Ludwig, dich sieht man doch durch und durch. Du hast ein Gesicht wie ein Spiegel.“ Das war mir nicht recht, denn ich wollte nicht immer alles wissen lassen, was ich dachte.

      Aber daß mir meine Schwester Luise gut gefiel, das durften sie wohl wissen, das mußte kein Geheimnis sein, bloß sollten sie nicht merken, daß es mir etwas Neues sei und daß ich es von ihnen gelernt habe. Und sie gehörte mir doch zuerst und vor allen.

      Sie hatte ganz hellblonde Haare, und sie waren lang und dick. Sie trug sie glatt gekämmt mit einem Scheitel in der Mitte und zwei Zöpfe um den Kopf gelegt, daß es war wie ein Kranz. Ich hatte gar nicht gewußt, daß sie so gut lachen könne; wenn sie lachte, dann sah man, daß oben einer von ihren vorderen Zähnen schief stand, aber das sah so drollig aus. Es war wie ein Wegweiser, der in ihren Mund hinein führte: „Hier ist Luise Fugeler. Man muß keine Angst vor ihr haben.“

      Das sagte ich auch niemand, daß ich das dachte. Denn es fielen mir hie und da sonderbare Sachen ein, und wenn ich sie heraussagte, dann lachten sie alle und erzählten es weiter. Und das war mir nicht recht. Aber meine Schwester Luise lachte nie über mich, weil sie merkte, daß ich dann rot und verlegen wurde; sonst lachte sie viel und gern. Es gab auch genug andere Sachen dazu, da hatte sie ganz recht. Gegen mich war sie immer gut und freundlich. So war sie früher nicht gewesen meiner Meinung nach. Es war aber nur so, daß sie nun überhaupt mehr ins Heitere, Jugendliche hineinkam, da zeigte sich alles, was gut und lieb an ihr war, mehr als vorher. Denn sie hatte nie recht ein Kind sein dürfen; es waren immer Sorgen vorhanden gewesen und Armut und Arbeit. Das erfuhr ich alles erst später recht, denn ich selber hatte es viel zu gut. Bei Meisters da konnte sie schon in ein freudiges Fahrwasser kommen, wenn sie gleich in ihrer jungen Jugend schon stramm an den Wagen gespannt war. Daß man arbeiten müsse, das war ihr nichts Neues, das verstand sich von selber. Was denn sonst? Aber sie waren alle miteinander so herzlich und fröhlich und gut, und es war nicht wie ein Dienst bei einer Herrschaft. Sondern man half einander mit der Arbeit und mit dem Lohn und mit dem Zusammengehören und keins war höher und vornehmer, als das andere. Friedrich Meister war Schreiber auf dem Rathaus. Er ging immer anständig

Скачать книгу