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und sah an mir hinauf und hinunter und hätte gern noch mehr gesagt. Aber sie wollte vielleicht meine Jugend nicht beladen, oder sie traute sich selber nicht, so weit hinauszufahren mit ihren Gedanken, so ging sie neben mir her, ohne es auszusprechen, wie sie es von mir auch erhoffe, daß ich einst ihr Alter schmücke und erleichtere.

      Mich trieb es an, ihr große Dinge zu versprechen, denn ich konnte es nicht leiden, daß mich der Amerikaner etwa ausstechen sollte. Aber ich wußte noch nicht, wo bei mir der Glücksbaum wachsen würde, von dessen Zweigen ich meiner Mutter die Taler herunterschütteln konnte, und um das Gespräch auf etwas zu bringen, bei dem ich auch etwas galt, fing ich an, meiner Mutter die Geschichte von der schönen Lau zu erzählen, die ich kürzlich gelesen hatte.

      Sie horchte hoch auf und nahm es alles wahr und wichtig, so daß mir die Sache selber im Erzählen noch viel lebendiger wurde als zuvor.

      Tief unter uns lag das Städtlein mit Kloster und Kirche friedlich hingelegt bei dem tiefen, dunklen Wasserbecken, an dessen Ufer wir vorhin gestanden waren mit einem leisen Grauen, weil es gar so unergründlich tief hinabging.

      Nun sahen wir nur noch die Bäume, deren grüne Wipfel sich über ihm zusammen zu neigen schienen, und sahen die junge Blau, die hell und fröhlich durch grüne Wiesen ging, als ob sie nicht erst vorhin aus ihrer wundersamen Quellenheimat ausgeflossen wäre. Die nackten Felsen standen trutzig um das Tal herum, aber die Sonne legte einen Glanz auf sie, daß sie zu scheinen anfingen, und der Himmel stand hoch und heiter über dem Ganzen.

      Und die schöne Lau stieg aus ihrer blauen Tiefe herauf und trug ihr schweres Herz zu den Menschen und lernte bei ihnen das Lachen, das ihr so nötig war. Als alles gut ausgegangen war, atmete die Mutter tief auf. „Gott Lob und Dank,“ sagte sie, „wenn's auch bloß ein Märlein ist, mich hat die arme Frau doch gedauert; ich weiß gut, wie es ist, wenn's einem nicht ums Lachen ist. Als ich mit dir gegangen bin, Ludwig, ein paar Monate vor deiner Geburt, da ist mir's immer so schwer gewesen, das ist nicht zum Aussagen. Da hab' ich immer gedacht: Lieber Gott, laß nur mein Kind kein schweres Gemüt kriegen. Gelt, du hast keins, Ludwig, ich meine einmal nicht. Wenn ich dich habe lachen hören und gesehen, daß du lustig bist, dann ist mir ein Stein vom Herzen gefallen.“

      Als die Mutter so redete, wurde es mir sonderbar ums Herz. Es war mir auch, als ob ich in eine unterirdische Quellenstube hineinsehe, aus der mein Leben herausgeflossen sei, und ich spürte eine dunkle Zärtlichkeit für diese Frau, anders als je zuvor. Aber ich ließ nichts davon merken.

      Als wir höher stiegen, atmete sie mühsam und schwer und blieb immer wieder stehen, um sich den Schweiß abzuwischen, dabei sah sie blässer aus, als ich sonst an ihr gesehen hatte.

      „Ich weiß nicht, es ist mir nicht ganz recht,“ sagte sie. „Mich deucht, ich höre ein Fuhrwerk; wenn ich das erwarten könnte und ein Stück weit aufsitzen, das wäre gut. Du könntest derweil weitergehen, dir tut das Laufen gut, du hast junge Füße und ein junges Herz.“

      Das wollte ich meinen, daß ich das hatte. Ich ließ die Mutter auf einem Steinhaufen am Wegrand sitzen und ging voran, singend und pfeifend. Unter mir tat sich das Tal immer weiter auf, Dörfer lagen in der Sonne, und Höhenzüge traten hervor und grüßten herüber. Im reinen Blau des Maihimmels schwammen kleine, weiße Wölkchen dahin, und in den Ebereschen zu beiden Seiten der Straße pfiffen Ammern und Meisen in ausgelassener Daseinslust. Ich empfand mich jung, stark und froh, und es schien mir alles gut zu sein. Nach der Mutter sah ich mich nicht um. Ich wollte, wenn die Höhe vollends erstiegen wäre, auf das Fuhrwerk warten, aber meine Gedanken flogen ein paarmal zu ihr, weil sie mir das Herz so sonderbar bewegt hatte.

      Doch sagte mir keine Ahnung, auch nicht die leiseste, daß meine Mutter jetzt eben den Tod erlitt. Er war ihr lind und gut; er trat nur an sie heran, als sie erschöpft auf dem Steinhaufen saß und legte ihr die Hand auf das Herz, da hörte es auf, zu schlagen. Vielleicht sah sie ihn herankommen, ich weiß es nicht. Wenn sie ihn gesehen hat, das glaube ich, dann hat sie ihre hartgeschaffte Hand mit einem geduldigen Seufzer in seine knöcherne gelegt und sich von ihm führen lassen. Denn es war nichts von Widerstreben und darum auch nichts von Angst in ihr.

      Als der leere Müllerwagen kam, den sie gehört hatte, saß sie in sich zusammengesunken da, die Hände müd im Schoß und den Kopf auf der Brust. Die Sonne lag auf ihrem grauen Scheitel und der Müllerknecht meinte, sie schlafe.

      Als er merkte, daß sie tot sei, packte ihn ein Grauen, und er hieb auf seine Schimmel ein, daß sie die Steige hinaufrasselten, wie auf der Flucht. „Da unten sitzt ein totes Weib,“ rief er, als er mich sah, „weißt du, wer sie ist?“

      Da löschte mir mit einem Male die fröhliche Fackel aus, die mir den ganzen Morgen ins Leben hinein geleuchtet hatte, und es kam eine dunkle Wolke, die überzog Land und Himmel und meine Jugend und mich. Ich lief in verzweifelten Sprüngen die Steige wieder hinab, bis ich bei ihr war, und blieb in Herzensnot und Grauen bei ihr sitzen, bis Leute von oben herunterkamen, von dem Müllerknecht geschickt und sich unser annahmen.

      Sie wurde dort droben in dem Albdörflein begraben. Da war ein Platz frei in dem ganz zusammengesunkenen Grab der Großmutter meiner Mutter, das einst von der Familie gekauft worden war.

      „Da liegt sie gut,“ sagte der Vetter, den wir hatten besuchen wollen.

      „Die Großmutter ist ein braves Weib gewesen, bei der hat sie ihren Frieden. Und sie liegt im eigenen Grund und Boden, das hättet ihr in der Stadt drunten nicht zahlen können.“

      Da kam in aller Trauer noch ein kleines, bescheidenes Stölzlein in uns auf, auch in den Schwestern, die gekommen waren, daß wir hier an diesem Platz sozusagen ansässig seien, und wir waren einig damit, die Mutter hier zu lassen.

      Das liegt tiefer als es viele wissen, im Menschenherzen, daß es irgendwo unvertrieben sein will, daß es ein Stücklein Land besitzen will und wäre es noch so klein, teilhaben an der Erde, die unser aller Mutter ist.

      Im Leben hatte die Mutter immer im Hauszins wohnen müssen, nun ererbte sie im Tode ein eigenes, enges Häuslein und war nur gehalten, die bleichen, weißen Knöchelein der Urahne bei sich ruhen zu lassen, denn diese war immerhin vorher dagewesen.

      *

      Ein halbes Jahr nach der Mutter Tod wurde uns das Häuschen gekündigt, weil die Stadtverwaltung irgendeine Änderung in dieser Gegend vornehmen wollte. Da gab es einen schweren Abschied zwischen Meisters und uns. Denn wir zogen nun in zwei verschiedene Stadtteile. Auch Lotte hatte die Kündigung getroffen, und es war nun zwischen ihr und meiner Schwester Luise ein Abkommen wie zwischen Abraham und Lot: „Willst du zur Rechten, so geh' ich zur Linken, willst du aber zur Linken, so geh' ich zur Rechten.“ Luise wollte nun ein eigenes Bügelgeschäft aufmachen mit Lehrmädchen und Pariser Neubügelmethode, und dazu brauchte sie ein Feld für sich. Lotte aber zog ihre bisherige Kundschaft nach sich in ein Haus, das in der Nähe des alten lag. Sie waren beide wie Schwestern miteinander, es war nichts von Neid und Streit in ihrem Auseinandergehen, sondern, weil das Leben mit seinen Bedürfnissen es so verlangte, darum trennten sie ihre Wege und blieben sich um so mehr in Freundschaft zugetan.

      Wir zogen an einem Tag nach verschiedenen Seiten hin. Unsere Möbel waren aufgeladen und zeigten sich im Tageslicht und unter freiem Himmel als eine ärmliche Habe. Einmal waren sie auch neu gewesen und aus vielen Spargroschen mit Lust und Liebe nach und nach erworben worden, nun sah die neue Generation darüber hin als über etwas Abgängiges, es war aber so der Lauf der Welt. Wir gingen noch einmal durch die leeren Räume und sahen an den dunklen Stellen auf den verschossenen Tapeten, wo die Bilder gehangen waren: Hier des Vaters Bild und hier die Schlacht bei Leipzig, und dort der Haussegen, der die heilige Dreieinigkeit zeigte, je nachdem man links oder rechts oder in der Mitte stand, den Vater oder den Sohn, oder den heiligen Geist als Taube. Über der Bank war eine fettige Fläche, da hatte der alte Heinrich Kilian immer seinen Kopf angelehnt. Die Schwestern waren in gerührter Stimmung, als sie sich noch einmal hier umsahen und lehnten sich aneinander, wie um sich zu vergewissern, daß keine von ihnen allein in die Fremde geht. Mir aber war es unbehaglich zumute. Es ging so allerlei durch einen durch, wenn man hier seinen Gefühlen nachhing, es war wohl am besten, vorwärts zu gehen und sich nicht mehr viel umzusehen, sonst tat es in der Brust weh, und das Herz

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