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als ob vieles nachzuholen sei, aber es war mir immer darunter hinein unbegreiflich, daß es ihr nicht zu wenig sei, mit mir zu gehen, und ich hielt mich so aufrecht wie möglich. Inzwischen kamen wir auf den Marktplatz, wo sich eine bunte Menge von Menschen hin und her schob, unter die wir uns fröhlich mischten. Maidi fragte mich, wo ich eigentlich hin wolle, weil ich von einer Besorgung gesagt hatte, die ich machen müsse, aber ich lachte nur und sagte, das habe noch lange Zeit, und wir waren wie rechte Kinder, die nicht viel an nachher denken, sondern sich an dem, was gerade vor Augen ist, ganz vergessen.

      Es war ein selten schöner Tag, der dem Marktleben wohl bekam.

      An den Ständen der Schuster, der Hut- und Kappenmacher, der Messerschmiede und Wollwarenhändler drängten sich die Albbauern und ihre Weiber, aber da hatten wir nichts verloren, sondern wir gingen den Ausrufern nach, die vor ihren Schaubuden standen und alle Seltenheiten der Welt anpriesen. Da war ein ärmliches Leinwandzeltchen, in dem ein lebendiges Kalb mit zwei Köpfen zu sehen war, und daneben wurde eine Riesendame gezeigt, deren Bildnis in grellen Farben auf der Eingangsseite der Bude prangte und einem schlanken Herrchen zulächelte, das ihr auf einem Brett Würste, Schinken und einen angeschnittenen Brotlaib hinhielt und wie ängstlich schien, es möchte etwa aus Versehen mitgeschluckt werden. Ein Wachsfigurenkabinett war da, und ein schwindsüchtig aussehender Mensch in einem fadenscheinigen Frack lud die Leute hustend ein, hereinzuspazieren. Es sei da zu sehen die Ermordung Wallensteins, die Hamburger Kindsmörderin soundso, der Ritter Blaubart aus dem Märchen und Schneewittchen mit der bösen Königin, alles beweglich und in voller Arbeit. Er sah selber einer vergilbten Wachsfigur nicht unähnlich und bewegte wie automatisch den Kopf hin und her, um nach rechts und links hin die Leute einzuladen. Am Eingang der Bude saß ein prächtig gekleideter und angemalter Türke, der aus einer langen Pfeife sehr natürlich zu rauchen schien, und an seinen Knien lehnte eine wunderschöne Frau, die todunglücklich aussah und deren rabenschwarzes Haar ihr am Rücken hinunter und bis auf den Boden hinabfloß. Sie zwinkerte beständig mit den Augenlidern und hob hie und da in abgemessenen Zwischenräumen die beringte Hand, was alles ein wenig gespenstig aussah. Auch schien sie die Lippen zu regen, wenn man länger hinsah, und der schwindsüchtige Ausrufer sagte, es sei die Scheherazade, die beständig unter dem Henkersbeil lebe und sich nur ihr Leben retten könne, indem sie dem Sultan tausend und eine Nacht lang Geschichten erzähle. Es gingen ziemlich viele Leute hinein, Soldaten und Mägde und Arbeiter, die gerade aus den Fabriken kamen, und auch Schulkinder. Wir sahen einander fragend an, ob wir es auch wollten. Aber Maidi schüttelte nach kurzem Besinnen den Kopf, denn innen waren sicher grausige Dinge zu sehen, und sie ging lieber den fröhlichen nach, deren es genug hatte auf dem Markt. Da war gleich in nächster Nähe das Kasperletheater, das kam uns so recht gelegen. Wir stellten uns hinter den Seilen, die den Zuschauerraum umgrenzten, auf, und sahen zu, wie der Kasperle mit einem Prügel auf den armen Bauern einhieb, der ihm eine Katze in einem Sack hatte verkaufen wollen. Das war nichts so Besonderes, aber wir hatten schon selber die nötige Fröhlichkeit in uns und brauchten nicht viel Anstoß dazu, um mitzulachen. Es stand ein kleines Kerlchen neben uns, das sich vergebens auf die Zehen stellte, um etwas zu sehen. Das setzte ich auf meine Achsel, und nun schrie und strampelte es vor Wonne und brachte die ganze Umgebung ins Feuer mit seiner Begeisterung. Maidi aber lachte uns beide gut und freundlich an, das Kind und mich, und mich dünkte, es sei bis jetzt kein Tag in meinem Leben gewesen, der diesem gleichzustellen sei. Ich kaufte ihr ein Rosensträußchen aus Zucker und sie mir einen roten Ballon, den ich mit seinem Schnürchen in meinem Knopfloch befestigte, und das geschah beides neben dem Kasperle her, denn es gingen hausierende Verkäufer über den ganzen Markt hin und an uns vorbei. Da kam die Frau des Besitzers mit einem Sammelteller in unsere Nähe, und ich wollte mich eben davon drücken, wie wir Buben das in solchen Fällen sonst getan hatten, aber das schöne und anständige Wesen neben mir legte mir in aller Stille eine moralische Verpflichtung auf, so daß ich männlich in die Tasche griff und ein paar Nickel in den Teller legte: „Für uns beide,“ sagte ich wie selbstverständlich, und die Frau dankte achtungsvoll. Da überkam es mich wie eine heimliche Besitzerfreude, daß ich für Maidi bezahlt hatte und sie in diesem Augenblick zu mir gehörte, und es flog mir durch den Sinn, daß ich ungeheuer arbeiten wolle die nächsten Jahre, weil ich es bald zu etwas Rechtem bringen müsse. Aber es war nur so ein Augenblicksgedanke, und der nächste mußte wieder hier auf dem Platze sein, sonst verging etwas von dieser Stunde, ohne daß ich es genoß. Sie war ohnehin vorbei, eh' man es dachte. Vom hohen Kirchturm herunter schlug es sieben Uhr, und Maidi sagte mir wie erwachend, daß sie nach Hause müsse, und gab mir die Hand, als ob wir täglich beisammen wären. Aber als ich ihr mit plötzlichem Ernst sagen wollte, daß ich sie nun wahrscheinlich nie mehr sehe, weil ich in die Fremde gehe, sah sie drüben zwischen den Buden ihren Großvater gehen, der den Hut in der Hand trug, und in der ganzen Pracht seiner silbernen Haare und seines heiteren Gesichts einherschritt, und sie ging rasch davon, um ihn noch einzufangen und winkte nur noch einmal mit Hand und Augen grüßend zurück. Ich sah die beiden miteinander gehen und sah wohl, daß sie eines Blutes und einer Art waren: königlich, heiter, vornehm und frei. Mich aber hatte nur ein Sonnenstrahl getroffen, der gerade vorüberflog. Doch hatte er mein junges Blut erfreut und erwärmt, und es malte mir nun zum Dank tausend Bilder, die eine schöne, freudige Zukunft gaben. Ich hatte aber freilich noch nie daran gezweifelt.

      Wenn ich jetzt an meine Lehrjahre denke und sie an mir vorbeigehen lasse, so wundert es mich immer aufs neue, wie zufällig und ohne Einmischung von irgend einer väterlichen oder beratenden Stimme, ausgenommen meinen Rektor, meine Berufswahl vor sich gegangen war. Ich hatte wohl einen Vormund, den bäuerlichen Vetter, den ich damals mit der Mutter auf ihrem letzten Wege besucht hatte, aber er war froh, wenn wir Geschwister uns selber rieten, und sagte zu allem Ja und Amen. So sah ich mich auf einmal in der neuen Umgebung auf eine Bahn gestellt, von der ich gar nicht wußte, ob ich für sie und sie für mich tauge und von deren Möglichkeiten ich wenig genug kannte. Es hätte aber schlimmer ausfallen können, als es geschah, denn ich hatte tüchtige Lehrmeister, wenn auch meiner Meinung nach nicht die angenehmsten, nämlich lauter ältere Männer, die einer um den andern so vertrocknet waren, wie alte Wüstenheilige; wenigstens kamen sie mir so vor. Sie waren alle, ein Buchhalter und ein paar Gehilfen, schon lang im Hause Hagenau, dem sie mit großer Zähigkeit anhingen, und wußten, wie es mir schien, nichts Besseres, als auch vollends darin abzusterben, was mich mit Grauen und einem zornigen Widerstand erfüllte. Ich kam mir vor wie das Entlein auf dem gefrierenden Teich im Märchen, das rudert und rudert, um nicht mit einzufrieren, und das eines Morgens dennoch tot im Eise steckt, so frostig dünkte meiner warmen Jugend das umgebende Alter, dem ich dennoch nicht entfliehen konnte. Doch muß ich ja sagen, daß man in unreifen Jahren die Altersgrenze bei andern, die einem um ein Stück voraus sind, niedrig genug steckt, und sie erst sachte hinauszurücken anfängt, wenn man selber dabei in Betracht kommt. Es war vielleicht nicht gar so weit damit bei den Herren, von denen nur einer, der die Bücher führte, angegraute Haare hatte, während ein anderer, der sein intimer Freund war, mit einer tüchtigen Glatze herumlief, was mir alles für mich selbst in unendlichen Fernen zu liegen schien. Heute denke ich schon etwas anders darüber. Der Buchhalter war mir eigentlicher und nächster Vorgesetzter, da der lederbraune Herr Hagenau stets in seinem kleinen Privatkontor steckte und nur zu besonderen Gelegenheiten daraus hervorkam, wo er mich kaum beachtete; wenigstens kam es mir so vor. Das war mir einesteils angenehm, da ich mich törichterweise schämte, von ihm gesehen zu werden, wenn ich, der ich noch vor kurzem ein Primaner gewesen war und ein Student hatte werden wollen, nun Dinge zu tun hatte, die jeder frisch entlassene Volksschüler auch konnte, denn die geschäftserfahrenen Herren schenkten mir nichts von allem, was einem Lehrling gebührt. Ja, sie hielten mich wohl grundsätzlich ein wenig drunten, als sie meine junge Überheblichkeit bemerkten, der dies und jenes unnötig erschien, was durch Brauch und Herkommen geheiligt, sein und geschehen mußte, und das mir tödlich langweilig war. Ich hatte nicht von ferne gedacht, daß es solches auf der Welt gebe. Da waren Register zu führen von solcher Umständlichkeit, und die so vielfach verästelt waren, daß es mir vorkam, als ob ein findiger Kopf, dem es zugleich um eine tüchtige Bosheit zu tun gewesen sei, ein System ausgeheckt habe, das unzweifelhaft alle, die sich damit befaßten, in die Irre und im Kreis herum führen müsse.

      Einmal getraute ich mir, einem der Gehilfen, der es mir auseinandersetzte, einen Vorschlag zu machen, wie man irgend ein Ding meiner Ansicht nach etwas einfacher angreifen könnte. Aber der sah mich von seinem Schreibbock herunter an mit einer

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