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war ein großes Erstaunen, als ich mit meinem Plan daherkam, der schon auf dem kurzen Weg nach Hause deutliche Gestalt in mir gewonnen hatte. Die Buchhandlung, um die es sich handelte, war in einer Stadt, von deren Schönheit ich schon viel gehört hatte, unfern des Rheins und des Schwarzwaldes, also immerhin weit genug von meiner Heimat entfernt, um den Zauber der Ferne und Fremde für mich zu haben. Die Schwestern waren ein wenig enttäuscht, daß nun kein Student zu ihnen in die Ferien kommen würde und kein studierter Herr einmal mit einem guten Titel etwa in der Zeitung stehe, von dem sie dann sagen konnten, das sei ihr Bruder. Auch ging es vielleicht tiefer bei ihnen, daß sie mir in Wahrheit alle Pforten des Lebens wollten aufgetan wissen. Aber ich sagte mit schnell angenommener Überlegenheit, daß ich es auf diesem Wege mindestens gerade so weit bringen werde, als auf dem andern, und daß ich überhaupt trachten werde, so bald als möglich selbständig zu werden. Das rührte die Schwestern tief, denn ich hatte ihnen noch nicht oft gezeigt, daß ich an ihre Arbeit und Mühe für mich denke, und so gern sie alles für mich taten, so tat es ihnen doch wohl, daß ich nicht nur so ins Blaue hinein alles anzunehmen schien. Aber sie wußten nicht, daß ich vor dem Besuch bei dem Rektor noch keinen Augenblick daran gedacht hatte, und von mir aus brauchten sie es auch nicht zu wissen.

      Am andern Tag ging ich wieder zu dem Rektor hin, und da war dann auch der Buchhändler, der ein alter Junggeselle war und äußerlich nichts vorstellte. Er trug sich in einem lederfarbigen Braun und hatte selber eine etwas vergilbte, pergamentene Haut, und ich weiß nicht, wie mir so geschwind der Gedanke kam, er sehe aus, wie ein antiquarisches Exemplar etwa des Horaz oder sonst so eines alten Weisen, in Leder gebunden. Darüber ging mir, ehe ich es verhindern konnte, ein Lachen über das Gesicht, und der Rektor, der dabeistand, fragte mich: „Was haben Sie Heiteres, Fugeler?“ Aber ich faßte mich schnell und machte ein ernsthaftes Gesicht und sagte, es sei mir draußen auf der Gasse ein Kameltreiber begegnet mit drei Äffchen, die seien so possierlich gewesen. Das war schon wahr, aber gelacht hätte ich darum nicht.

      „Sie sind noch sehr jung, mein Lieber,“ sagte der alte Herr, der Hagenau hieß, und meckerte ein wenig. Das war bei ihm gelacht. Ich sagte, daß ich achtzehn sei und das Maturum gemacht habe, und das hatte er ja auch schon gewußt und die Bemerkung nur meines unzeitigen Lachens halber gemacht.

      Wir kamen aber darauf gut ins Gespräch und einigten uns auch darauf, daß ich am ersten Oktober bei ihm eintreten und drei Jahre lernen solle, ohne Gehalt, aber mit freier Kost und Wohnung in seinem Hause. Später sehe man wieder. Er habe es mit einem, der sich zur Sache anlasse, gut im Sinne, wolle aber vorher sehen, was an mir sei. Darum, daß er ein Junggeselle sei, brauche ich mich nicht um das leibliche Auskommen bei ihm abzukümmern. Er habe eine Schwester bei sich, die mich so wohl versorgen werde, als eine rechte Hausfrau, und sie sei auch sonst gut, ich komme bei ihr in gute Hände. Zu lernen gebe es genug für einen, der strebsam sei, es müsse nicht alles auf Universitäten erworben werden, es gebe auch sonst noch Möglichkeiten. Das kam mir alles ganz richtig und vernünftig vor, und auf dem Heimweg kaufte ich mir ein steifes Hütlein, weil ich das Gymnasiastenwesen abgelegt hatte und in eine Bahn einlenken wollte, auf der es frühzeitig dem Ernst des Lebens zuging.

      Als ich aber nur noch ein paar Schritte von unserem Haus entfernt war, sah ich eine helle, schlanke Mädchengestalt in Luisens Bügelstube von der Straße her eintreten, und als ich gleich nach ihr auch dort hineinging, war es Maidi, mit er ich als kleiner Bube im Garten gespielt und Kirschen gegessen hatte, und die ich noch gut genug kannte. Sie war eine Berühmtheit unter den Gymnasiasten ihrer feinen Schönheit wegen, und es galt für eine Ehre, wenn man sie grüßen konnte; da neigte sie leicht den Kopf, wie ein Königskind, und war dabei doch keine stolze Jungfer, sondern eine freudige Augenweide.

      Geredet hatte ich nie mehr mit ihr seit jenem Gartentag, nun stand sie hier in der halbdunkeln Bügelstube, in der man schon das Gas anzünden mußte und war wie eine Sonne darin. Da ärgerte mich auf einmal mein steifes Hütlein, und ich tat es schnell in ein Fach hinein, in dem Stärkwäsche lag, weil es gar nicht zu ihr paßte. Sie hatte ein hellblaues Kleid an und niedere braune Schuhe, und ihren langen, blonden Zopf hatte sie hinten im Nacken mit einer blauen Schleife hinaufgebunden, auf der kleine rote Punkte saßen, wie lauter Herrgottskäfer. Um ihr Gesicht her aber drängten sich lustige Löckchen unter dem breiten Hut hervor, und auf dem Hut lag ein Kranz von Margeriten. Sie sah aus, als ob sie zu einem Fest ginge, aber das war bei ihr immer so, und das Fest war ihr junges Leben, in das schritt sie hinein in ihren hübschen braunen Schuhen.

      Ich konnte sie beobachten, ohne daß sie mich sah, denn ich war hinter den Vorhang getreten, der den Eingang in ein Nebenkämmerchen verdeckte und sah hinter demselben vor in ihr helles Gesicht. Sie hatte eine Bestellung zu machen. Es sollte regelmäßig zu bestimmten Zeiten Wäsche abgeholt und wieder hingebracht werden und sie nannte dazu das Haus ihres Großvaters, in dem sie mit ihrer Mutter und ihrem Bruder wohnte. Der Vater, der zum Ganzen gehörte, war nicht mehr vorhanden, und ich wußte, daß er irgendwie nebenhinaus gegangen war auf der Welt und wohl noch lebte, aber nicht mehr zu den Seinigen gehörte. Wie es zusammenhing, wußte ich nicht, aber es hatten also doch auch schon dunkle Schatten das junge Leben gestreift, das hier in aufblühender Pracht in unserer Stube stand und mit meiner Schwester sprach. Als mir das einfiel, gewann ich auf einmal die Macht, hinter meinem Vorhang hervorzutreten und sie anzureden, denn sonst wäre sie mir zu schön dazu gewesen und zu hoch, so freundlich sie auch aussah.

      Ich überlegte mir auch, was ich zu ihr sagen wollte. Sie hatte einen Vetter, der war mein Schulkamerad gewesen und war nun seit einem Jahr bei der Marine, und er war es auch gewesen, der bei den Kameraden immer ihren Preis verkündigt hatte. Nach dem wollte ich sie fragen. Aber ich war es nicht gewohnt, junge Mädchen anzureden, so oft ich es auch in der Phantasie tat, und so stand ich etwas verlegen herum, als ich sie gegrüßt hatte.

      Da sah ich an ihrem Gesicht, daß sie mich auch kannte, vielleicht noch von damals her, und daß lustige Lichter darüberflogen wie Sonnenvögel und sie ein Lachen unterdrücken wollte, das um jeden Preis gelacht sein mußte.

      Es war sicher, sie kannte mich noch und auf einmal sagte sie: „Da wohnen Sie jetzt? Seit wann? Wissen Sie noch, damals? Sie erzählten mir von Ihrem Garten, und –“ da wurde sie doch ein bißchen rot und ich auch, denn es war ein heikler Punkt. Und in der Verlegenheit fingen wir beide an zu lachen und wurden dadurch ganz erlöst. Denn wenn man darüber lachen konnte, dann war es nicht mehr schlimm. „Ja, ja“ sagte ich, „ich habe damals, glaub' ich, ein bißchen dazu erfunden, und nachher hatte ich immer Angst, Sie könnten einmal kommen und ich stehe dann mit Schanden da.“

      Aber als ich das sagte, war es mir inwendig heiß vor Glück, daß sie mich so gut kannte, und daß sie noch an damals dachte, und es kam mir auch sonderbar vor, daß wir nun Sie zueinander sagten, denn ich hatte immer in Gedanken Du zu ihr gesagt.

      „Ich bin auch einmal gekommen,“ sagte sie, „das Verlangen war immer stärker geworden in mir, und der Garten immer größer und die Nelken immer röter. Wissen Sie noch, von der Katze, die da herumgehen und Funken sprühen sollte und von der Musik, die der alte Mann machte? Da brachte ich es einmal mit List heraus, wo Sie wohnten und suchte mir den Weg. Aber als ich die Häuschen sah und die kleinen Gärtchen davor, da wurde ich böse und traurig und hätte fast geweint vor Zorn und Enttäuschung. Und meine Mutter sagte nachher, als ich es ihr erzählte: „Siehst du, man muß auch nicht alles untersuchen wollen, das geht noch mit vielem so im Leben.“ Und sie sagte, daß das Bübchen damals nicht gelogen habe, es habe es alles so im Herzen gehabt, wie es gesagt habe.“

      Als Maidi das alles erzählte, sah ich so unbegreiflich deutlich wieder das kleine Mädchen von damals vor mir und die schöne junge Frau mit dem Kinde, und es war mir, als gehöre ich irgendwie zu ihnen. Die Bügelmädchen sahen mit Staunen zu und Luise auch, daß wir so ins Reden miteinander kamen, aber ich machte mir gar nichts daraus, sondern als Maidi gehen wollte, fragte ich ganz kecklich, ob ich ein Stückchen mit ihr gehen dürfe, ich müsse sowieso noch einmal in die Stadt. Sie sagte auch freundlich: ja, das dürfe ich gerne, und wir wollen dann über den Marktplatz gehen, weil Messe sei.

      Da ging ich denn nun neben dem allerschönsten Mädchen her, das ich kannte, aber ich hatte meine Schülermütze aufgesetzt und das Hütlein daheim gelassen, und nun pochte mir das Herz wie ein Schmiedehammer, weil solche Dinge geschahen, nicht in Träumen, sondern

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