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gerade lang genug, um zu sehen, daß es für mich noch unabsehbare Goldfelder umzupflügen, Meere zu befahren, Bergwerke auszugraben gab in der Welt der Dichter und der Weisen. Nach und nach fingen einzelne Namen an, aus den vielen anderen herauszuglänzen, wie an dem unübersehbaren Sternenhimmel dem Liebhaber und Beobachter, je fleißiger er hinaufschaut, einzelne herausleuchten in besonderer Klarheit, um die sich dann wieder andere zu sammeln scheinen in milderem Glanze. Wenn mein Prinzipal im Laden stand und etwa mit einem der bekannteren Kunden verhandelte, so konnten sie miteinander in ein Feuer geraten über dies oder jenes Buch, daß der trockene und etwas angestaubte Mann wie verjüngt und verwandelt schien. Dann horchte ich auf meiner Leiter oder wo ich gerade war, und beschloß, mir das Kleinod dem Inhalt nach auch anzueignen, denn es stand mir ja die ganze Schatzkammer offen. Ich fing an, in meinen Freistunden zu lesen, über Mittag und am Abend bis tief in die Nacht hinein und es schien mir, als ob ich nicht aufhören könne, ehe ich alle Schönheit und allen Reichtum in mich hineingetrunken hätte, und kam mir ja freilich dazwischen hinein vor wie das Knäblein des heiligen Augustin, das in seine kleine Schale das große Weltmeer fassen wollte.

      Aber ich hätte mich vielleicht doch verirrt in den weiten Gärten der schönen Literatur, denn dahinein zog es mich zuerst und mit aller Macht, wenn sich mir nicht ein besonderes Schloßgärtlein aufgetan hätte, in dem das Schönste vom Schönen blühte. Es war ein kleiner, offener Mahagonischrank, mit Büchern angefüllt, der in dem Zimmer des Fräulein Brigitte Hagenau stand. Das war die Schwester des Prinzipals, und ich kann kaum erwarten, von ihr zu reden.

      Ich habe bei ihr viel für meinen Beruf gewonnen, was mir sonst niemand geben konnte; aber noch mehr fürs Leben. Die Werke der Dichter hatten eine stille Heimat bei ihr; sie sprach von den besten unter ihnen als von ihren Freunden und lehrte mich, den Edlen aufgeschlossen und ehrfürchtig entgegen zu kommen, nur dadurch, daß sie selbst es tat. Was echt war und aus den Tiefen des Lebens stammte, das nahm sie freudig auf, und lehnte alles Halbe, Oberflächliche, oder was nach Gunst und Mode ging, ab; so war sie mir ein Wegweiser, als ich dessen sehr bedurfte, und glücklicherweise ohne einen solchen darstellen zu wollen.

      Ich hatte noch nie gesehen, daß man so las wie sie, die ein Buch genoß, wie man edlen Wein aus kristallenen Kelchen langsam schlürft, zugleich den Duft genießend mit dem kühlen Labsal; ich selbst hatte, von dem großen Reichtum berauscht, angefangen, eins ums andere zu verschlingen, wie man wohl an heißem Tage ein Glas Apfelmost nach dem anderen mit langen, durstigen Zügen leert, ohne doch mehr davon zu haben, als den prickelnden Reiz, mit dem er durch die Kehle fließt.

      Nun, ich war jung und fing erst an, in dieser Welt daheim zu werden; sie aber lebte schon lang darin und verlangte nichts von mir, was meinen Jahren nicht natürlich war, denn sie war keine vorsätzliche Einwirkerin, sondern lebte, wie sie ihrem Wesen nach mußte, ohne damit Schule zu machen.

      Es war viel anderes, was ich von ihr hatte, und mehr, was ich hätte haben können, wenn ich den Sinn dafür gehabt hätte. Sie ist einer der wenigen Menschen aus meinen jungen Jahren, an die ich ohne Leid und Reue zurückdenken kann, und wenn ich auch zuzeiten manches vergaß oder in den Winkel stellte, was Lebendiges von ihr hätte mit mir gehen und mein Tun bestimmen sollen, so habe ich doch sie selber verehrt und sie hochgehalten, und sie ist mir gut gewesen wie eine Mutter oder eine Freundin.

      Davon will ich nichts vergessen.

      Als ich sie zum erstenmal sah, erschrak ich vor ihr, denn sie war klein und stark verwachsen und hatte den Kopf tief zwischen den Schultern sitzen. Sie saß mir am Tisch gegenüber, neben ihrem Bruder, und sprach unbefangen, frei und heiter, fragte mich nach der Reise, von der ich gerade erst herkam, und nach allerlei anderem und war in allem ein Mensch, der dem Schicksal gewachsen oder sogar überlegen ist, da sie doch mit einem mißratenen Körper hausen mußte und von Rechts wegen hätte bedrückt und kleinlaut sein sollen meiner Meinung nach. Denn ich begriff nicht, wie man leben und dazu noch heiter sein mochte, wenn man nicht aufrecht und gerade gewachsen war.

      Es sahen auch lauter stattliche Leute auf sie hernieder von den Wänden, nämlich eine Anzahl von gemalten Vorfahren, die mit klugen und aufrecht getragenen Köpfen unter feinen Hauben oder Perücken hervor zu fragen schienen, wie eins aus der Familie so kümmerlich habe werden können, und deren Gesichter sie aber nicht im mindesten zu scheuen schien. Im Gegenteil blickte sie aus großen grauen Augen warm lebendig drein und hatte alle Augenblicke ein solches Lächeln um den Mund, als ob sie über alles hinüber inwendig etwas freue, und ich hielt mein Gesicht nicht im Zaum, das sie erstaunt betrachtete.

      Es fiel mir auch auf einmal ein Spiel ein, das wir daheim gehabt hatten mit zerschnittenen menschlichen Figuren, die man wechselsweise zusammensetzen konnte nach Belieben; und es fuhr mir so durch den Sinn, daß hier aus Versehen oder im Spiel ein feiner, wohlgebildeter Kopf auf ein Körperlein gesetzt sei, das ihn nicht aufrecht zu tragen vermöge, während vielleicht anderwärts ein grotesker Schädel auf schönen, schlanken Schultern ruhe und man nun die Figuren wieder verwechseln müsse, daß sie in Richtigkeit seien.

      Darüber kam mich ein kleines dummes Lachen an, das ich mit aller Mühe nicht schnell genug erwürgen konnte, und plötzlich sah ich die schönen Augen der Hauswirtin groß und ein wenig verwundert auf mir liegen, so als ob sie schon alles wüßten, und kam mir unter ihnen wie ein rechter Schulbub vor, da ich doch hatte in allem Ernst mit der Männlichkeit anfangen wollen.

      Sie ließ es mich aber nicht entgelten, sondern lachte mich auch ein wenig an ohne alle Empfindlichkeit, aus einer ganz jugendlichen Seele heraus, die alles versteht, was junge Dummheiten sind, so daß ich mit einem Schlag für sie gewonnen war und ihr am liebsten alle meine Gedanken gesagt hätte.

      So kann es zugehen, daß man einen achtzehnjährigen Jüngling gewinnt, habe ich später oft gedacht, denn es wissen es nicht alle Leute so gut anzugreifen. Aber es gibt freilich auch nicht viel Brigitten.

      An jenem Abend, den ich noch ein wenig vor mir ausbreiten will, weil es der erste war, stand sie gleich nachher auf und ging ans Klavier, da spielte sie ohne Noten eine Musik, welcher der Bruder, in einer Ecke sitzend, mit in die Hände vergrabenem Kopf zuhörte und welche mich fremd und geheimnisvoll berührte. Ich hatte bis jetzt noch nicht viel Musik gekannt, und jedenfalls gar keine intime, wie diese hier, die eigentlich nur auf einen Zuhörer berechnet war, denn ich, das fühlte ich wohl, saß nur dabei und störte vielleicht sogar. Aber ich schaute doch aufmerksam nach dem Klavier hin und mußte mich wundern, wie sicher und kräftig das Fräulein mit schlanken, schönen Händen auf den Tasten herumregierte und das Instrument nach einem inneren Wissen zum Erklingen brachte, so, daß es inwendig in mir mitklang.

      Ich mußte an daheim denken, an meine Mutter und an Heinrich Kilian, die beide schon lange vom Leben hinweggegangen waren, und die mir nur ganz selten einfielen, und auch an meine Schwestern, wie sie morgens an der Eisenbahn gestanden waren in ihren grauen Regenmänteln und mit ihren freudlosen Gesichtern, die meinem Fortgehen galten. Es rührte sich allerlei in mir, daß ich ihnen gern ein gutes Wort gesagt hätte, weil sie immer im Geschirr stehen mußten und nie hinauskamen, und weil ihnen nie etwas zu viel war für mich. Aber sie waren nun fern von mir, und am Ende hätte ich doch nichts gesagt, wenn ich sie dagehabt hätte, denn es war nicht der Brauch bei uns. Das machte alles nur die Musik, ich wußte nicht, wie es zuging.

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