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– einschränken muß: Besser in einer Hütte mit ihm, als in einem Schloß ohne ihn. Das ist nicht Hörigkeit, sondern tiefinnerstes Zugehörigkeitsgefühl. […] Und wenn Vater damals schrieb, daß im Grunde er es wäre, der für den Luxus, Jan zu haben, bluten müsse, kann ich nur sagen: Jan ist für mich nötiger wie das tägliche Butterbrot.«48 So verbringt er mit Kurzke den Sommer 1925 auf Hiddensee, wo er sich »nach dieser teuflischen Saison […] an See, Luft, Sonne und Jan von allem Häßlichen des Winters«49 erholt.

      Für die neue Spielzeit 1925/26 hatte Gründgens erstmals einen – mit monatlich 650 statt 320 Mark wesentlich besser dotierten – Dienstvertrag als Schauspieler und Regisseur erhalten und sich den Passus erkämpft: »Falls HAMLET zur Aufführung kommen sollte, hat Herr G. das Recht, den Hamlet in der Premiere zu spielen.«50 Zu Beginn der Saison inszeniert er im 816 Zuschauer fassenden Komödienhaus, dem ehemaligen »Hammonia-Varieté« gleich hinter den Kammerspielen an der Norderstraße, wo Ziegel seit 1920 vor allem Lustspiele und Possen zeigt, Carl Laufs’ Schwank PENSION SCHÖLLER und spielt selbst den Eugen Rümpel, dann am Besenbinderhof erstmals den skrupellosen Christian Maske in Carl Sternheims SNOB und kurz darauf den Angelo in Shakespeares MAß FÜR MAß: »der letzte Sprößling eines überzüchteten Adelshauses, dem sich das rote Blut schon in grünes Eiswasser zersetzt hat«51. Den Hamlet gibt er zwar – noch – nicht, dafür im weiteren Verlauf dieser Spielzeit Rollen wie John Tanner in George Bernard Shaws MENSCH UND ÜBERMENSCH, einen reichen, jungen Mann, der revolutionäre Ideen verficht und, ohne es zu wollen, Vormund einer exzentrischen jungen Frau wird, und in Jules Romains’ Komödie DR. KNOCK ODER DER TRIUMPH DER MEDIZIN den ehrgeizigen Mediziner Dr. Knock, der, um seinen Reichtum zu mehren, die robuste und gesunde Bevölkerung eines französischen Dorfes in Dauerpatienten verwandelt. Regie führt als Gast der später vor allem durch seine Zusammenarbeit mit Bertolt Brecht in die Theatergeschichte eingegangene Erich Engel.

      Gründgens inszeniert Büchners LEONCE UND LENA als heiteres Märchenspiel ohne einen Anflug bitterer Satire und gibt darin einen frivol-narzißtischen Prinzen Leonce. In der Premiere am 5. September sitzt der 18jährige Klaus Mann und findet den Schauspieler Gründgens, den er zum ersten Mal sieht, »recht gut«52. Klaus, der älteste Sohn des berühmten Literaten Thomas Mann, der im Jahr zuvor den ZAUBERBERG veröffentlicht hatte, versucht sich ebenfalls als Autor, hatte vor kurzem den vielbeachteten Novellenband VOR DEM LEBEN vorgelegt und steht unmittelbar vor dem Abschluß seines Romandebüts DER FROMME TANZ, das ein ekstatisches Coming-out und einer der ersten Homosexuellen-Romane der deutschen Literatur überhaupt wird. Auch ein erstes Theaterstück hatte er in gerade einmal zwei Wochen heruntergeschrieben: ANJA UND ESTHER, dessen Buchausgabe bereits erschienen ist, gewidmet dem Schauspieler Hans Brausewetter, für den Klaus Mann schwärmt. Nach dem Scheitern des etwas überspannten Plans einer Max-Reinhardt-Inszenierung mit Elisabeth Bergner hatte sich der junge Autor bei den Theaterdirektoren Arthur Hellmer, Theodor Tagger (alias Ferdinand Bruckner) und Victor Barnowsky vergeblich um eine Aufführung in Berlin bemüht. Nun spricht er also bei Ziegel in Hamburg vor – mit Erfolg. Zwei Tage nach der Uraufführung an den Münchener Kammerspielen wird das schwermütig-laszive, eher lyrische als dramatische Stück am 22. Oktober 1925 auch an den Hamburger Kammerspielen gezeigt. Erst 14 Tage vor der Premiere war auf Initiative des mit der Regie betrauten Gründgens53 eine spektakuläre Besetzung zustande gekommen, die optimale Publizität garantieren soll: Neben dem Regisseur selbst als Jakob (bereits seine 40. Rolle in Hamburg!) und dem Schauspieler Wolfgang Heinz als dem »Alten«, dem merkwürdigen Leiter des sonderbaren Stifts, das Schauplatz des Dramas ist, steht in der Rolle des Dichters Kaspar der als Schauspieler völlig unerfahrene Autor auf der Bühne, zudem gastieren als titelgebendes lesbisches Liebespaar Erika Mann54, die 1924/25 bei Max Reinhardt in Berlin und in dieser Spielzeit am Schauspielhaus Bremen verpflichtete ältere Schwester von Klaus55, und Frank Wedekinds Tochter Pamela Wedekind56, am Ostpreußischen Landestheater in Königsberg engagiert und seit Sommer 1924 mit Klaus Mann verlobt.

      Gründgens, der die Gesellschaft der weltläufigen, extravaganten Dichterkinder genießt und mit ihnen nachts durch die Kaschemmen von St. Pauli streift, lobt im Freihafen, den Blättern der Hamburger Kammerspiele, den literarischen Newcomer emphatisch, wenn auch vielleicht nicht ganz aus Überzeugung, sondern der Publicity wegen: »Die jüngere Generation hat in Klaus Mann ihren Dichter gefunden. […] Mit unerbittlicher Liebe zeigt er seine Generation in all ihrer wissenden Unwissenheit, ihrer gehemmten Hemmungslosigkeit, ihrer reinen Verworfenheit. […] Man muß sie lieben, diese Menschen, die soviel Liebe in sich haben, und mit wissender Schmerzlichkeit ihre Irrwege gehen. […] Lieben muß man vor allem den Dichter dieser Menschen, der seine Gestalten so beseelt und leidvoll durch dies erregende Stück sendet und […] mit hilfreicher Hand zur Klarheit führt. Und das ist das Wesentliche an Klaus Mann: Er ist nicht nur ein Schilderer der neuen Jugend, er ist vielleicht berufen, ihr Wegweiser zu werden.«57

      Klaus Manns ziemlich mißratenes »romantisches Stück in sieben Bildern«, das der Kritiker Herbert Ihering anläßlich einer Berliner Inszenierung »den szenischen Marlittroman der Homosexualität«58 nennen wird, spielt in einem »›Erholungsheim für gefallene Kinder‹, worunter man sich eine Mischung aus Ballettschule und Sanatorium mit einem Einschlag von Gefängnis, Bordell und Kloster vorzustellen hat«59. Jakob, »ein gehemmter Melancholiker«60 betet die schwermütige Anja an, die jedoch ein intimes Verhältnis mit der bisexuellen Esther hat, welche sich wiederum in einen unvermittelt auftauchenden proletarischen Draufgänger namens Erik verliebt und das Heim verläßt, während Anjas Halbbruder Kaspar »alle und keinen liebt«61. Klaus Manns dramatischer Erstling, dessen gestelzte Sprache und dünne Handlung in peinlichem Kontrast zum philosophischen Anspruch stehen, stößt zwar beim Publikum auf großes Interesse, erntet aber neben einigen wohlwollenden Reaktionen vor allem Verrisse – immerhin »ein ziemlich lauter succès de scandale«62, wie Klaus Mann meint. »Klaus Mann und Gründgens schwammen in einer fast unerträglich dekadenten Atmosphäre«63, heißt es, und daß das »Herumwühlen in sexuellen Entartungsmöglichkeiten«64 abstoßend sei. Diese Jugend, die »nichts bewegt als die Wirrnis pervertierter Liebesgefühle«, solle »ihre düsteren Angelegenheiten im Stillen mit sich selbst abmachen, aber nicht vor der Öffentlichkeit«65. Gründgens habe als »verzerrter Erzengel« die interessanteste Figur darzustellen, findet das Hamburger Echo: »Leider gerät auch ihm schon einzelnes als übertriebene Wirkung. Der Eindruck war trotzdem stark.«66 Klaus Mann klagt bei seinem Vater über das »boshafte, gehässige und voreingenommene Mißverständnis, das fast die gesamte Presse mir entgegengebracht hat«67, nicht ahnend, daß auch Thomas Mann ANJA UND ESTHER als »unbeschreiblich gebrechliches und korruptes Stückchen«68 wertet. In Hessen wird es nach einer Inszenierung am Landestheater Darmstadt gar zu einer Landtagsdebatte kommen, in der man sich über den »Schmutzfladen« empört, der »auf krankhaft perverse Weise« die Frau »auf die Stufe tierhafter Schamentblößung« herabsetze und »Schrecken und Grauen zugleich«69 erwecke. Doch der Effekt ist enorm, halb Deutschland spricht von den »Dichterkindern« Klaus, Erika und Pamela, deren Bild am 31. Oktober 1925 sogar auf der Titelseite der Berliner Illustrirten Zeitung prangt. Gründgens, auf dem Originalphoto als vierter zu sehen, hatte man jedoch einfach abgeschnitten. »Welch ein Moment tödlicher Peinlichkeit, da er den Affront entdeckte!«, heißt es in einer später gestrichenen Passage in Klaus Manns autobiographischem »Lebensbericht«, DER WENDEPUNKT. »Er saß regungslos, sehr steif aufgerichtet, die Lippen aufeinandergepreßt, das Gesicht zur fahlen Maske erstarrt. Kein Wort, keine Geste – nur der stumme Vorwurf seiner Juwelenaugen! Es war fast unerträglich.«70

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      Erika Mann, Klaus Mann, Pamela Wedekind und Gustaf Gründgens 1925 in Hamburg

      © Theatermuseum Düsseldorf

      Klaus Mann ist von dem sieben Jahre älteren charismatischen Schauspieler durchaus fasziniert: »Er glitzerte und sprühte vor Talent, der charmante, einfallsreiche, hinreißend gefallsüchtige Gustaf! Ganz Hamburg stand unter seinem Zauber. Welche Verwandlungsfähigkeit! Welche Virtuosität der Dialogführung, der Mimik, der Gebärde! […] So

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