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die noch immer verlobten Pamela Wedekind und Klaus Mann – der bayerische Justizminister weigert sich, Klaus Mann vorzeitig die für eine Heirat notwendige Mündigkeit zu attestieren. Nach den Skandalen um ANJA UND ESTHER ist das Interesse an dem Folgeprojekt groß, Klaus Mann erhofft sich den endgültigen Durchbruch. Doch der Stoff ist zu dünn, der Vertrieb des fertigen Stückes erweist sich als schwierig, schließlich arrangiert man in monatelanger Vorarbeit eine Tournee. Ein weiteres Dichterkind, Carl Sternheims dem Rauschgift verfallene Tochter Thea, »Mopsa« genannt, entwirft die Ausstattung, Klaus Pringsheim komponiert die Bühnenmusik. Das Stück erzählt die Geschichte von vier exzentrischen Jugendlichen, der Hutmacherin Renate, der Schauspielerin Ursula Pia, dem Regisseur Allan und dem Dichter Michael, die eine »kolossale Revue« aufführen wollen, eine »gewaltige Darbietung«. Sie soll »unsere neue, strahlende Körperhaftigkeit darstellen, wie unsere geistigen Kompliziertheiten« und »halb den Charakter einer russisch-proletarischen Festlichkeit, einer kollektivistischen Massenfreude« tragen, »halb als amerikanisches Music-Hall-Stück durch blendende Smartheit und Exaktheit«27 faszinieren. Während der Uraufführung dieser Revue sorgt die eifersüchtige Ursula Pia, Allans Verlobte, dafür, daß Michaels Freundin Renate in ihrer Glanzszene eine Treppe hinunterstürzt, was den Mißerfolg der Revue besiegelt. Renates pathetischer Aufruf an die Jugend der ganzen Welt geht im Tumult unter, die vier fliehen in ein Vorstadthotel – und tauschen dort die Partner. Gründgens, der Klaus Manns Stück schrecklich findet, läßt sich von Erika zur Mitwirkung überreden – sie soll mit Trennung gedroht haben, falls er »den Spielverderber«28 mache. Er übernimmt also die Rolle des Allan und die Regie, die er allerdings zeitweilig an Pamela Wedekind abgibt. Zu den weiteren Darstellern des kleinen Ensembles gehört als Tänzer Jupp der 23jährige Martin Kosleck, in den sich Klaus Mann »unendlich verliebt«29 hat und der seine Homosexualität so offensiv auslebt, daß man in Berlin (in Anlehnung an den berühmten Namensvetter Julius Kosleck30) vom »Kosleckschen Bläserchor« spricht.31 Und in dem kleinen Part eines Photographen steht der ebenso schwule Hans Deppe auf der Bühne, nach dem Zweiten Weltkrieg mit Streifen wie GRÜN IST DIE HEIDE und SCHWARZWALDMÄDEL der erfolgreichste deutsche Heimatfilmregisseur.

      Die Premiere der REVUE ZU VIEREN findet am 21. April 1927 am Alten Theater in Leipzig statt, danach gastiert man an den Hamburger Kammerspielen. »Das Stück und sein Verfasser sind eine Angelegenheit für den Psychopathen, nicht fürs Theater«, heißt es in der Hamburger Zeitung, die Klaus Mann und seine Schwester als »darstellerisch unfertig, aber wenigstens voll gläubiger Hingabe« immerhin verhalten, seine Verlobte sogar als »rassig und mit intellektueller Schärfe« und seinen Schwager Gründgens als »gewandt und routiniert«32 lobt. Die Hamburger Nachrichten meinen: »Über das letzte kleine Malheurchen in der Kinderstube des Hauses Thomas Mann möchte man am liebsten so wenig Worte als möglich machen. […] Das Stück bezeichnet ungefähr den Übergang vom Wedekindlichen zum Wedekindischen. Poetische Primanerreife nicht einmal erreicht! […] Raus aus der Literatur!«33 Dem mit der ganzen Unternehmung zutiefst unzufriedenen Gründgens, der schon auf der Tournee durch die Provinz nicht mit von der Partie gewesen ist, reißt endgültig der Geduldsfaden. Nur noch das Gastspiel in den Kammerspielen des Deutschen Theaters in Berlin wartet er ab, kalkulierend, daß ihm durch die Mann-Kinder der Sprung nach Berlin gelingen könnte.34 Zwar lobt Monty Jacobs »den einzigen Schauspieler des Abends, trotzdem oder weil er nicht der Sohn, sondern nur der Schwiegersohn des Berühmten ist«35, doch muß Gründgens auch das vernichtende Urteil Herbert Iherings ernten, er sei »ein grober, undifferenzierter Schauspieler«36. Überhaupt: Das Unternehmen ist ein Fiasko in jeder Hinsicht. Ähnlich der Handlung im Stück zerbrechen die Beziehungen auch im wahren Leben. Gründgens läßt sich für die restliche Tournee, die nach München und Wien, Prag, Budapest und Kopenhagen führt, endgültig – durch den Schauspieler Rudolf Amendt, von seinem Freund Klaus Mann »Buschi« genannt – umbesetzen, was Erika ihrem Ehemann übelnimmt. Und auch Pamela Wedekind löst die wohl ohnehin nur einer Laune entsprungene Verlobung mit Klaus, entzieht sich zugleich dem offensiven Werben Erikas und verlobt sich im Dezember 1927 mit dem 28 Jahre älteren Dramatiker Carl Sternheim. »Dorothea (Mopsa) Sternheim wird nun also zu ihrer Freundin Pamela ›Mama‹ sagen«37, kommentiert das Berliner 8 Uhr Abendblatt

      Nicht allein aufgrund des Mißerfolgs der REVUE ZU VIEREN entfremden sich die vier. Obwohl Gründgens seiner Mutter scheinbar beiläufig mitteilt: »Erika, die bestens grüßen läßt, fährt am 6. Oktober mit Klaus nach Amerika und ik bin Neese«38, ist er enttäuscht, daß sie seinen Hamlet verpassen wird, der ihm viel bedeutet. Vor allem aber reagiert er mit Unverständnis darauf, daß seine Ehefrau nicht vertragsgemäß an den Kammerspielen auf-, sondern lieber eine neunmonatige Weltreise antritt, so etwas widerspricht seinem hohen Arbeitsethos, das Erika wiederum zutiefst fremd bleibt. »Onkel G.G.«, wie ihn Klaus Mann in einem Brief an seine Schwester nun ironisch-distanziert nennt, bemüht sich, Erika von der Reise abzuhalten, die wiederum »gehässig«39 auf diesen vergeblichen Versuch reagiert. Ohnehin war es den Eheleuten auch nicht ansatzweise gelungen, ein bürgerliches Familienleben zu etablieren, wie es zumindest dem Ideal Gründgens’ entspricht, der sich nur äußerlich unkonventionell gibt, sich aber nach einem geordneten, an kleinbürgerlichen Idealen orientierten Dasein sehnt. Ein halbes Jahr nach Erikas Rückkehr wird die Ehe am 9. Januar 1929 geschieden, dennoch werden die beiden im Jahr darauf noch einmal zusammen arbeiten. 1935 wird die inzwischen ausgebürgerte und mit ihrer Kollegin Therese Giehse liierte Erika Mann ihren Ex-Mann Gustaf Gründgens bitten, ihr die Scheidungspapiere zuzuschicken, damit sie einen weiteren Ehebund eingehen kann: Um die britische Staatsbürgerschaft zu erlangen, heiratet sie den homosexuellen englischen Lyriker W. H. Auden. Ein Jahr darauf wird sich auch Gründgens ein zweites Mal vermählen, und auch bei ihm werden die Zeitläufte einen gewichtigen Grund für diesen Entschluß spielen. Die Verbindung von Gründgens zu Klaus Mann wird bis zu dessen Emigration 1933 zwar nicht abbrechen, aber distanzierter werden; 1936 wird Mann seinen Ex-Schwager zum Vorbild für den opportunistischen Karrieristen Hendrik Höfgen in seinem Exilroman MEPHISTO nehmen.

      Gründgens, dem seine Ehefrau Schulden in beträchtlicher Höhe hinterlassen hat, löst nach Erikas Abreise die gemeinsame Wohnung auf und zieht gegen Ende 1927 in die Pension von Max Löffler in der Armgartstraße 22, direkt am Eilbekkanal im Norden des Stadtteils Hohenfelde, in der auch seine Kollegin Ellen Schwanneke logiert. Ist das Geld zu knapp, findet er vorübergehend Unterschlupf bei einem Freund: Erich Zacharias-Langhans40, ein halbes Jahr jünger als Gründgens, gelernter Buch- und Kunsthändler, hatte an den Kammerspielen statiert. Er lebt an der vornehmen Elbchaussee, aber recht bescheiden in einem Zimmer des Hauses Nr. 500, einem alten Kapitänshaus, das dem Ehepaar Krause gehört. Doch anders als Jan Kurzke stammt Zacharias-Langhans aus den »besseren Kreisen« des Hamburger Bürgertums: Sein Großvater, der vom Judentum zum Protestantismus konvertierte Kaufmann Adolph Nicolaus Zacharias, war Abgeordneter der Bürgerschaft, seine Großmutter, die Malerin und Schriftstellerin Maria Zacharias, geborene Langhans, Vorsitzende der Gesellschaft Hamburgischer Kunstfreunde. Erichs 1911 verstorbener Vater Eduard Zacharias war Professor der Botanik, Direktor des Botanischen Gartens und der Botanischen Staatsinstitute in Hamburg, sein Onkel Adolf Nicolaus Zacharias jun., Senatspräsident am Hanseatischen Oberlandesgericht, gehörte einige Jahre für die Fraktion der Rechten der Hamburgischen Bürgerschaft an. Erich Zacharias-Langhans, der, bürgerlich geprägt, keineswegs bereit ist, in der besseren Hamburger Gesellschaft seine Homosexualität nach außen zu tragen, wird einer der engsten Freunde von Gründgens und von 1934 an noch eine wesentliche Rolle in seinem Leben spielen.

      Wie eh und je stürzt sich Gründgens auch nach dem Scheitern seiner Ehe in die Arbeit. Erich Ziegel hatte bereits im Sommer 1926 die Leitung des Deutschen Schauspielhauses übernommen. Nachdem die Kammerspiele unter der Direktion von Mirjam Horwitz und Karl Goldfeld eine Spielzeit lang vom Oberspielleiter Heinz Goldberg geführt worden waren, war Gründgens 1927 zum Oberregisseur avanciert – ein Titel, das garantiert ihm sein Dienstvertrag, unter dem »kein anderer Regisseur […] verpflichtet« werden darf. Zudem hatte er vereinbart, daß niemand eine höhere Gage als er erhalten dürfe, falls doch, sei »sein Gehalt automatisch mitzuerhöhen«41. Er hatte als reaktionärer Nationalist Graf Lande in der Uraufführung von Ernst Tollers zeitkritischem Reportagestück HOPPLA, WIR LEBEN! mitgewirkt (das allerdings in Hanns Lotz’

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