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glauben kann«. Ohnehin vermisse sie ihre Freundin, die sie »eben doch über die Maßen liebe«8 – und mit der sie noch einen Monat zuvor im selben Hotel abgestiegen war, in der Kurliste aufgeführt als die Schauspielerin Erika Mann und Herr Wedekind aus München. So bleiben die Flitterwöchner nur die erste Woche alleine, dann treffen die von Erika sehnlichst erwartete Pamela und Klaus Mann, der sein Kommen schon länger angekündigt hatte, in Friedrichshafen ein. Ergänzt wird dieses seltsame Quartett (das zwischenzeitlich auch noch von Klaus’ und Erikas jüngerem Bruder Golo besucht wird) durch Hermann Kleinhuber9, den die vier zufällig kennenlernen, als der Amateur-Leichtathlet einige Runden auf dem Sportplatz des VfB Friedrichshafen zieht, und ins Kurgartenhotel einladen – und dem sie bei der Abreise Hans Carossas RUMÄNISCHES TAGEBUCH schenken, »zur Erinnerung an Gustaf Gründgens, Erika Mann, Klaus Mann«10, so die Widmung vom 10. August 1926. Gründgens findet an dem gutaussehenden, mit seinem dunklen Haar fast südländisch wirkenden, bisexuellen jungen Mann Gefallen und freundet sich mit Kleinhuber an: Die beiden treffen sich 1928 in München, fahren nach Innsbruck und von dort im Paddelboot über Kufstein nach Rosenheim, verbringen 1930 gemeinsam Ferien am Lago Maggiore und sehen sich in den 30er Jahren regelmäßig in Berlin, als Kleinhuber dort an der Handelshochschule studiert.

      Gleich nach dieser etwas merkwürdigen Hochzeitsreise eilt Gründgens, welcher längst als »einer der interessantesten Schauspieler Hamburgs« gilt, »der zweifellos noch eine große Zukunft hat«11, zurück an die Kammerspiele, wo am 1. September seine Inszenierung von Frank Wedekinds FRÜHLINGS ERWACHEN Premiere hat; er selbst gibt darin den Moritz Stiefel, Victor de Kowa den Melchior Gabor, Ruth Hellberg die Wendla. Dreieinhalb Wochen später steht Gründgens als Weißgardist Sawin in Alfons Paquets STURMFLUT auf der Bühne, inszeniert von Erwin Piscator. Diese Zusammenarbeit zwischen dem Avantgardisten des politisch-dokumentarischen Theaters und Gründgens wird indes ebenso einmalig wie folgenlos bleiben. Piscator hatte das Stück über die Revolution in St. Petersburg im Februar an der technisch wesentlich besser ausgestatteten Berliner Volksbühne uraufgeführt, mit Filmprojektionen als integralem Bestandteil der Inszenierung. Nun werden die Kammerspiele durch die Kosten, die der von Piscator verlangte Einbau eines Projektionsapparates verursacht, wieder einmal an den Rand des finanziellen Zusammenbruchs getrieben.

      »Daß wir links waren, das war ja klar, das waren wir alle«12, wird sich Ruth Hellberg erinnern, andere Zeitzeugen werden Gründgens indessen als apolitisch charakterisieren, Klaus Mann ihn hingegen in seinem Roman MEPHISTO als Salonkommunisten porträtieren. Paquets Paraphrase über die Russische Revolution ist nur eines aus einer ganzen Reihe von Werken, deren Ankündigung durch Gründgens im Juli für Aufsehen in Hamburg gesorgt hatte: »Gustaf Gründgens, der Spielleiter der Hamburger Kammerspiele, wird im Winter unter dem Titel REVOLUTIONÄRES THEATER eine Reihe von Vorstellungen an Sonntagvormittagen in den Hamburger Kammerspielen veranstalten, an denen neben ersten Darstellern sämtlicher Hamburger Theater auch Mitglieder der Arbeiter- und Jugendverbände mitwirken werden. Es werden nur solche Dichter aller Nationen zu Wort kommen, deren Schaffen – im strengen Gegensatz zu der tendenzlosen Gleichgültigkeit des bürgerlichen Theaters – den Forderungen unserer Zeit entspricht, die zu dem heutigen Unterhaltungstheater keine Beziehung mehr hat. Die erste Vorstellung wird am 19. September Tollers MASSE MENSCH sein. Die Reihe der Aufführungen wird u.a. mit Werken von Paquet, Rolland, einer modernen Bühnenbearbeitung des Büchnerschen DANTON und einer politischen Revue fortgesetzt.«13 Außer dem Stück Paquets kommt jedoch keine weitere Aufführung zustande, DANTONS TOD wird auf die kommende Spielzeit verschoben.

      Gründgens führt statt dessen Regie bei Oscar Wildes Komödie BUNBURY mit sich selbst in der Rolle des Algernon Moncrieff, der als Ausrede für ausgedehnte Aufenthalte auf dem Land einen Freund namens Bunbury erfindet, und bei George Bernard Shaws Komödie ANDROCLUS UND DER LÖWE mit seiner Frau Erika als Lavinia. Als nicht sie, sondern Ruth Hellberg die erhoffte Titelrolle in Schillers Bearbeitung von Carlo Gozzis TURANDOT erhält, lehnt Erika Mann die ihr zugedachte Nebenrolle leichtfertig ab und entschwindet in den Skiurlaub. Gründgens, dessen hohem Berufsethos solche Kapricen zutiefst zuwider sind, bleibt selbstredend in Hamburg und spielt unter der Gastregie Renato Mordos den Prinzen Kalaf, »jeder Satz eine schwärmerische Arabeske«14. Die Ehe zwischen Gründgens und Erika Mann beginnt zu kriseln. Kurz darauf macht Gründgens die Jacques-Offenbach-Operette ORPHEUS IN DER UNTERWELT zu einem enormen Publikumserfolg, der das Theater zumindest kurzfristig saniert. Die musikalische Leitung obliegt Karl Salomon (der in der Emigration als Karel Salmon am Aufbau des Musiklebens Palästinas mitwirkt), sämtliche Rollen sind mit Schauspielern besetzt: Erika Mann reüssiert als Polyhymnia, die Muse der Musik, die in Gründgens’ Bearbeitung die »öffentliche Meinung« des Originals ersetzt, Paul Kemp gibt den Orpheus, seine Gattin Eurydike ist Grete Walter, die Tochter des berühmten Dirigenten Bruno Walter – 1939 wird sie von ihrem Ehemann, dem Filmproduzenten Robert Neppach, erschossen. Gründgens selbst stellt »mit Schwung und Grazie«15 Pluto, den Herrn der Unterwelt, dar, Victor de Kowa dessen stets betrunkenen Diener Hans Styx, Ruth Hellberg singt im Sopran den Liebesgott Cupido. Klaus Mann rühmt seinen Schwager im 8 Uhr Abendblatt: »Aber es war der Geist Gustaf Gründgens’, der das Ganze beherrschte und lebendig machte, sein drängender, unerbittlicher Wille zur Sache und seine mitreißende Freude am Spiel und an der Bewegung, am Ton, am Rhythmus, an der Farbe und am Theater.«16 Die Beschäftigung mit Offenbachs Operette ist für Gründgens (der zu dieser Zeit privat am liebsten DINAH und IN A LITTLE SPANISH TOWN des amerikanischen Vokal-Quartetts The Revelers hört17) weit mehr als nur ein amüsanter Genrewechsel, denn im Musiktheater »wurden seelische Ambitionen durch taktliches Zählen geregelt; hier wurde individualistischer Charme im Dreivierteltakt gebändigt; Schmerz genau eine halbe Note ausgehalten. Es war für mich eine unbedingte Folge, daß diese erforderliche musikalische Präzision auch in den Körper der Darsteller und den Stil der ganzen Aufführung zu gehen hatte. Und wer von meinen Kollegen gehofft hatte, sich gründlich austoben und ausextemporieren zu können, sah sich bitter getäuscht«, erläutert Gründgens seinen Inszenierungsansatz im Freihafen. »Es galt, einen Stil zu finden, der bei aller Buntheit und Üppigkeit doch die Darsteller in eine bestimmte sichtbar werdende Form zwang.«18 Er benennt damit die bis zuletzt gültigen Schlüsselbegriffe seiner künstlerischen Existenz: Präzision und Formbewußtsein.

      Gründgens spielt »mit bizarrem Humor, dem tiefe Tragik beigemischt«19 ist, den schwindsüchtigen Alex in Hans José Rehfischs RAZZIA und kreiert »mit ergreifender Innbrunst«20 die Titelrolle in der Uraufführung von Erich Ebermayers KASPAR HAUSER, die für den Schauspieler weit erfolgreicher ist als für den Autor: Gründgens’ »meisterhaftes Spiel« habe »umso mehr die Armseligkeit der Worte«21 aufgedeckt, meint etwa das Hamburger Echo. Bemüht, »die Realität des Traumes zu treffen, jene mystische Selbstverständlichkeit, mit der wir unsere Träume erleben«22, inszeniert er Strindbergs TRAUMSPIEL. Viel Zeit für das Eheleben bleibt also nicht. Selbst Katia Manns Mutter Hedwig Pringsheim bemerkt, es sei »eine so komische moderne Ehe, daß sich schon geradezu der Heilige Geist bemühen müßte, um mir Urgroßmutterfreuden zu verschaffen […].«23 Die Wohnung, die die Eheleute von der Witwe des Landesgerichtsdirektors Julius Peine in der gutbürgerlichen Oberstraße 125 (im Stadtteil Harvestehude, zwischen Rothenbaumchaussee und Mittelweg gelegen) gemietet haben, hatten sie, ohne Schulden zu machen, einrichten können: Erikas Eltern hatten alle notwendigen Anschaffungen und zudem das Haushaltsgeld für die erste Zeit spendiert. Doch obwohl Gründgens inzwischen nicht schlecht verdient – sein am 31. Dezember 1925 unterzeichneter Dienstvertrag für die Saison 1926/27 garantiert ihm 1000 Mark monatlich und das Recht auf einen bis zu zwei Monate dauernden unbezahlten Gastierurlaub24 – ist das Geld ständig knapp. »Wir wohnten parterre und hatten sehr viele Schulden, und wenn es klingelte, dann krochen wir unter den Tisch, weil nämlich die Leute von draußen durchgucken konnten«25, wird sich die Schauspielerin Ruth Hellberg, die zeitweise dort logiert, erinnern. Erika ist weder bereit, den gewohnten großbürgerlichen Umgang mit Geld einzuschränken, noch, sich in eine Hausfrau zu verwandeln – auch nicht, als das Dienstmädchen, das man sich anfangs leistet, schwanger wird und den Dienst quittiert.

      Dafür haust neben den drei Katzen Anja, Esther und Peeperkorn26 und der Hündin Bella ab Oktober 1926 auch Klaus Mann vorübergehend in der ehelichen

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