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in Burtes KATTE, Werfels SPIEGELMENSCH, Erich Ebermayers KASPAR HAUSER, Klaus Manns ANJA UND ESTHER, Ferdinand Bruckners VERBRECHERN, Eduard Künnekes LISELOTT, Hermann von Boettichers KÖNIG, Shakespeares RICHARD II., Hans Rehbergs SIEBENJÄHRIGEM KRIEG, Hans Baumanns ALEXANDER – und eben auch in OSKAR WILDE. Sternheims Drama behandelt die Ereignisse um die Verurteilung Oscar Wildes zu zwei Jahren Zuchthaus im Jahr 1895 wegen »unzüchtiger Handlungen«. Die Hamburger Kritik zeigt sich von Gründgens’ Darstellung beeindruckt, obschon ihm das »(nach den Bildern zu schließen) recht respektable Bäuchlein«30 des historischen Wilde fehle: »Gustaf Gründgens war auf Grund natürlicher Gaben und seiner nervös-hemmungslosen Spieltechnik wegen der ideale Vertreter des sensiblen, eitlen, pathetischen und weibisch-schwachen Dichters«31. Der gerühmte Darsteller jedoch veröffentlicht ein Vierteljahr nach der Premiere einen Artikel in Hans Reimanns Zeitschrift Das Stachelschwein, zu deren literarischen Mitarbeitern Max Brod, Erich Kästner, Anton Kuh, Roda Roda und Karl Valentin gehören und für die auch Gründgens gelegentlich Gedichte und humorvoll-satirische Kurzgeschichten verfaßt. Selbstbewußt verkündet der Schauspieler: »Als der Vorhang sich nach der Premiere […] senkte, wußte ich genau, daß ich den Wilde den Absichten des Autors entgegen gespielt habe. Der Erfolg hat mir recht gegeben. Als ich die Rolle bekam, war mir von vornherein klar, daß ich mich zu entscheiden hatte, entweder Sternheim oder Wilde zu spielen, denn nur einem von beiden konnte ich – der Dichtung nach – gerecht werden.« Das ist nicht nur höchst ungewöhnlich für einen Schauspieler – so etwas leistet sich sonst kein Kollege in Hamburg –, sondern auch das seltene Zeugnis einer Rollenanalyse unter dem Blickwinkel der Homosexualität: Das Hauptmotiv für Wilde, sich seiner Verhaftung nicht zu entziehen, sei, so Gründgens »trotz Sternheim« Bosie gewesen. »Wilde wußte ganz genau, wie sehr Bosie (Alfred Douglas) seine Flucht verabscheuen würde. […] Flucht war gleichbedeutend mit Bosies Verlust, also ließ es Wilde eben darauf ankommen. Der ganze erste Teil der ›Epistola‹ mit seinen kleinlichen Rechnereien ist ein Beweis dafür: ›… vom Freihalten beim Diner im Savoy-Hotel bis ins Zuchthaus habe ich alles für dich getan.‹ Für Bosie – nicht für sich; denn Wilde gehörte sich selbst nicht mehr in dieser Zeit, konnte also auch gar nicht er selbst sein. […] Der Sternheim’sche Grund: sich und seinem Lebensgesetz treu bleiben zu müssen, ist zwar sehr dichterisch und idealistisch, aber bei diesem hymnischen Gesetzlosen, dem schillernden, unter keinen noch so weiten Hut zu bringenden, weil mit männlichem und weiblichem zu reich bedachten Oscar Wilde, kann das (zum Hauptmotiv erhoben) nichts weiter als eine Phrase sein. Schmus. Schmonzes. Der große Umschwung in Wildes Leben kam erst ein Jahr nach seiner Entlassung aus dem Kerker, als Bosie, mit dem er […] wieder zusammen gekommen war […], ihn endgültig hatte sitzen lassen. Da erst brach er zusammen, und da erst war ihm alles gleich. Von da an ließ er sich fallen. Nun kam es für ihn ja auf nichts mehr an, wo ihm in Bosie der ganze Lebensreiz genommen war.«32 Gründgens korrigiert also nicht nur die Motivation Wildes, sich verhaften zu lassen – bei Sternheim provoziert Wilde seine Verurteilung, um sich selbst zu verwirklichen –, sondern lastet Sternheim die Herabspielung des homosexuellen Elements an.33 Wilde habe im Elend wohl »die Hoffnung, nie die Sehnsucht« verlassen, also habe er »nicht, wie verlangt, einen abgeklärten, zufriedenen, nichts bereuenden Wilde« spielen können, sondern »einen gequälten, unglücklichen, dessen Freude und Leichtfertigkeit geheuchelt war«34.

      Gründgens selbst ist alles andere als unglücklich in Hamburg. An der Wand seines Zimmers bei der Sanitätsratswitwe Else Wiemann in der Bethesdastraße 55 im Stadtteil Borgfelde hängen »alle Janbilder«35, wie er der Mutter glücklich mitteilt, denn bei ihm eingezogen ist der Maler Hans Robert Kurzke36, allgemein Jan gerufen. Gründgens hatte den blonden, blauäugigen, kraftvoll wirkenden Sohn des Hamburger Kriminal-Oberwachtmeisters Paul Kurzke bereits 1924 kennengelernt, vermutlich auf dem Hamburger Künstlerfest CUBICURIA, DIE SELTSAME STADT.37 Die alljährlich zur Faschingszeit im Curiohaus an der Rothenbaumchaussee veranstalteten Künstlerfeste gelten als überregional beachtete Ereignisse des Kulturlebens; seit 1922 bildet eine theatralische Revue deren Höhepunkt. Die aufwendige dekorative Gestaltung der Festsäle übernehmen Schüler der Kunstgewerbeschule, an der Jan Kurzke mit einem Stipendium von 1920 bis 1925 Figuren- und Aktmalerei bei Arthur Illies studiert. Auch Gründgens engagiert sich – und führt sogar zweimal Regie: Im Februar 1925 inszeniert er eine recht freizügige theatralische Revue »in 183 Eruptiv-Bildern aus allen Teilen, Ecken und Schlupfwinkeln der majestätischen Erde«38 mit dem Titel DER SIEBENTE KRATER, ein »tolles Trommelfeuer von Parodie und jazzelnder Verhohnepiepelung«, so der Hamburger Anzeiger, der sich auch über die drei Revuegirls, die »ihre rosenen Brüstchen sehn«39 lassen, wie das Gründgens selbst formuliert, nicht entrüsten mag: »Bißchen doll nackedei wars ja, aber schließlich wollen Ehemänner sich auch mal an fremdem Fleisch ergötzen. Paprika fürs Volk!« Gründgens selbst singt »tolldreiste Couplets«40 und tanzt Stepeinlagen, sein Kollege Paul Kemp tritt, »den nackten Körper braun geschminkt, auf dem Kopf eine schwarze Perücke«41, als Salome auf. Auch das Titelgedicht zu dem Spektakel hat Gründgens beigesteuert: »Ein grünkariertes Pony hüpft im Takt / der Jazzband über laute Treppenstufen; / ein Övelgönner Backfisch tanzt kompakt / mit amourösem Schenkel zwischen seinen Hufen. […].«42 Und 1926 führt er bei NOA TAWA, DAS AUFTAUCHENDE EILAND abermals Regie.

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      Jan Kurzke am 8. Mai 1925 in Hamburg

      © Theatermuseum Düsseldorf

      Gustaf Gründgens hatte sich sofort in den gut fünf Jahre jüngeren Jan Kurzke verliebt, so sehr, daß der besessene Schauspieler noch Jahrzehnte später erklärt, »er wäre Logenschließer in Hamburg geworden oder geblieben, wenn er deshalb nur hätte bei Jan bleiben können«43. Vergeblich versucht der sich betont unbürgerlich gebende Kurzke, als überzeugter Marxist Mitglied der KPD, seinen Lebensunterhalt als Kunstmaler zu bestreiten. 1925 stellt er seine Bilder erstmals öffentlich aus, doch nur gelegentlich erhält er »einen Porträtauftrag, der in Hut und Wintermantel bezahlt«44 wird. So teilt er mit Gründgens, der seine Mutter inständig bittet, doch in ihrem Bekanntenkreis Bilder von Jan feilzubieten, dessen Bohemeleben – das Bett allerdings zum Kummer seines Freundes gelegentlich auch mit der einen oder anderen Dame.

      Selbst mit Gründgens’ Schwester Marita hatte Jan geflirtet, als die beiden Freunde im Juni 1924 bei Gründgens’ Eltern am Kaiser-Wilhelm-Ring logiert hatten: Gründgens hatte an der Düsseldorfer Freilichtbühne als Droll (also als Puck) in Shakespeares SOMMERNACHTSTRAUM gastiert, alternierend mit Frida Hummel, der Frau des Bühnenbildners Eduard Sturm. Den Zettel hatte der junge Rudolf Platte gegeben, den Flaut der spätere Burgtheater-Direktor Paul Hoffmann. Zudem hatte Gründgens – zum zweiten Mal in seinem Leben – Regie geführt, nämlich bei Theodor Körners 1812 entstandenem Trauerspiel ZRINY, einem »Schinken mit endlosen rhetorischen Jambentiraden«45, so die Düsseldorfer Nachrichten, der den ungarischen Heldenkampf gegen die türkischen Eroberer behandelt. Während Gründgens probiert hatte, waren sich Jan und Marita näher gekommen. »Dann artete das ein bißchen aus – ein Küßchen hier, ein Küßchen da – und eines Tages wollte Gustaf mit Jan in die Stadt gehen, und der sagte, er bliebe zu Hause. Daraufhin brauste Gustaf ab, nach einer Weile kam er zurückgesaust, riß die Tür auf und schmiß ein Buch mitten ins Zimmer und ab«46, wird sich Marita erinnern. Ihr Bruder hatte ihr HERZBLÄTTCHENS ZEITVERTREIB. UNTERHALTUNGEN FÜR KLEINE KNABEN UND MÄDCHEN ZUR HERZENSBILDUNG UND ENTWICKLUNG DER BEGRIFFE47 vor die Füße geworfen …

      Streit, Trennung, Wiederfinden und Versöhnung wechseln sich ab. Mal stürzt sich Gründgens in einem allenfalls halb ernst gemeinten Suizidversuch die Treppe im Besenbinderhof hinunter, mal berichtet er den Eltern, die ihn noch immer mit einem monatlichen Zuschuß unterstützen und nicht zuletzt deshalb Rechenschaft über seinen Lebenswandel verlangen: »Ich habe mich mit Jan versöhnt und bin endlich wieder im Gleichgewicht. Er ist nun einmal mein alter ego, mit dem ich in Harmonie leben muß, um schaffen zu können. Dieser Zwist war sogar insofern gut, als er sowohl wie ich und alle die Überzeugung gewinnen müssen, daß pekuniäre Momente in unsrer Freundschaft (wie auch Vater in seinem Brief einmal andeutete) nicht die geringste Rolle spielten. Er hat sich und mir

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