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Berlin bleibt für Clemens Schubert wie für Gründgens zunächst nur ein wenig erfolgreiches Zwischenspiel – allerdings eines mit Folgen: Erich Ziegel, der Intendant der renommierten Hamburger Kammerspiele, einem der wenigen Theater, die in den 20er Jahren ein künstlerisches Gegengewicht zu den Bühnen der Hauptstadt bilden, hat Schubert und Gründgens in Berlin gesehen und beide engagiert, Schubert als Regisseur, Gründgens »für das Kunstfach I. jugendlicher Charakterspieler & jugendliche Bonvivants und verwandte Rollen«47, so der am 19. April unterzeichnete Vertrag. Erneut wechseln die Freunde also gemeinsam Engagement und Stadt.

      Doch bevor Gründgens sein Engagement in der Hansestadt antritt, beginnt die Sommerspielzeit am Städtischen Kurtheater Eckernförde, an dem Gründgens nicht nur als Schauspieler, sondern auch als Spielleiter verpflichtet ist. »Ein im Aufblühen begriffener Kurort«48, so bezeichnet das DEUTSCHE BÜHNENJAHRBUCH unter der Rubrik »Bemerkenswertes« das etwas mehr als 7000 Einwohner zählende älteste Bad der Nordmark. Gründgens mietet ein Zimmer im Stadtzentrum in der Kieler Straße 32, die parallel zum kaum 150 Meter entfernten Strand verläuft. Noch näher, im Haus Nr. 54, befindet sich das Städtische Kurtheater, auch Badetheater genannt, wie schon im Sommer zuvor geleitet vom Schauspieler und Regisseur Karl Friedrich Lassen, mit dem Gründgens in Kiel oft auf der Bühne gestanden und unter dessen Regie er Don Contreras in Pius Alexander Wolffs PRECIOSA gespielt hatte. Das Kurtheater zeigt zur Unterhaltung der Badegäste wöchentlich wechselnde Stücke, die Aufführungen finden im etwa 500 Zuschauer fassenden kombinierten Kino-, Theater- und Festsaal des seit 1723 existierenden Hotels Stadt Hamburg statt. Wenn in Eckernförde nicht gespielt wird, gastiert man in der Wirtschaft des Gastwirts Marten in Klein-Waabs, im Angler Hof in Süderbrarup, im Schauspielhaus Kappeln sowie in den Stadttheatern von Rendsburg und Schleswig. An einer veritablen Schmiere also und nicht erst an den renommierten Kammerspielen in Hamburg gibt Gründgens, werbewirksam annonciert als »Charakterdarsteller […] aus Berlin, der im kommenden Herbst zu den durch die hochstrebenden Ziele ihres Direktors Erich Ziegler [sic] bekannt gewordenen Hamburger Kammerspielen übertritt«49, sein Regiedebüt. Er trifft am 21. Juni in Eckernförde ein, tags darauf beginnen die Proben, und schon drei Tage später eröffnet die Saison mit Hebbels bürgerlichem Trauerspiel MARIA MAGDALENA; Gründgens spielt, »seiner Wirkung […] sicher«50, den skrupellosen Leonhard. Wiederum drei Tage später hat EINE GLÜCKLICHE EHE des Dänen Peter Nansen Premiere, jenes Lustspiel über ein Dreiecksverhältnis, in dem Gründgens bereits in Berlin aufgetreten war. »Die ›glückliche‹ Ehe […] wird kaum nach dem Geschmack unserer Theaterbesucher gewesen sein. In der Kleinstadt hat man andere Ansichten in dieser Beziehung«, moralisiert die Eckernförder Zeitung, lobt aber dann doch: »Ganz glänzend war wieder die Aufführung an sich, es war direkt ein künstlerischer Genuß, dem Spiel von Fräulein Braune (als Nancy) und Herrn Gründgens (als Dr. Jermer) zu folgen. […] Daß die Aufführung, die unter der Regie von Herrn Gründgens stand, mit Liebe vorbereitet war, verriet auch die Sorgfalt, die auf die Ausschmückung der Bühne und auf die Kostüme gelegt worden war.«51 In Schnitzlers LIEBELEI hat der innert kürzester Zeit zum Publikumsliebling avancierte Gründgens nur eine winzige Rolle: »Die drei Worte, die Herr Gründgens als ›Ein Herr‹ zu sprechen hatte, waren ihm genug, wieder eine Probe temperamentvollen Spieles zu geben. Allein schon die Art, wie er dem Räuber seiner Ehre die Liebesbriefe vor die Füße warf, war großartig.«52 In CHARLEYS TANTE, der später mehrfach verfilmten und noch heute vielgespielten Farce von Brandon Thomas, übernimmt Gründgens die zentrale Rolle des Lord Babberly, der sich von seinen Freunden Charley und Jack dazu überreden läßt, für eine geplante Verabredung mit ihren Freundinnen verkleidet als Charleys Tante aus Brasilien die Anstandsdame zu spielen. »Herr Gründgens war in der Hauptrolle ganz großartig, trug zwar hier und da etwas derb auf, erreichte aber immer eine köstlich-komische Wirkung. Seinem lebendigen Spiel galt der größte Teil des starken Beifalls.«53 In Roberto Braccos Konversationsstück UNTREU gibt Gründgens den Liebhaber Riccardi (»Die im Bühnenraum besonders aufdringliche Wärme belästigte die Künstler ganz außerordentlich, insbesondere Herrn Gründgens, der als Liebhaber noch sein innerliches Feuer spielen lassen mußte«54, berichtet die Eckernförder Zeitung), in Franz und Paul von Schönthans Schwank DER RAUB DER SABINERINNEN den Schauspieler Sterneck, in Ibsens GESPENSTERN abermals den Oswald, diesmal in einer Inszenierung Karl Friedrich Lassens. Gelegentlich wird jedoch auch Kritik an seiner Darstellung laut: So beeinträchtige »die überstürzte und dadurch undeutliche Aussprache« von Gründgens seine »sonst ganz vorzüglich wiedergegebene Rolle des Hans Karl Erichsen«55 in Curt Goetz’ Dreiakter DER LAMPENSCHIRM. Aufschlußreich ist aus heutiger Sicht insbesondere die Einschätzung Gründgens’ anläßlich eines »Künstler-Konzerts«56 im Hotel Seegarten, bei dem er als Rezitator auftritt: Er sei »ein interessanter junger Künstler, der freilich in seinem Hang zu expressionistischen Formen leicht aus Stil in Manier verfällt. So wirkten die feinen Dichtungen Franz Werfels unehrlich, als ob Werfel nichts als sein Spiegelmensch wäre. Gründgens’ parodierender Art liegt das Komische und Groteske, so traf er den leichten, eleganten, harmlos-frivolen Ton Heines und schuf hier etwas Originelles.«57

      Seinen letzten Auftritt in Eckernförde hat Gründgens am 16. August 1923 in Max Mohrs im Jahr zuvor höchst erfolgreich uraufgeführtem Bühnenerstling IMPROVISATIONEN IM JUNI. Als neunte Rolle in nicht einmal acht Wochen spielt Gründgens den berühmten Improvisator Adam Zappe, von dessen Kunst man sich die Heilung eines schwermütigen jungen Mannes erhofft – eine Rolle, in der er alle schauspielerischen Register ziehen kann: »Der Stil, der Stil, meine Herren! Soll ich katholisch oder diabolisch anheben, soll ich allumfassende Liebe oder zerwuchtenden Haß aufklingen lassen, soll ich endlich die Tempel meiner Kunst mit indischen, französischen, russischen, jüdischen oder amerikanischen Parfüms durchwehen?«58 Wenig überraschend heißt es tags darauf in der Eckernförder Zeitung, er habe »den vielen hiesigen Freunden seiner mimischen Virtuosität« neue hinzugewonnen. Überraschender ist dagegen die Besetzung des melancholischen Jan Mill mit Hanns Böhmer, der nur für diese eine Aufführung in Eckernförde gastiert, »wobei ihn seine weiche, wie aus Traumland herüberklingende Stimme wirkungsvoll unterstützte«59. Da Böhmer durch ein Engagement in München bestens versorgt ist, dürfte dieses vielleicht durch Gründgens vermittelte Gastspiel kaum eine Benefizaktion für den einstigen Freund gewesen sein. Vielmehr liegt die Vermutung nahe, daß sich die beiden vorübergehend wieder angenähert haben, doch ist kein Brief, der das belegen könnte, erhalten …

      Die wichtigste Rolle im privaten Leben des 23jährigen Gründgens spielt seit geraumer Zeit auch jemand anders: »[…] nun bist Du bald ›Schwiegermama‹. Immer neue Würden!«, teilt er seinem »lieben, süßen Muttchen« mit. Gründgens plant zu heiraten. Die Auserwählte ist seine Kollegin Erna Heicke60, die er in Kiel kennengelernt hatte. »Glaub’ mir, es ist schon das beste. Seit ich mich dazu entschlossen habe, bin ich wie verwandelt; ruhig und zufrieden. Ich schicke Dir bald viele Bilder vom Heikchen. Ich wollte, Du hättest sie schon bei Dir, Du wirst sie sehr lieb haben, weil sie so ein herrlicher natürlicher Kerl ist. Und viel Schweres hat das liebe Ding schon mitgemacht. Und jetzt wollen wir uns aneinander ruhig und gesund machen. Du prophezeitest mir ja immer eine rabenschwarze Jüdin – aber nun ist es doch ein dunkelblondes Geschöpfchen geworden und so zierlich, daß man meinen könnte, man brauche bloß zu pusten, dann fiele sie um, aber die sind ja bekanntlich die stärksten. Geld hat sie soviel wie ich, nämlich nichts, aber jung ist sie und Talent hat sie für zehn. Ich will sie in Hamburg schon unterbringen. […] Wir wollen nun auch mit der Hochzeit nicht mehr zögern; wir kennen uns ja nun über zwei Jahre. Besorge mir doch umgehend meinen Geburtsschein, den brauche ich nämlich beim Standesamt.«61 Gründgens macht sich unterdessen daran, eine möblierte Dreizimmerwohnung in Hamburg zu suchen. Und es gelingt ihm tatsächlich, den Direktor der Hamburger Kammerspiele für die Kollegin zu interessieren. Doch einmal mehr verläuft das Leben nicht so verläßlich wie eine akkurat geprobte Theaterinszenierung, denn Erna Heicke ist nun doch nicht bereit, ihr Kieler Engagement aufzugeben: »Es war alles perfekt, sie brauchte nur zu kommen und wär engagiert worden; sie schreibt, hol mich ab; ich gehe zur Bahn, sie kommt nicht. (Bedenk’ was alles auf dem Spiel stand! Karriere, Heirat, alles.) Sie schreibt auch nicht; 14 Tage nicht; dann auf einen erstaunten und entrüsteten Brief von mir: Sie sei krank gewesen; weiter nichts«, klagt Gründgens seiner Mutter. »Was soll ich

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