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guten Gesellschaft an; unter ihnen befanden sich Ärzte, Kaufleute, Beamte, Apotheker u.a. Einige Teilnehmer versuchten, durch die Fenster zu flüchten, wurden aber durch die draußen postierten Beamten abgefangen.«34 Dramatischer als eine Verurteilung sind für die Betroffenen oftmals die gesellschaftlichen Folgen, drohen doch neben der Ächtung durch den Bekanntenkreis die Kündigung von Arbeitsstelle und Wohnung.35

      Ob Gründgens’ Sexualität seine Berufswahl mit beeinflußt hatte, sei dahingestellt – Magnus Hirschfeld schätzte bereits 1914 den Anteil Homosexueller unter den Schauspielern doppelt so hoch wie im Durchschnitt36, die 1920 von der Homosexuellenzeitschrift Freundschaft publizierte Behauptung, daß sich Homosexuelle, vor die Wahl gestellt, in mindestens 75 Prozent aller Fälle für den Beruf des Schauspielers entschieden37, scheint indes übertrieben. Spätestens während seiner Zeit an der Hochschule für Bühnenkunst muß sich Gründgens jedoch mit seiner Bisexualität, die im Laufe seines Lebens immer stärker zur Homosexualität hin tendiert, auseinandergesetzt haben, durch die enge Freundschaft mit Hanns Böhmer und nicht zuletzt auch durch Louise Dumont, die den Schülerinnen und Schülern ihre an die Zwischenstufentheorie Magnus Hirschfelds38 erinnernden Überlegungen zur sexuellen Orientierung vermittelt hatte. In ihrem Buch VERMÄCHTNISSE formuliert sie diese so: »In der Pubertätszeit, so lehrt die moderne Psychologie, ist die Bisexualität ziemlich allgemein. Goethe aber lehrt uns: der geniale Mensch erlebt öfter im Leben die Periode der Pubertät. Mithin darf angenommen werden, daß der künstlerische Mensch im allgemeinen zu den Grenzerscheinungen gehört, in denen männlich-weibliches Wesen immer zusammenklingt. Die Dominante ist hier das Entscheidende.«39 Dabei scheint sie bisexuelles Empfinden für Künstler zwar für notwendig zu erachten, trennt dieses aber von der körperlichen Sexualität. Ein »Geheimnis« solle vor der »Aufdeckung aller Beziehungen des niedrigen Eros« schützen, die »auch zum Teil als schicksalhafte Tragik«40 gesehen werden.

      In seinem in Halberstadt entstandenen, Fragment geblieben Drama GLÜCKSSUCHER. BILDER AUS DEM LEBEN versucht nun der junge Schauspieler Gründgens, die ihn quälende Erkenntnis, wie stark sein bislang verdrängtes homosexuelles Verlangen ist, den schwierigen Prozeß dessen, was man heute Coming-out nennt, literarisch zu verarbeiten – freilich ohne damit an die Öffentlichkeit zu treten. Der 18jährige Desider – der sprechende Name ist abgeleitet vom lateinischen desiderium: Verlangen, Sehnsucht – wartet im elterlichen Musikzimmer verzweifelt auf einen Anruf: »Sei barmherzig bitte! Mach der Qual ein Ende. – Ich kann nicht mehr. (sieht auf die Uhr) Zu spät. Schon ½ Stunde nach der versprochenen Zeit. (kniet) Lieber Gott, laß ihn bitte anrufen. Bitte (fast schreiend). Ich warte nicht länger (setzt sich wieder daneben und starrt wie vorher auf das Telefon). (murmelt wie abseits) O komm, o komm, komm.« Endlich kommt der ersehnte Anruf von Walter (ein »frischer, gerader Mensch, 18 Jahre«): »Ich habe gewartet, oh so lange! Aber jetzt – (sich unterbrechend – hastig, glücklich) ja nun – ich rief schon dreimal an heute! Ich muß dich sprechen. Ich hatte solche Sehnsucht nach dir. – Ja! – Findest du das so merkwürdig? – Ja, ich muß dir unbedingt etwas sagen. Ich (zögernd) bin zu einem Entschluß gekommen. – Ja! Wann kannst du kommen? Heute abend! Bitte! – Geht nicht? Ja dann – aber morgen! – Erst um 6 Uhr? Na ja, aber bitte pünktlich, ja! Auf Wiedersehn, lieber Walter (horcht noch nach). Noch jemand da? (hängt ein und kommt vor) Ha (glücklich erleichtert). Er kommt! (geht zum Klavier, spielt, steht auf, rennt durchs Zimmer) Gott ich danke dir –« Am folgenden Abend gesteht Desider dem überraschten Walter (der, so erfährt man, vor einiger Zeit mit Desiders Freund Gert »so intim« war) seine Liebe, doch das Gespräch wird abgebrochen, als Desiders Mutter ihn bittet, eine Bekannte nach Hause zu bringen, Desider bleibt also im Ungewissen darüber, ob Walter seine Zuneigung erwidert. Er sucht den Rat der 22jährigen Asta, laut der Charakterisierung des Autors eine »gerade großzügige Natur«: »Weißt du, ich bin doch ein eigentümlicher Mensch, so quer. Wenn ich doch nur wüßte, was ich wollte. […] Siehst du, jetzt zum Beispiel bin ich vollständig auf Frauen eingestellt. Aber siehst du, andererseits – momentan natürlich nicht – andererseits glaube ich auch, in mir ein Faible für die andre Art Liebe zu haben.« Asta hält das für »Unsinn«: »Ach Gott, […] das bildest du dir ja doch bloß ein. Du bist doch so ein kluger Mensch – nein, nein. […] Desi, nein, das redest du dir da ein. Das ist doch das Schmutzigste, was es gibt, dieses – Gott, ich habe immer normal gefühlt und kann das ja nicht beurteilen, aber das ist doch einmal unnatürlich und deshalb schmutzig.« Doch Desider bleibt beharrlich: »Nein, Asta, im Gegenteil. Ich empfinde in solchen Fällen so etwas Reines und Gutes. Siehst du, das ist so. Denn seh’ ich den Betreffenden, und dann zuckts in mir zusammen, und dann muß ich ihn immer anrufen. Aber wenn ich ihn dann endlich gesprochen habe, mit ihm ein Stück spazieren gegangen bin – oder das noch nicht mal –, dann ist es wieder gut. Mehr will ich nicht.« Auf Astas Entgegnung: »Aber Desi, dabei bleibt es nicht«, insistiert Desider: »Doch, dann bin ich zufrieden.« »Gott, Junge, ich möchte dir so gerne helfen, aber – das ist ja vollkommen unmöglich, daß es dabei bleibt. Das kann es gar nicht. Wenn du wirklich so bist, und du hast manchmal so was, zum Beispiel mit den schönen Beinen, eben das war auch wieder so was – dann ist das noch nicht so ausgeprägt, dann führt das bestimmt dazu«, meint Asta. Desider versucht sie zu überzeugen: »Nein, das ist ja unmöglich, denn diejenigen, die ich so liebe, die würden da gar nicht drauf eingehen.« Worauf die Szene mit Astas Replik schließt: »Das ist ja noch schlimmer, denn dann wirst du bestimmt einmal unglücklich.«

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      Gustaf Gründgens

      © bpk / Staatsbibliothek zu Berlin

      Es scheint, als nehme Gründgens in seinem dramatischen Versuch sein eigenes Schicksal vorweg: Auch er wird sich überwiegend in heterosexuelle Männer verlieben und erfahren, daß selbst da, wo seine Liebe körperlich erwidert wird, sich etliche Partner dem anderen Geschlecht zuwenden, der Maler Jan Kurzke, seine große Liebe Mitte der 20er Jahre, ebenso wie sein langjähriger Lebensgefährte Peter Gorski. »Ich habe oft und viele Menschen verzaubert […] durch die Kraft und den Einsatz, durch die Unbeirrbarkeit meiner Zielsetzung – und habe sie überrannt, gewonnen und verloren. Denn es waren nicht sie, die sie waren, sondern die, die ich wollte, daß sie waren«41, wird Gründgens 1946 bilanzieren. Im Schlußbild der GLÜCKSSUCHER wälzt sich Desider schlaflos im Bett: »Gott gib mir eine andre Natur! Warum kann ich nicht so empfinden wie alle Menschen – (er stöhnt). Was tat ich denn, wem tat ich was, daß ich so leiden muß! Verlacht, unverstanden, über die Achsel angesehn! (ausbrechend) Ich halte das nicht mehr aus. (in rasender Angst): Gott was ist mir, Erbarmen, (schreit) Luft! (weint wie ein Kind) Mama – Mutter! (steht taumelnd auf, bleich mit irrsinnigen Blicken. Die Augen tief in den Höhlen) Ja, ja. Eine nette Galerie. Wenn man sieht, wie man sinkt! Tief, tief, immer tiefer! (schreiend) Wenn es wenigstens noch einen Boden gäbe! (stöhnt; dann ohne Übergang kalt beherrscht) Pah – was ich mir daraus mache! (lacht) Ich tu ja doch nur, was ich will. (Pause. Spiel vom kühlen Berechnenden zum Gequälten, Geängstigten) Aber die Folgen! Die Folgen. Und der Ekel! Nicht denken! (schreit irrsinnig) Vieh! Du! (beißt sich in den linken Arm)42

      »Mein lieber Hanns, was sagst Du nun zu all dem? Ich glaube bei einzelnen Stellen hast Du Dich krank gelacht. Das wäre sehr schade! Also, es ist Erlebtes, Empfundenes mit Gedachtem, Erdichtetem zusammengesetzt«, schreibt Gründgens seinem Freund Hanns Böhmer. »Desider bin ich vielleicht. Walter ist L. Gert: Du. Bei der Asta habe ich an Ilse gedacht. Der ganze Dreck ist Dir gewidmet von Deinem alten dummen Gustav, der Dich schrecklich vermißt und sonst nie auf so dumme Gedanken gekommen wäre.«43 Obwohl die Beziehung zwischen Gründgens und Böhmer nicht unproblematisch ist, wechseln beide gemeinsam das Engagement: Als der Intendant der Vereinigten Städtischen Theater zu Kiel, Max Alberty, im April 1921 nach Halberstadt kommt, um Hanns Böhmer als Marchbanks in CANDIDA zu begutachten, sieht er auch Gründgens, der in George Bernard Shaws Komödie den etwas nachlässigen, um Vornehmheit bemühten Unterpfarrer Alexander Mill spielt. »Ich lernte ihn dann kennen, da er im selben Hotel wie ich wohnte, ich hatte ihm sehr gut gefallen, und im Gespräch stellte sich dann heraus, daß er grade eine Individualität

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