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die habe ich mit Deiner Hilfe so schon gut gemacht. Ein Fall, der mir in Mathematik noch nie vorgekommen ist. Siehst Du, so hilfst Du mir immer, auch ohne daß Du es weißt.«41 Den Mitschülern erscheint er als »Einzelgänger, ein Träumer zwischen zwei Welten«, allein der Deutschlehrer Kropp erkennt ihn in der Untersekunda »als artverwandte Seele«42 und diskutiert heiß mit ihm über Walter Flex’ im Oktober 1916 erschienene Novelle DER WANDERER ZWISCHEN BEIDEN WELTEN, in der der Autor ein traumatisches Kriegserlebnis verarbeitet hat: den Tod eines Freundes bei einem Patrouillengang im August 1915. Die Darstellung einer starken, homoerotisch getönten Freundschaftserfahrung wird für mindestens zwei Generationen deutscher Jugendlicher zum Kultbuch und in den Zwischenkriegsjahren zu einem der sechs erfolgreichsten deutschen Bücher avancieren. Kropp hat auch darüber berichtet, wie Gründgens, um eine Wette mit dem Mitschüler Amandus Nüchter zu gewinnen, aus Otto Crusius’ Gedichtsammlung DIE HEILIGE NOT vortrug: »Im deutschen Unterricht merkte ich bald seine Begabung, eindrucksvoll vorzulesen und zu deklamieren. Daher bestimmte ich ihn im Jahre 1917 dazu, das übliche Gedicht zu Kaisers Geburtstag vorzutragen. […] Der Untersekundaner trat im Cutaway auf und trug auf schwarzer Weste ein klirrendes und flirrendes Kettengehänge, das auffallen mußte.« Die Sextaner und Quintaner hätten Gründgens ob seines Aufzugs »weidlich ausgelacht […]. Die Deklamation selbst fand Beifall, ja sie wurde allseits gerühmt.«43 Trotz aller Vorsätze glänzt der Schüler Gründgens ansonsten jedoch kaum: Einzig im Fach Deutsch erhält er ein »gut«, die Leistungen in Latein, Französisch, Geschichte, Erdkunde, in den Naturwissenschaften und im Turnen sind »genügend«, ebenso in Mathematik (spezifiziert in ein »genügend« in Algebra und ein »mangelhaft« in Geometrie), seine Leistungen in Griechisch werden mit »mangelhaft« bewertet – »Lektüre besser«, vermerkt das Zeugnis relativierend. Sein »Betragen« wenigstens ist »gut«, Fleiß und Aufmerksamkeit indes nur »genügend«, die Handschrift »im ganzen genügend«. Aber immerhin: »Er wird nach Obersekunda versetzt. […] Er verläßt die Anstalt, um einen praktischen Beruf zu ergreifen.«44

      Gründgens beendet seine Schulausbildung in der Karwoche 1917 mit dem »Einjährigen«45, wie man das »Zeugnis über die wissenschaftliche Befähigung für den einjährig-freiwilligen Dienst« nennt, und tritt eine Woche nach Ostern auf Drängen des Vaters als kaufmännischer Lehrling in die als »kriegswichtig« erklärte Schiess AG46 im Düsseldorfer Stadtteil Oberbilk ein; sein Lehrlingsgehalt beträgt 25 Mark monatlich. Das 1866 gegründete Unternehmen beschäftigt über 1000 Mitarbeiter, gehört zu den wichtigsten Großwerkzeugmaschinenherstellern der Welt und ist ein bedeutender Zulieferer für die deutschen Schiffswerften. Rasch wird Gründgens deutlich, »daß ich nie und nimmer eine innere Befriedigung in dem mir zugedachten Beruf finden könnte«, ja überhaupt »gar keine Beziehung zu den Dingen«47, mit denen er sich nun befassen soll. So läßt er sich nicht selten gleich mehrere Tage lang nicht im Betrieb blicken, sondern studiert auf den Rheinwiesen in Oberkassel Dramen. Als Kind hatte er Klavierstunden erhalten und, angeleitet von der Mutter, Brahms-, Schumann- und Schubert-Lieder gesungen, hatte sich erst eine Karriere als Sänger erträumt, am liebsten als Oratoriensänger, dann Dirigent werden wollen, nun drängt es ihn zum Schauspiel; welche diesen Wunsch möglicherweise prägenden Vorstellungen des Düsseldorfer Stadttheaters oder des Schauspielhauses er bis dahin gesehen hat, ist freilich nicht überliefert. Später wird er erzählen, er habe »nie etwas anderes gewollt«: »Als Kind habe ich Schmierseife abwiegen wollen. Das war der einzige Wunsch, an den ich mich erinnere. Aber als Beruf ist mir nie etwas anderes in den Sinn gekommen, als Schauspieler zu werden.«48 Die unter dem Zwang des Vaters eingeschlagene Laufbahn als Kaufmann endet jedoch aus einem anderen Grund. Im Juli 1917, also nach nur drei Monaten, schließt man die schmale Personalakte des kaufmännischen Lehrlings mit der Bemerkung: »Wurde eingezogen und kam nachher nicht wieder. Mit dem jungen Mann war nicht viel los.«49

      Gründgens selbst wird gelegentlich behaupten, er habe sich freiwillig zum Militär gemeldet, dann wieder berichten, er habe es »als wahre Erlösung« empfunden, »als ich eines Tages den Einberufungsbefehl erhielt«50. Wie dem auch sei: Der noch nicht einmal 18jährige (die Wehrpflicht beginnt zu dieser Zeit mit dem vollendeten 17. Lebensjahr) leistet seinen Kriegsdienst in der Maschinengewehrkompanie des Infanterieregiments Nr. 30. Das »Graf Werder« benannte Regiment51 ist seit 1876 in Saarlouis stationiert, das 1815 von Frankreich an Preußen abgetreten werden mußte. Gründgens wird verwundet – nicht etwa im Feld, sondern durch einen achtlosen Kameraden, dessen Gewehrkolben ihn am Kopf trifft – und nach Kreuznach ins Lazarett eingeliefert, wo er zwar seine Verletzung kuriert, sich aber, da er mit an Ruhr erkrankten Soldaten auf einer Station liegt, ansteckt und an der Bakterienruhr erkrankt. Geplagt von Durchfällen, Fieber und Koliken, genest er nur langsam.

      Noch im Lazarett liest Gründgens in einem Armeeverordnungsblatt von einem in Saarbrücken domizilierten Fronttheater: Auf Befehl des kommandieren Generals Ernst von Oven war die »Volksbühne des Stellvertretenden Generalkommandos des XXI. Armeekorps, zugleich für das XVI. Armeekorps Saarbrücken« (zu letzterem gehört auch das Infanterieregiment »Graf Werder«, bei dem Gründgens dient) am 2. Oktober 1917 errichtet worden, um »der Bevölkerung, besonders den Rüstungsarbeitern des Saar-, Nahe- und Moselgebietes sowie Elsaß-Lothringens und der Pfalz in Darstellung und Wahl von Stücken hochwertige Vorstellungen zu bringen«52. Zur Eröffnung hatte man am 3. November 1917 Lessings MINNA VON BARNHELM gezeigt, im Frühjahr den Betrieb der Bühne, der durchweg erfahrene Schauspieler angehörten53, jedoch sistiert. Als künstlerischer Leiter der am 10. Juli 1918 auf Befehl des stellvertretenden kommandieren Generals Friedrich Wilhelm von Unger wiedererrichteten, der Abteilung »Vaterländischer Unterricht« unterstellten »Volksbühne« amtiert in der Spielzeit 1918/19 – in Nachfolge von Friedrich Schiffermüller, nunmehr Intendant des Schauspielhauses der Stadt Saarbrücken – der Schauspieler Ernst Matter, bis anhin für kurze Zeit Leiter der »Südwestdeutschen Verbandsbühne«. Der Gefreite Gründgens fängt sofort Feuer und bewirbt sich: »Ich schrieb […] ein flammendes Gesuch, pries meine Fähigkeiten, schwindelte Bühnenerfahrung vor«54, und der Schwindel hat Erfolg. Er wird erst nach Saarbrücken, dann nach Saarlouis in Marsch gesetzt, doch die geplante Aufführung von Shakespeares OTHELLO mit Gründgens als Rodrigo, wird abgesagt, »weil der Darsteller des Mohren sich weigerte, jeden Abend das Gesicht schwarz anzuschmieren«55. So debütiert Gründgens, zu dessen Kollegen der später am Berliner Staatstheater tätige Walter Franck gehört, am 2. Oktober 1918 mit einem angeklebten Vollbart als älterer Gelehrter Philipp in Ludwig Fuldas harmlosem Lustspiel JUGENDFREUNDE. Aufgeführt wird es in einem Gasthof im rund 14000 Einwohner zählenden, 15 Kilometer nordöstlich von Saarbrücken gelegenen Städtchen Friedrichsthal, dessen Bürger weniger unter kulturellem, sondern fast schon seit Kriegsbeginn unter tatsächlichem Hunger leiden: Um wenigstens Säuglinge, Kranke und Alte versorgen zu können, hat die Gemeinde einen Kuhstall mit 18 Milchkühen eingerichtet, außerdem unterhält man ein kommunales Lager mit Grundnahrungsmitteln, in der Hauptsache Kartoffeln. Bald darauf tritt Gründgens im Städtischen Saalbau am Saarbrücker Neumarkt erstmals in Goethes FAUST auf – noch nicht als Mephistopheles, sondern in der Rolle des Schülers. Daneben nimmt er einige Stunden Schauspielunterricht bei Karl Zistig, der als jugendlicher Held und Charakterspieler am Schauspielhaus der Stadt Saarbrücken verpflichtet ist; mit ihm wird Gründgens wenige Jahre später an den Hamburger Kammerspielen spielen und ihn 1935 als Gastregisseur ans Berliner Staatstheater holen.

      Als nach der Revolution das Fronttheater aufgelöst und Gründgens’ Truppenteil nach Thale im Harz verlegt wird, wird er dort zunächst mit der Vorbereitung und Leitung einer Weihnachtsfeier, dann sogenannter Volks- und Unterhaltungsabende betraut, die vorwiegend im Gasthaus Zur Forelle56 stattfinden, genauer gesagt in einem im Rückgebäude gelegenen Saalbau. Man zeigt vor allem »kleine Einakter, die man im Repertoire von Dilettantenbühnen zu finden pflegt«57, so Gründgens. Ob man tatsächlich auch das Harzer Bergtheater58, eine 1903 errichtete, 1350 Zuschauer fassende Freilichtbühne auf dem Hexentanzplatz hoch über dem Bodetal, bespielt hat, wie stets behauptet wird, dürfte angesichts der Temperaturen zu dieser Jahreszeit fraglich sein. Gründgens, der in einer Pension an der Kronprinzenstraße unterkommt, organisiert in dem 15000 Einwohner großen Thale aber nicht nur Theateraufführungen, sondern auch Vortragsabende und Tanzvergnügen, bei denen er, elegant im Cutaway gekleidet,

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