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das Buch dieser »Theatergesellschaft«, leitet zudem sämtliche Proben und tritt auch weiterhin selbst auf, mit besonderem Erfolg als Karl-Heinz in Wilhelm Meyer-Försters populärem Rührstück ALT-HEIDELBERG – übt also schon 1919 jene drei Tätigkeiten aus, die sein künstlerisches Leben bestimmen werden, ist Darsteller, Regisseur und Intendant. Und es begegnet ihm erstmals jene Rolle, die ihn weltberühmt machen wird: Am 18. Februar 1919 rezitiert er, annonciert als Mitglied der Volksbühne Saarbrücken, im Saal des Hotels Ritter Bodo an der Thaler Hubertusstraße »im Rahmen eines etwas hochgestapelten Vortragsabends«59 »unter Mitwirkung von Herrn Kapellmeister G. Klette (Geige)«60 die drei ersten Szenen des Mephisto aus FAUST, zudem den Orest-Monolog aus Goethes IPHIGENIE AUF TAURIS, die Szene des Riccaut de la Marlinière aus Lessings MINNA VON BARNHELM sowie einige Gedichte. Als das Theater aufgelöst wird, signiert er zum Abschied am 14. März 1919 ein Photo, das ihn »mit dem Profil ihm griech’schen Stil« zeigt, und versieht es mit der Bemerkung: »zum Aufbewahren bis ich berühmt bin«61.

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      Widmungsphoto mit eigenhändiger Unterschrift vom 14. März 1919

      © Theatermuseum Düsseldorf

      Gründgens kehrt unverzüglich ins Rheinland zurück, zieht in die elterliche Wohnung und tritt am 1. April 1919 gegen ein Studiengeld von 750 Mark per annum als zahlender Schüler1 in die Hochschule für Bühnenkunst ein – den Ausbildungsvertrag des 19jährigen hatte sein Vater unterschreiben müssen, erst mit 21 gilt man als mündig. Eigentlich hatte das Schuljahr bereits am 1. September begonnen, doch da die Schule aufgrund des Krieges »männliche junge Talente [hatte] schmerzlich entbehren müssen«, ist die Leitung froh, solche nach der Demobilisierung auch mitten im Schuljahr aufnehmen zu können und so »eine größere Möglichkeit im Ausbau des Ensemblespiels«2 zu haben. Angeschlossen ist die ursprünglich »Akademie für ethische und ästhetische Kultur« benannte Schauspielschule ans Schauspielhaus Düsseldorf. Das Privattheater war 1904 durch die für ihre hohe Sprachkultur berühmte Schauspielerin Louise Dumont, die heute gerne als »Neuberin des 20. Jahrhunderts« bezeichnet wird, und den Regisseur Gustav Lindemann gegründet worden, und zwar als Schauspielhaus Düsseldorf GmbH mit einem Stammkapital von 600000 Mark, an dem die Dumont mit einer Stammeinlage von 260000 Mark sowie weiteren 50000 Mark über eine Kapitalvertreterin und Gustav Lindemann mit 50000 Mark beteiligt sind – also die Stimmenmehrheit im Aufsichtsrat der Gesellschaft besitzen. Louise Dumont, 1862 als Tochter des Kölner Kaufmanns Hubert Heynen geboren, hatte von 1888 an zehn Jahre lang am Königlichen Hoftheater in Stuttgart, dann am Deutschen Theater Berlin gespielt und dort unter der Direktion von Otto Brahm, dem wesentlichen Förderer des Naturalismus, ihre größten Erfolge in Stücken Henrik Ibsens gefeiert. 1903 hatte sie sich der »Internationalen Tournée Gustav Lindemann« angeschlossen. Der zehn Jahre jüngere Regisseur, in Danzig als Sohn eines jüdischen Kaufmanns zur Welt gekommen, hatte ebenso wie die Dumont das Ziel eines eigenen Theaters mit fester Spielstätte, das frei sein sollte von den Mängeln der naturalistischen Spielweise verfolgt, und so hatten die beiden bald beschlossen, eine gemeinsame Bühne zu gründen. Eine Verwirklichung dieses Planes in Weimar war an Intrigen gescheitert, auch die möglichen Alternativen Darmstadt und Köln waren ausgeschieden, daher hatten sich Louise Dumont und Gustav Lindemann (den sie 1907 in London ehelichte) schließlich für Düsseldorf entschieden. Nach nur 234 Tagen Bauzeit hatte man dort 1905 das Schauspielhaus an der Ecke von Karl-Theodor-Straße und Kasernenstraße, gegenüber der im Vorjahr eingeweihten Synagoge, eröffnen können. Das Foyer und der rund 950 Besucher fassende, in den Farben Weiß, Grau und Rot gehaltene Zuschauerraum befinden sich in einem relativ niedrigen Bau mit zwei repräsentativen Fassaden im Louis-Seize-Stil, hinter dem das 28 Meter hohe, in zeitgenössischer Fabrikarchitektur mit Zinnen und Türmen burgartig gestaltete Bühnenhaus emporwächst. Die Bühne hatte man mit den neuesten theatertechnischen Errungenschaften wie einer 14 Meter breiten Drehbühne, in die drei große Versenkungen integriert sind, ausgerüstet.

      Das Schauspielhaus Düsseldorf, das sich rasch den Ruf erworben hatte, ein dem Dichterwort verpflichtetes Theater der feierlichen Kunstausübung zu sein, und als eine der führenden Bühnen Deutschlands gilt, ist jedoch seit einiger Zeit massiven Angriffen von deutsch-nationaler Seite ausgesetzt. An der Spitze der Gegner steht Gustav Luhde, Kritiker der Düsseldorfer Zeitung, der sich heftig über die Beschäftigung von Gustav Landauer als Dramaturg und Schriftleiter der theatereigenen Zeitschrift Masken echauffiert hatte. Aber auch nachdem Landauer, Mitglied der Münchner Räteregierung, am 2. Mai 1919 im Gefängnis Stadelheim ermordet worden ist, attackiert Luhde weiterhin die »individualistisch-anarchistisch zersetzenden Wesenstendenzen der Direktion Dumont-Lindemann, die ihr redliches Teil dazu beigetragen hat, das heutige allgemeine Chaos vorzubereiten«3. Entnervt von solchen Pressekampagnen und zudem vom Versuch des Arbeiter- und Soldatenrats, Einfluß auf Repertoire und Besetzung zu erzwingen, hatten Louise Dumont und Gustav Lindemann im Frühjahr 1919 angekündigt, die Leitung des Schauspielhauses an die beiden Schauspieler und Regisseure Paul Henckels und Fritz Holl (den Vater der später mit Gründgens gut befreundeten Schauspielerin Ruth Hellberg) sowie den schwedischen Bühnenbildner Knut Ström zu übergeben – »und das war für uns besonders schön und günstig, weil sich nun Frau Dumonts ganze Kraft und Arbeit auf die Schule konzentrierte«, erzählt Gründgens 1931 in den Düsseldorfer Nachrichten. »Mir ist heute allein die Qualität unserer Arbeit unfaßbar. Wir haben alle geschuftet wie die Wilden. Aus reinem Vergnügen, aus lauter Überschwang, ohne Aufforderung. Unfaßbar auch die Geduld, mit der Frau Dumont all diese Temperamentsausbrüche über sich ergehen ließ. Viermal Balkonszene aus ROMEO UND JULIA, dreimal Faust und Mephisto, zehnmal Gretchen in einer Unterrichtsstunde gehörten zur Tagesordnung. Von Strindberg und Wedekind ist kein Satz ungesprochen geblieben; ich glaube hier hat jeder jede Rolle probiert und vorgesprochen. Und als wir erst die Werfelschen Gedichte in die Hand bekamen!«4

      Zu den Lehrkräften gehören außer der Dumont unter anderem der Schul- und neue Theaterleiter Fritz Holl sowie Peter Esser, der gefeierte Hamlet des Schauspielhauses. Elsa Dalands, ehemals als Sängerin tätig, unterrichtet morgens um acht im Foyer des Schauspielhauses Sprechtechnik – Gründgens soll »in stimmtechnischer Hinsicht freilich bis zuletzt ihr Sorgenkind«5 gewesen sein. Im Anschluß lehrt Paul Henckels rhythmische Gymnastik und Atemtechnik, er zeigt sich vor allem von Gründgens’ tänzerischem Talent überzeugt. Im Schuljahr 1919/20 gehören zu den 47 Schülern6 der Höheren Bildungsanstalt für Bühnenkunst die gemeinsam mit Gründgens an den Hamburger Kammerspielen und später lange Jahre an den Städtischen Bühnen Frankfurt tätige Ellen Daub, der ab 1922 ebenfalls an den Hamburger Kammerspielen engagierte und nach 1930 durch seine humorvolle Darstellung skurriler Alltagsmenschen als Filmkomiker populäre Paul Kemp sowie Walter Oehmichen, der 1948 die Augsburger Puppenkiste gründen wird. Die in den USA aufgewachsene Till Klokow wird in Berlin ebenso mit Gründgens spielen wie die kindlich aussehende Margarete Koeppke. Besonders befreundet ist Gründgens mit zwei Mitschülern: mit Renée Stobrawa7 und Hanns Böhmer. »Wir hatten keinen gemeinsamen Pfiff, aber wir erkannten uns kilometerweit an den Dalandschen Ba-Be-Bi-Bo-Bu-Übungen, die wir auf dem Hin- und Rückweg zur Schule übten. Wir mußten uns einen Punkt in der Luft denken und dann das Ba über den Kopf dahin werfen«, wird sich Gründgens erinnern.

      Der erwähnte Hin- und Rückweg zur Schule führt Gründgens täglich über die Grenze, da das linksrheinische Düsseldorf seit dem 4. Dezember 1918 von belgischen Truppen besetzt ist. Und trotz eines Dauerpassierscheins wird auch er akribisch kontrolliert, denn es ist verboten, Lebensmittel vom linken zum rechten Ufer hinüberzubringen (nicht aber umgekehrt), »Zeitungen, Briefe, bedruckte Sachen irgendwelcher Art«8 dürfen weder ein- noch ausgeführt werden. Seit März 1918 lebt die Familie Gründgens an einer der schönsten Straßen Oberkassels, dem von schirmförmig gestutzten Platanen gesäumten, vornehmen Kaiser-Wilhelm-Ring, der den Rhein und die Rheinwiesen entlang verläuft. Nahe der Oberkasseler Brücke, im Haus Nr. 18, 1899 durch den berühmten Architekten Heinrich Krings im holländischen Patrizierstil erbaut, hat Arnold Gründgens eine der drei gut 100 Quadratmeter großen Wohnungen gemietet, zudem dient ein in einem Anbau gelegenes Zimmer

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